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Interview: Polizist stellt Gaffer zur Rede – wir trafen ihn zum Gespräch

Interview

Polizist stellt Gaffer zur Rede – wir trafen ihn zum Gespräch

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    Das ist der Moment, als Stefan Pfeiffer, Chef der Verkehrspolizei-Inspektion Feucht, einen Lkw-Fahrer fragt: "Sie wollen tote Menschen sehen?" Ein Reporter filmt die Szene.
    Das ist der Moment, als Stefan Pfeiffer, Chef der Verkehrspolizei-Inspektion Feucht, einen Lkw-Fahrer fragt: "Sie wollen tote Menschen sehen?" Ein Reporter filmt die Szene. Foto: Kostador News/Screenshot

    Sie haben als Leiter der Verkehrspolizei in Feucht bei Unfällen sicher schon oft Gaffer auf der Autobahn erlebt. Warum ist Ihnen letzte Woche auf der A6 derart der Kragen geplatzt (siehe Video unten)?

    Stefan Pfeiffer: Es war eine Situation, wie sie leider tagtäglich auf deutschen Autobahnen stattfindet. Mir ist deshalb auch nicht der Kragen geplatzt. Es war einfach nur eine Situation, in der es aus meiner Sicht notwendig war, mit deutlichen Worten einzuschreiten, um den Leuten klar zu machen, dass sie gerade hemmungslos alle Schamgrenzen überschreiten. Es war auch nicht das erste Mal, dass wir in so einer Situation gefilmt worden sind. Aber offensichtlich kam das Video in diesem Fall für viele Menschen sehr authentisch rüber.

    Würden Sie rückblickend wieder genauso handeln?

    Pfeiffer: Es war eine ganz bestimmte Situation, in der aus meiner Sicht eine klare Ansprache nötig war. Wenn ich nicht geschrien hätte, dann wäre das Handy wohl nicht runter. Ganz grundsätzlich müssen Polizeibeamte in der Lage sein, situationsbedingt und Zielgruppen orientiert die richtige Ansprache zu finden. Ich denke, was ich getan habe, war in dieser Situation richtig. Deshalb würde ich es auch wieder so machen. Es ist aber sicher nichts für einen Lehrfilm für Polizeischüler.

    Die Resonanz war jedenfalls gewaltig. Sie wollten zunächst gar nicht öffentlich darüber sprechen. Hat Sie das Interesse fast überrollt?

    Pfeiffer: Das ist schon über mich hereingebrochen. Ich hätte nie mit so einer Reaktion gerechnet. Ich weiß auch nicht, was diese Welle ausgelöst hat - vielleicht war es eine gewisse Authentizität und Emotionalität, die da rüber kam. Es war aber auch eine Situation, die ich nicht wieder haben muss. Ich war schon froh, dass der bayerische Innenminister mir am nächsten Tag den Rücken gestärkt hat - dann man weiß ja nie, wohin sich solche Debatten im Internet entwickeln. Ich sehe die große Resonanz aber mit ein bisschen Abstand auch sehr positiv. Denn die vielen positiven Zuschriften und Reaktionen, die ich bekommen habe, zeigen doch sehr deutlich, dass die Gesellschaft das Problem erkennt und dieses Verhalten als verwerflich betrachtet. Und so können wie das Thema vielleicht - unabhängig von meiner Person, um die es dabei gar nicht geht - endlich mal zielführend diskutieren.

    Ganz offensichtlich gibt es ein großes Problem im Verhalten vieler Menschen bei  Verkehrsunfällen. Was läuft da aus Ihrer Sicht falsch?

    Pfeiffer: Wir haben in den letzten zehn, fünfzehn Jahren eine technische Entwicklung, die es uns ermöglicht, Fotos, Filme, Informationen binnen kürzester Zeit in eine große Öffentlichkeit zu bringen. Und wir haben die Entwicklung, dass wir dabei als Nutzer mit einer gewissen Naivität und Unachtsamkeit auch Schamgrenzen überschreiten, die man nicht überschreiten darf. Denn es muss doch klar sein, dass man mit solchem Verhalten ganz hart in das Leben anderer Menschen eingreift, die vielleicht schwer verletzt sind. Oder in das Leben von Angehörigen, Kindern, Ehepartnern von Menschen, die gerade zu Tode gekommen sind. Wir haben es leider auch schon erlebt, dass wir Unfall-Nachrichten überbringen wollten, und die Angehörigen waren schon ganz hysterisch, weil sie bereits aus dem Internet von dem Unfall erfahren hatten. Wir haben die neuen technischen Möglichkeiten und das ist auch gut so. Aber es gibt moralische Grenzen. 

    Im Grunde müsste doch jeder Autofahrer wissen, dass es falsch ist, einen Unfall zu fotografieren oder zu filmen. Haben Sie eine Erklärung, warum so viele Menschen trotzdem so wenig Mitgefühl zeigen?

    Pfeiffer: Diese Neugier auch an schrecklichen Ereignissen ist ja nichts Neues. Warum sind Menschen im Mittelalter zu Hinrichtungen gegangen? Und die neuen technischen Möglichkeiten machen es viel leichter, Schamgrenzen zu überschreiten. Wir haben manchmal Busse auf der Gegenfahrbahn, da stehen alle Insassen auf einer Seite am Fenster und filmen. Inklusive Fahrer. Als ob der Unfall eine touristische Attraktion wäre. Wir müssen uns aber doch vor Augen halten, dass es dabei um Menschen in Ausnahmesituationen geht.

    Ihre klare Ansprache war also der Versuch, die gaffenden Menschen zurück in die Realität zu bringen?

    Pfeiffer: Das Auto ist ja für uns alle eine Art sozialer Schutzraum, in dem man sich mitunter anders benimmt, als sonst in der Öffentlichkeit. In dem Moment, in dem man aus diesem Schutzraum herausgerissen wird, wird einem sehr schnell bewusst: Hier habe ich einen massiven Fehler gemacht und etwas getan, das unanständig ist. Deshalb ist die Reaktion der

    Hoffen Sie durch das große Interesse an dem Video auf einen Lerneffekt bei Autofahrern?

    Pfeiffer: Natürlich. Es muss jedem klar sein: Mein Verhalten kann sanktioniert werden. Es kann auch passieren, dass ich aus meinem Schutzraum heraus muss, mich erklären muss. Ich hoffe aber auch auf ein Verstehen und Akzeptieren der notwendigen moralischen Grenzen.

    Müssen auch Strafen verschärft werden?

    Pfeiffer: Momentan ist es nicht strafbar, Tote zu fotografieren, das entsprechende Gesetz schützt nur Verletzte. Das muss geändert werden. Auch das Bußgeld bei unbefugter Benutzung einer Rettungsgasse ist mit derzeit hundert Euro viel zu gering. Ich bin aber kein Freund davon, immer nur schärfere Gesetze zu fordern. Wir müssen vor allem konsequent anwenden, was schon da ist: Schon heute gibt es etwa die Möglichkeit, bei unbefugter Nutzung ein Smartphone zu entziehen.

    Wenn jemand an einer Unfallstelle vorbeikommt und spontan zum Handy greifen will: Was sollte dieser Person in diesem Moment durch den Kopf gehen?

    Pfeiffer: Was würde ich fühlen, wenn ich auf der anderen Seite wäre? Was würde ich fühlen, wenn dort mein Kind, mein Ehepartner, meine Eltern im Unfallauto wären? Mir haben in den letzten Tagen auch Opfer früherer Unfälle geschrieben, wie schlimm es für sie war, in dieser Situation derart zur Schau gestellt zu werden. Sie haben geschrieben, dass sie die Gaffer sehr deutlich wahrgenommen haben. Alle haben das als zusätzliche Belastung empfunden. Und manche schämen sich auch, dass sie auf diese Weise im Internet auftauchen. Das sollte uns doch allen zu Denken geben.

    Zur Person: Polizeidirektor Stefan Pfeiffer (54) ist Leiter der Verkehrspolizeiinspektion in Feucht. Als Mitglied der Verkehrskommission der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) arbeitet er auch an aktuellen verkehrspolitischen Fragen.

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