Servus Herr Well. Was macht der Kabarettist, wenn er seine Pointen nicht öffentlich machen kann?
Hans Well: Er sucht nach Möglichkeiten, wie er trotz Bühnenverbot die Öffentlichkeit erreichen kann. Wir haben als „Wellbappn“ beispielsweise ein Video aufgenommen, das im Internet ganz gut geklickt wird. Ich selbst bin ja sozusagen das Gegenteil eines Nerds, also vollkommen ahnungslos, aber die Kinder kennen sich da gut aus. Wir haben ein altes Volkslied von Carl Orff auf die aktuelle Situation hingetextet, und das ist ganz beliebt geworden.
Wie viel Klicks erreichen Sie damit?
Well: Das sind schon an die 10000, mehr sogar als das Klagelied des Uli Hoeneß, das bisher unser interner Spitzenreiter war.
Sie sagten, Sie würden gerade daheim so „vorsichhinsinnlosen“. Wie darf man das verstehen?
Well: Na ja, das heißt, dass der Sinn abhanden gekommen ist. Und für uns Künstler ist der Sinn, auf der Bühne zu stehen. Wir wollen die Leute gut unterhalten und das können wir derzeit nicht. Das fehlt mir sehr. Um die fehlenden Auftritte wenigstens irgendwie zu kompensieren, proben wir an den ausgefallenen Terminen.
Verliert man tatsächlich den Sinn im Leben, wenn man mal ein paar Wochen ein bisserl weniger spielt und konsumieren kann?
Well: Nein, natürlich verliert man den nicht. Diese Sinnlosigkeit habe ich nur auf die einjährige Berufspause bezogen. Das ist bei mir und den Wellbappn halt nicht nur ein Job, sondern schon eine Art Berufung. Aber was wunderbar ist: Unsere drei Kinder wohnen schon seit Wochen bei uns, die Familie hat von Corona profitiert. Wir leben in einem alten, denkmalgeschützten Haus mit großem Garten. Da lässt sich’s gut aushalten.
Die Idee von Söder als Retter steht im Widerspruch zu den Corona-Zahlen in Bayern
Wenn Bayern, wie Seehofer mal gesagt hat, der Vorhof zum Paradies ist – wer hat dann die Erbsünde begangen, dass die Seuche Covid 19 hier doch recht massiv auftritt?
Well: In den USA heißt es: Amerika first, in Bayern hat die CSU immer geworben, dass Bayern spitze ist. Ich will das Problem nicht auf die leichte Schulter nehmen und auch niemandem die Schuld zuschieben. Man kann aber feststellen, dass das Auftreten von Söder, der sich als Retter geriert, manchmal schon in eklatantem Widerspruch zum real Geleisteten steht. Bayern wäre nicht Corona-Spitzenreiter, wenn man die Starkbierfeste und den Fasching rechtzeitig abgesagt hätte. Und so schlimm Corona auch sein mag. Es ist ein Klacks zu dem, was uns mit dem Klimawandel und der Erderhitzung bevorsteht. Da würde ich mir wünschen, dass die Politik mehr auf Wissenschaftler hören würde. Denn irgendwann gibt es einen Impfstoff gegen Corona, aber der Klimawandel wird irreversibel. Ich habe heuer im Frühjahr 500 Bäumchen gepflanzt, die sind mir unterm Gießen verdorrt.
Weil es zu trocken war?
Well: Ja, es ist das zwölfte Jahr hintereinander, wo es im April so gut wie nicht mehr geregnet hat. Früher hieß es: Der April, der weiß nicht, was er will. Inzwischen stimmt das nicht mehr. Und von wegen verantwortungsvolle Politik: Ich finde die Abstandsregelungen wegen Corona super. Gesünder wäre es, wenn sie bei Schweinemast und in Hühnerfarmen auch gelten würden.
Was halten Sie grundsätzlich vom Vorgehen der bayerischen Staatsregierung in der Corona-Krise?
Well: Ein früheres Reagieren und Verbot der Massenveranstaltungen wäre noch besser gewesen. Ansonsten machten sie das, was zu tun war. Was jetzt allerdings sichtbar wird, sind langfristige Fehler der Politik. Der Pflegenotstand trifft uns zum Beispiel mit voller Wucht. Und es zeigt sich auch, dass der Abbau vieler Krankenhäuser glücklicherweise noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in Amerika oder England, wo das Gesundheitssystem durch den neoliberalen Profitgedanken kaputtgespart wurde. Hoffentlich ist Corona ein Weckruf für unsere Gesundheitspolitik. Auch dafür, dass wichtige Arzneimittel wieder in Europa produziert werden müssen.
Hans Well: Warum Aluminium nicht zum Trachtenhut passt
Was hat Sie am meisten an den aktuellen Corona-Einschränkungen gestört?
Well: Das Daheimsitzen ist immer eine Reduzierung auf den privaten Bereich. Man will sich aber als gesellschaftlicher Mensch mit anderen austauschen. Und die Heiligsprechung Söders als quasi alleinigen Corona-Bezwinger und Superbayern ist ärgerlich.
Wird Söder jetzt Kanzler? Er scheint sich ja sogar mit Angela Merkel zu verstehen...
Well: Besser jedenfalls als vor einem Jahr. Söder ist ehrgeizig, wenn er die Chance hat, wird er sie nutzen. Der fühlt sich ja als Enkel von Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber. Wenn er das schaffen würde, was den beiden nicht gelungen ist, wäre das für ihn schon die Krönung, die Vollendung der bayerischen Geschichte.
Na ja, da haben wir noch ein wenig hin. Irgendwie hat man eher den Eindruck, die Gesellschaft ist ein bisserl verrückt geworden. Haben Sie auch schon einen Aluhut gegen etwaige böse Strahlung?
Well: Nein, Aluminium passt nicht zum Trachtenhut. Aber es ist schon verrückt, welche Verschwörungstheorien inzwischen die Leute infizieren. Wir haben eingangs über Sinnlosigkeit gesprochen – ich glaube, dieser grassierende Unsinn ist viel schlimmer. Der verbreitet sich ebenfalls wie eine Seuche. Es ist sozusagen eine virale Pandemie. Alleine, was über Bill Gates und seine Frau für Blödsinn verbreitet wird, ist beängstigend. Was für die Nazis der Rothschild war, ist nun für ihre Nachfolger Bill Gates. Manche Verschwörungstheoretiker gerieren sich noch dazu als Opfer einer Diktatur, Neonazis laufen mit einem Judenstern rum. Manche behaupten, Angela Merkel sei ein Reptil und die Tochter von Adolf Hitler. Wenn so ein Schwachsinn nicht so gefährlich wäre, wär’s zum Lachen.
Was passieren kann, wenn Fakten durch Halbwahrheiten ersetzt werden
Impfgegner, Aluhüte, echte und falsche kritische Bürger, Nazis und demonstrieren gegen den Verlust der Freiheit und den Einstieg in die Tyrannei in Bayern. Wie ernst muss man so etwas nehmen?
Well: Wenn sich eine Gesellschaft so von der Realität entfernt, ist das beunruhigend. Wohin das führt, kann man in Amerika heute gut beobachten. Wenn Fakten und Wahrheiten durch Halbwahrheiten und alternative Fakten ersetzt werden, zerstört das den Konsens einer Gesellschaft. Ich stehe wohl nicht im Verdacht, unsere Politik zu sanft zu behandeln. Aber Kritik muss konstruktiv sein und nicht gegen das Grundgesetz. Derzeit sind seriöse Zeitungen mit Hintergrundinformationen so wichtig wie selten. Ich lese deswegen derzeit täglich gleich mehrere, die Zeit dafür habe ich ja momentan.
Wie ist es für Sie persönlich, dass Sie heuer nicht weit weg in den Urlaub fliegen können?
Well: Ich sage bloß: Ammersee!
Worauf freuen Sie sich in Nach-Corona-Zeiten am meisten?
Well: Darauf, dass wir wieder auftreten können. Und ich möchte wieder frei leben, ohne mich und andere zu gefährden.
Was hat der Mensch aus Corona gelernt?
Well: Wie schnell das alles gehen kann…
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