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Interview: Krippenexperte zu Melchior-Figur: "Kann keinen Rassismus entdecken"

Interview

Krippenexperte zu Melchior-Figur: "Kann keinen Rassismus entdecken"

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    Figur des Anstoßes: Der Ulmer Melchior. Die Gemeinde hat sich dafür entschieden, die Heiligen Drei Könige aus der Krippe des Ulmer Münsters zu entfernen.
    Figur des Anstoßes: Der Ulmer Melchior. Die Gemeinde hat sich dafür entschieden, die Heiligen Drei Könige aus der Krippe des Ulmer Münsters zu entfernen. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    In Ulm werden in diesem Jahr die Heiligen Drei Könige aus der Krippe genommen. Die Figur des schwarzen Königs wird von Kritikern als rassistisch überzeichnet gesehen. Der Fall löste eine deutschlandweite Debatte aus. Wie sehen Sie denn die ganze Sache?

    Martin Martlreiter: Ich habe diese Stellungnahme zur Entfernung der Könige aus der Ulmer Münsterkrippe gelesen: „Unser Melchior ist rassistisch.“ Über eine derart pauschale Bewertung war ich sehr überrascht. Denn Krippenfiguren sind im Kontext ihrer Entstehungszeit zu betrachten. Es ist immer gut, wenn man die Gegenwart miteinfließen lässt, aber so ein ultimatives Urteil über Figuren zu fällen, die vor über 100 Jahren geschnitzt worden sind, das finde ich sehr kurz gedacht.

    Martin Martlreiter ist Präsident des Verbandes Bayerischer Krippenfreunde und Pfarrer in Dingolfing. 
    Martin Martlreiter ist Präsident des Verbandes Bayerischer Krippenfreunde und Pfarrer in Dingolfing.  Foto: Martlreiter

    Das heißt, dass gleich alle Könige aus der Krippe genommen werden, hat Sie ziemlich überrascht?

    Martlreiter: Genau. Es fehlt noch, dass man die Heilige Schrift nach gusto zensiert.

    In ein paar Wochen ist Weihnachten. Wird es denn Ihrer Ansicht nach in mehreren Krippen keine Heiligen Drei Könige geben oder war das ein Einzelfall?

    Martlreiter: Ich denke nicht, dass das ein Einzelfall ist. Es liegt ein Stück weit im Mainstream unserer Zeit, dass Themen sehr einseitig besetzt werden. Das ist mein Kritikpunkt. Aber insgesamt meine ich, dass die meisten Pfarreien ihre Kunstwerke ehren und schätzen. Es wird gewiss kein Bildersturm hereinbrechen.

    Die Kritik in Ulm entzündete sich vor allem an der stereotypen Darstellung des Melchior, mit dicken Lippen und Ohrringen. Können Sie verstehen, dass diese Darstellung Kritik auslöst?

    Martlreiter: Ich kann verstehen, dass Stereotype provozieren können – aber nicht müssen. Bei Stereotypen geht es ja auch immer darum, dass man kurz und bündig Bilder vermittelt. Ich stoße mich ein bisschen an der Bewertung. Das Fremdartige ist ja oft anziehend, es muss nicht in Richtung Rassismus gehen. Es können in der Betrachtung viele Bewertungen enthalten sein – aber eine einzige exklusiv zu setzen, das halte ich für gefährlich.

    Wie stellt man den Melchior denn gemeinhin dar? Sind diese Stereotype üblich?

    Martlreiter: Das ist sehr schwierig zu sagen. Wenn man die Krippenkultur der letzten Jahrhunderte betrachtet, dann findet man eine enorme Bandbreite der Darstellung. In manchen Krippen wird Melchior als Weißer dargestellt. In der Bibel steht ja nicht explizit etwas von drei Königen, früher war man der Meinung, dass es mehrere Sternendeuter waren. Das Wort König fällt gar nicht. Es werden ebenfalls keine Namen genannt.

    Gegenstand der Diskussion: die Figur des schwarzen Königs Melchior in der von Künstler Martin Scheible geschaffenen Krippe.
    Gegenstand der Diskussion: die Figur des schwarzen Königs Melchior in der von Künstler Martin Scheible geschaffenen Krippe. Foto: Roland Furthmair (Archivbild)

    Melchior wird in der Bibel also nicht als Dunkelhäutiger beschrieben?

    Martlreiter: Er wird ja nicht namentlich erwähnt. Es heißt kurz und bündig: Weise aus dem Osten. Später wurde daraus das Morgenland. Und diese Weisen waren eben Sternenkundige, die den Sternen folgten und so zum Kind in der Krippe geführt wurden. Wenn man also den Ursprung betrachtet, kann man da Rassismus nicht einmal im Ansatz entdecken. Es geht um Menschen, die aufbrechen, die etwas suchen und dann auch finden. Das ist etwas, was ja auch dem modernen Menschen sehr naheliegt. Dass er aufbricht und seinen Lebenssinn sucht. Und hoffentlich auch findet.

    Wie kam es dann zur Tradition, dass man einen der Figuren als Dunkelhäutigen darstellt?

    Martlreiter: Das hat sich erst relativ spät eingebürgert und hängt unter anderem mit dem Geist des Aufbruchs, der Entdeckung neuer, unbekannter Länder zusammen. Eine Deutung etwa ist, dass sich in den drei Königen die Kontinente widerspiegeln. Aber all diese Dinge sind Deutungen. Sie stehen so nicht in der Bibel. Die Menschen hatten eine Vorstellung und diese in Bildern reproduziert, so stehen die Könige unter anderem für die Lebensalter Jüngling, Mann und Greis.

    In der Bibel ist von den Weisen aus dem Osten die Rede. Der Osten ist eigentlich eher Asien, das Morgenland der arabische Raum. Warum orientierte man sich in der Darstellung dann an Afrika?

    Martlreiter: Ich denke, das hängt mit der Entdeckungsfreude der Menschen zusammen, der Faszination für fremde Kulturen und die Lebensfreude in Afrika. Die Epochen der Romantik, des Historismus und auch der Kolonialismus haben hier ihre Spuren hinterlassen. Mit Schlagwörtern kommen wir hier nicht weiter, denn für Krippen gibt es einen eigenen Wurzelgrund: Anbetung, Lebensfreude und Heil. Krippen sind offen, laden ein und wollen Heimat schenken. Keinesfalls schließen sie aus, sondern bauen Brücken. Dies tun sie im Kleid ihrer Zeit, das ist eine Stärke und Schwäche zugleich.

    Info zur Person: Martin Martlreiter ist Präsident des Verbandes Bayerischer Krippenfreunde und Pfarrer in Dingolfing.

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