Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Interview: Klimaforscher Schellnhuber: "Wird wohl nie wieder eine Eiszeit geben"

Interview

Klimaforscher Schellnhuber: "Wird wohl nie wieder eine Eiszeit geben"

    • |
    Die wochenlange Dürre hat der Landwirtschaft in Deutschland schwer zugesetzt.
    Die wochenlange Dürre hat der Landwirtschaft in Deutschland schwer zugesetzt. Foto: Ralf Hirschberger, dpa

    Herr Schellnhuber, ich erwische Sie kurz nach Ihrem Urlaub. Wohin fährt denn ein Klimaforscher in Zeiten der globalen Erderwärmung? In die Hitze oder weit weg davon?

    Hans Joachim Schellnhuber: Wir haben vor Jahren zusammen mit einigen Freunden ein Haus im grünen Umbrien erworben, in dem wir seither regelmäßig unseren Urlaub verbringen. Das Anwesen liegt auf etwa 700 Meter Höhe, und dort war es in diesem Jahr zwar sonnig, aber temperaturmäßig gut erträglich. An sich habe ich es ganz gerne warm, aber diesen Sommer war es in einigen Gegenden Deutschlands so heiß, dass der Spaß aufhörte.

    Während Sie im kühlen Italien waren, wurde in Deutschland hitzig über einen Mega-Sommer, Rekordtemperaturen und ein Sahara-Klima diskutiert. Sie warnen seit Jahrzehnten vor der globalen Klimaerwärmung. Warum ist die Aufregung jetzt so groß?

    Schellnhuber: Als ich Anfang der 1990er Jahre das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gründete, war der Klimawandel noch ein recht exotisches Thema. Mittlerweile haben aber immer mehr Menschen nicht nur den Eindruck, dass das Wetter verrückt spielt, sondern auch die Sorge, dass wir unsere ganze Umwelt ramponieren. Mit jedem Extremereignis, ob das jetzt Stürme, Überschwemmungen oder Dürren sind oder eben eine Hitzewelle, steigt das öffentliche Interesse. Auch wenn es manche Menschen in einem kühleren Jahr wieder vergessen sollten: Die Natur wird uns immer wieder und immer öfter daran erinnern, dass wir sie aus dem Gleichgewicht bringen. Die Thermometersäule kriecht unerbittlich nach oben. Die nächste Hitzewelle kommt bestimmt – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

    Was macht Sie da so sicher? Es gibt ja durchaus Menschen, die den Klimawandel anzweifeln...

    Schellnhuber: Auf der ganzen Welt behauptet eigentlich nur noch eine starrköpfige Minderheit, dass die physikalischen Gesetze für das Klima nicht gelten. Diese Minderheit ist oft laut und rabiat, so dass sie es bisweilen schafft, die Öffentlichkeit zu verwirren. Doch die Naturgesetze gelten überall, mit der Konsequenz, dass wenn wir das Kohlendioxid in der Atmosphäre stetig erhöhen – und das geschieht ja massiv – sich die Erde erwärmt. Und das wird, je nach regionalen Gegebenheiten früher oder später, auch auf die heimische Umwelt durchschlagen.

    Was bedeutet das konkret für Deutschland, für Bayern?

    Schellnhuber: Wir wissen etwa ziemlich genau, dass insbesondere Ostdeutschland unter dem Einfluss des Klimawandels trockener wird, was nicht nur die Landwirtschaft dort vor Probleme stellen dürfte. Und nach Deutschland werden viele Klimamigranten aus dem Süden kommen – damit meine ich fremdartige Pflanzen und Tiere. Für Bayern sind die Prognosen schwieriger. Hier spielen die Alpen eine kritische Rolle, denn der Berg ist der natürliche Feind des Klimamodellierers. Aber auch der Freistaat wird ins Schwitzen kommen.

    Ein Zukunftsforscher hat kürzlich in einem Interview mit unserer Redaktion gesagt, dass man in Bayern in 100 Jahren nicht mehr Skifahren werden kann. Ist das realistisch?

    Schellnhuber: In den Höhenlagen wird auch in Zukunft im Winter noch gelegentlich Schnee fallen, und wer sich beeilt, kann dann auch mal Skifahren. Doch langfristig wird es bis hoch hinauf keine Schneesicherheit mehr geben. Die meisten Gletscher werden komplett verschwinden. Die Frage wird sein, wie sich die Vegetation verändert. Bayern hat da, wie gesagt, eine spezielle Topografie. Ich würde mir jedoch auf alle Fälle wünschen, dass der Freistaat als überaus wirtschaftsstarkes und innovatives Land mehr zur Nachhaltigkeit beiträgt. Und gerade weil es hier so eine wunderbare Natur gibt, wäre es töricht, dieses Kapital zu verschleudern.

    Hans Joachim Schellnhuber war wissenschaftlicher Chefberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel und berät aktuell auch Papst Franziskus in Klimafragen.
    Hans Joachim Schellnhuber war wissenschaftlicher Chefberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel und berät aktuell auch Papst Franziskus in Klimafragen. Foto: Soeren Stache, dpa (Archivfoto)

    Sie sind ein Mann der deutlichen Worte. Sie betiteln ein Buch „Selbstverbrennung“, Sie vergleichen den Klimawandel mit dem „Einschlag eines Asteroiden“ oder prophezeien uns, dass „wir alle Toast“ sind, wenn wir nichts unternehmen. Ist die Lage wirklich so dramatisch oder gehört die drastische Wortwahl zum Geschäft eines Wissenschaftlers, der gehört werden will?

    Schellnhuber: Ich würde mich liebend gerne weniger dramatisch äußern, aber wir sind momentan dabei, uns aus der Umwelt herauszukatapultieren, welche die menschliche Zivilisation überhaupt ermöglicht hat. Ich bin Physiker und gewohnt, jede Aussage, die ich tätige, vorher zehnmal zu überprüfen. Deshalb können Sie davon ausgehen, dass ich die Dramatik meiner Aussagen für angemessen, ja notwendig halte. Ich verwende drastische Begriffe, weil die Situation drastisch ist.

    Vor zwei Wochen ist eine internationale Studie veröffentlich worden, an der auch Sie beteiligt waren. Da war von einer Heißzeit die Rede. Klingt ebenfalls dramatisch...

    Schellnhuber: Ist es auch. Auf der Erde haben sich Eis- und Warmzeiten für Millionen Jahre abgewechselt. Wir haben in Studien nachgewiesen, dass die Industriegesellschaft mit ihren historischen Treibhausgasemissionen diesen Zyklus bereits unterbrochen hat und es wohl nie wieder eine Eiszeit geben wird. Meine Kollegen und ich haben daher die Frage aufgeworfen: Lässt sich unser Klimasystem im gegenwärtig herrschenden Warmzeitzustand auch stabilisieren, oder setzen wir planetare Prozesse in Gang, die uns in eine Heißzeit treiben? Der Unterschied ist, grob gesagt, der Weiterbestand der uns vertrauten Zivilisation. Bei einem langfristigen Anstieg der Temperatur um fünf oder sechs Grad und des Meeresspiegels um 60 Meter wird diese sich nicht aufrechterhalten lassen.

    Ist das überhaupt noch abzuwenden?

    Schellnhuber: Das ist die Mutter aller Gretchenfragen, die wir leider noch nicht beantworten können. Aber wir sind da eigentlich in einer spannende Situation: Unser Wohlstand heute beruht auf der Nutzung klimaschädlicher fossiler Brennstoffe. Die gehen in absehbarer Zeit zu Ende, doch wir haben längst viel bessere Alternativen.

    Die da wären?

    Schellnhuber: Nehmen wir das Haus im Umbrien: Das können wir in den nächsten fünf Jahren komplett auf erneuerbare Energien und Selbstversorgung mit Frischwasser usw. umstellen. Allgemeiner gesprochen: Die Erzählung vom Klimawandel kann immer noch ein Happy End haben, aber wir dürfen uns nicht von Lobbyismus, kurzfristigem Optimierungswahn und Betriebsblindheit daran hindern lassen, die notwendige Transformation anzugehen. Was früher die Industrielle Revolution war, ist jetzt eben die Nachhaltigkeitsrevolution. Selbst wenn es kein Klimaproblem gäbe, würden wir in diese Richtung gehen müssen. Aber wegen der sich beschleunigenden Erderwärmung sollten wir diese zivilisatorische Erneuerung eben um 100 Jahre vorziehen. Das ist ein sportliches, aber zugleich faszinierendes Projekt.

    Ihr Haus in allen Ehren, aber kann ein Einzelner wirklich den Klimawandel aufhalten? Kann ein Einzelner wirklich etwas bewirken oder müssen nicht die Industrie und Politik vorangehen?

    Schellnhuber: Es gibt unter den Menschen immer auch die Komplizenschaft der Untätigkeit – der eine zeigt auf den anderen, und es geschieht nichts. Manchmal passiert aber auch das Gegenteil, dass immer mehr Leute Teil einer guten Geschichte sein wollen. Und dass die Politik auf den Zug aufspringt, wenn sich die öffentliche Meinung dreht. Vielleicht geschieht dies ja in der Hitze dieses Sommers. Ich kenne jedenfalls eine Reihe von Politikern, die allzu gerne im Klimaschutz aktiver wären, wenn sie eine breitere Unterstützung spüren würden.

    Ist die Bundeskanzlerin auch dabei?

    Schellnhuber: Ich denke, ja. Angela Merkel würde gerne mehr für den Klimaschutz tun anstatt beispielweise den sinnlosen Zwist über die angebliche Migrationskrise endlos weiterzuführen.

    Ihr Kollege, Klimaforscher Mojib Latif hat jüngst gewettert, dass Merkel noch nie eine Klimakanzlerin war...

    Schellnhuber: Mojib sieht das wohl nun mal so, und er ist natürlich berechtigt, seine Meinung zu äußern. Aber ich kenne die Kanzlerin ganz gut. Sie weiß bestimmt, was Klimasache ist. Nur ist es in einem demokratischen politischen System nicht ganz einfach, eine große Transformation zu organisieren – so wie ihr das beispielsweise beim Ausstieg aus der Kernenergie gelungen ist. Damals war die Reaktorkatastrophe von Fukushima der Auslöser. Vielleicht ist die diesjährige Glutdürre der Anstoß, die Klimaaufgabe endlich richtig anzupacken.

    Zur Person: Hans Joachim Schellnhuber, 68, ist in Ortenburg im Landkreis Passau geboren. 1992 gründete er das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, das er noch bis September leitet. Er war wissenschaftlicher Chefberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel und berät aktuell auch Papst Franziskus in Klimafragen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden