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Interview: Horst Seehofer stichelt gegen Huber: "Das schadet der CSU"

Interview

Horst Seehofer stichelt gegen Huber: "Das schadet der CSU"

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    Horst Seehofer spricht im Interview über die Zukunft der CSU.
    Horst Seehofer spricht im Interview über die Zukunft der CSU. Foto: Fred Schöllhorn

    Herr Seehofer, in den USA gibt es für Politiker in ihrer letzten Amtszeit den Begriff „lame duck“, lahme Ente. Man sagt, solche Politiker könnten nicht mehr viel durchsetzen, weil alle wissen, dass sie aufhören. Spüren Sie auch schon etwas?

    Seehofer: Nein. Null. Wenn’s anders wäre, dann würde ich – schon um die Handlungsfähigkeit wieder herzustellen – das Lahme beenden und noch einmal kandidieren.

    Es stimmt also auch nicht, dass Sie in der CSU-Vorstandssitzung am Tag nach der Europawahl Ihren Rücktritt angeboten haben?

    Seehofer: Ach was! Diese Meldungen aus internen Sitzungen stammen offenkundig aus drittklassigen Informationsquellen. Wenn ich das hätte sagen wollen, dann hätte ich das auch genau so gesagt. Aber solche schiefen Gerüchte, die ganz eigenen Gedankenwelten entspringen, sind offenbar Mode geworden. Tatsächlich habe ich nicht einmal von personellen Konsequenzen gesprochen. Insofern war das eine sehr kühne Falschmeldung.

    Ihnen wird vorgehalten, der CSU im Europawahlkampf einen zu großen Spagat zwischen Europafreunden und Europaskeptikern aufgezwungen zu haben.

    Seehofer: Das ist ein zu einfaches Erklärungsmuster. Es gibt meiner Ansicht nach eine Vielzahl von Ursachen, die in ihrer Summe zu diesem Wahlergebnis in Bayern geführt haben. Das müssen wir uns anschauen und dann daraus die Konsequenzen ziehen.

    Welche Ursachen sehen Sie?

    Seehofer: Zunächst ist das Wahlergebnis – in Bayern stärker als anderswo – ein Reflex auf die Große Koalition. Wir haben das 2009 schon einmal erlebt, als die FDP im Bund plötzlich 15 Prozent hatte. Das konnte damals auch kaum jemand erklären. Jetzt haben wir in Bayern neben den Freien Wählern die Alternative für Deutschland. Die ist hier etwa genauso stark wie auf Bundesebene. Und wir haben noch kleinere Parteien wie die ÖDP und die Bayernpartei. Insgesamt sind das mit den Freien Wählern über 17 Prozent größtenteils im bürgerlichen Lager.

    Das geht auf Kosten der CSU.

    Seehofer: Ja, aber es kommt noch mehr hinzu: Die Wahlenthaltung war ein ganz entscheidendes Moment. Wir liegen acht Prozent hinter der Wahlbeteiligung im Bund. Das kann man nicht nur mit den Kommunalwahlen in anderen Ländern erklären. Dann muss man über die Bedeutung der Europawahl nachdenken. Da gibt es viele Menschen, die sagen,

    Oder in Schwaben war zum Beispiel ein oft gehörtes Argument: Der Markus Ferber ist sowieso drin, also kann man doch die Ulrike Müller von den Freien Wählern wählen, dann haben wir zwei im Europaparlament. Schließlich spielte eine Rolle, dass die SPD mit Martin Schulz einen Deutschen als Spitzenkandidaten hatte. Und noch etwas möchte ich ganz deutlich sagen: Der Wähler weist bei so einer Wahl eine Regierungspartei auch mal darauf hin, wenn sie sich zu viel mit sich selbst beschäftigt.

    Wie meinen Sie das?

    Seehofer: Es begleitet uns doch seit November diese Debatte über den Führungsstil: Hat der Ministerpräsident zu viel Macht? Hat er zu wenig? Wie organisiert man die Nachfolge? Ist er ein Spieler? Ist er ein Zocker? Diese Neigung zur Selbstbeschäftigung gefällt den Leuten nicht. Die Wähler sagen da: Moment mal! Sie sagen: Warnschuss! Übertreibt es nicht!

    Der Faktor Europa spielt aber doch auch eine Rolle. Man konnte im Wahlkampf das Gefühl haben, dass das Bekenntnis der CSU zu Europa nicht mehr so eindeutig ist wie früher.

    Seehofer: Ich hatte am Sonntag ein sehr gutes Gespräch mit unseren Europaabgeordneten. Eine der Festlegungen war: Der Europaplan bleibt die Grundlage für unsere weitere Arbeit. Das ist ein Plan mit Maß und Mitte. Oder schauen Sie doch mal meinen TV-Spot zur Europawahl an. Den hätte Theo Waigel wahrscheinlich nicht anders gemacht. Die europäische Integration ist eine riesige Leistung. Das war die Antwort der Kriegsgeneration auf die Geschichte. Aber wir erleben auch viel im Alltag, wo Europa besser werden muss.

    Der Satz „Wer betrügt, der fliegt“ stand aber nicht im Europaplan.

    Seehofer: Dieser Satz stammt nicht von mir und nicht von unseren Europaabgeordneten. Er kam aus der Landesgruppe im Vorfeld der Klausurtagung in Wildbad Kreuth im Januar. Ich habe Gerda Hasselfeldt gesagt, ich kritisiere den Satz nicht. Das gehört zur Solidarität in einer Partei. Aber der Satz hat uns – um es vorsichtig auszudrücken – nicht viel Zustimmung in einigen Teilen der Bevölkerung von der Kirche bis zu den Sozialverbänden eingebracht.

    Es bleibt also bei Ihrem europapolitischen Kurs. Wie aber gehen Sie mit der Konkurrenz AfD um?

    Seehofer: Man muss den illusionären, unrealistischen Anteil ihres Programms demaskieren. Das ist eine kommunikative Aufgabe. Und wenn Teile ihres Programms aus Sicht der Bevölkerung ernste Probleme widerspiegeln, dann muss man diese Probleme lösen. So sind wir auch mit den Republikanern umgegangen. Eine Olympiade der dumpfen Parolen wird es nicht geben.

    Die Aufspaltung des konservativen Lagers bereitet der CSU Probleme. Müssen Sie sich von der Formel 50 + x verabschieden und künftig mit 40 + x zufriedengeben?

    Seehofer: Ich habe immer gesagt, das Potenzial für die CSU liegt bei über 50 Prozent. Aber da muss man den Begriff „Potenzial“ fünf Mal unterstreichen, weil der geneigte Leser sonst meint, der Seehofer ist nicht ganz richtig im Kopf. Ob wir das Potenzial dann in Wählerstimmen ausschöpfen können, hängt von unserer Konkurrenz ab, vor allem der bürgerlichen Konkurrenz, und vor allem von uns selbst.

    Ist das angesichts der gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen überhaupt noch zu schaffen?

    Seehofer: Es ist erreichbar, aber da müssen wir weiter an uns arbeiten. Es gibt bisweilen noch zu viel von der Denkschule „alte CSU“. Aber wir haben viele junge, frische Kräfte. Wenn die mal die Musik bestimmen, dann könnte das wieder möglich sein.

    Was heißt „alte CSU“?

    Seehofer: Alte CSU heißt, Politik aus der Vergangenheit, die ja durchaus gut war, heraus zu definieren und einfach nicht akzeptieren zu wollen, dass wir in einer anderen Zeit leben. Die Zeiten haben sich verändert. Wir müssen uns mit ihnen verändern.

    Wer das nicht akzeptiert, läuft eher Gefahr, in den 30-Prozent-Turm zu kommen als in den 50-Prozent-Turm. An dieser Wegscheide stehen wir nach wie vor. Wir haben uns von dem Abgrund auf der einen Seite der Wegscheide deutlich entfernt in den vergangen fünf, sechs Jahren. Wir sind schon auf dem richtigen Pfad. Aber wir sind noch nicht absolut trittsicher.

    Horst Seehofer über Huber: "Das macht er seit sechs Jahren"

    Aber dann hat Ihr „alter Freund“ Erwin Huber in seinem Interview doch recht, wenn er sagt, dass schon jetzt die Weichen gestellt werden müssen für die kommenden Jahre, über die nächste Wahl hinaus.

    Seehofer: Was Erwin Huber sagt, das kann wirklich niemanden überraschen. Das macht er seit sechs Jahren – manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Intensität. Aber das hat nur eine Wirkung, eine einzige: Das schadet der CSU, sonst gar nix.

    Warum?

    Seehofer: Ja, sollen wir jetzt dreieinhalb Jahre bis 2017 eine Personaldebatte führen? Da sag’ ich: Dann brauchen wir über die Verteilung der Positionen nach der Wahl nicht mehr zu reden, weil wir dann nichts mehr zu verteilen haben. Da verzweifeln die Leute. Die Partei sagt: Bloß das nicht! Oder nehmen Sie die Forderung, die CSU dürfe sich nie verändern und müsse an alten Positionen festhalten.

    Da sag’ ich: Sollten wir die Studiengebühren noch haben? Sollten wir die Donau zubetoniert haben? Sollten wir die dritte Startbahn gebaut haben, bevor ein rechtskräftiges Urteil da ist? Sollten wir noch zwei Stunden längere Arbeitszeit haben für die Beamten als für die Angestellten in Bayern? Das alles waren Korrekturen hin zu mehr Gerechtigkeit für die kleinen Leute und für den Schutz unserer Natur.

    Dennoch gibt es doch ein Stück weit Unmut in der Partei.

    Seehofer: Nein, aber es gibt gewisse Herrschaften, die aus der Entfernung, also ohne selbst dabei gewesen zu sein, meinen Führungsstil beurteilen. Tatsächlich wende ich wahnsinnig viel Zeit für den Dialog auf. Zuhören, verstehen, handeln – das ist für mich auch parteiintern der Kompass. Denn nur so kommen richtige Entscheidungen zustande.

    Wann ist dann für Sie der richtige Zeitpunkt, die Nachfolge zu regeln?

    Seehofer: Ich bin jetzt für fünf Jahre als Ministerpräsident gewählt. Die Bevölkerung hat das bewusst so entschieden. Und die Bürger wussten bei der Wahl, dass ich vorhabe, diese fünf Jahre zu erfüllen. Es wäre ein Wählerbetrug, vorher aus rein taktischen Gründen etwas zu verändern. So viel zum Ministerpräsidenten.

    Und zum CSU-Chef?

    Seehofer: Als Parteivorsitzender bin ich bis Ende 2015 gewählt. Und ich habe vor, mich auf dem Parteitag 2015 zur Wiederwahl zu stellen. Es gibt überhaupt keinen Anlass, holterdiepolter die Zukunft zu regeln. Die Kernfrage heißt doch: Wem kann man dieses Land und diese Partei anvertrauen?

    Wie sieht dann Ihr Fahrplan aus?

    Seehofer: Zunächst klären wir, wer uns 2017 in den Bundestagswahlkampf führt. Das muss man ein, zwei Jahre vorher entscheiden. Wir werden uns 2016 anschauen, wer welche Arbeit mit welcher Resonanz abgeliefert hat. Dann wird sich ein Kandidat/eine Kandidatin für die Spitzenkandidatur zum Bundestag herauskristallisieren. Vielleicht auch für den Parteivorsitz.

    Wann soll dann der Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten bestimmt werden?

    Seehofer: Das muss mindestens ein Jahr vor der Wahl klar sein.

    Ein Rücktritt als Parteivorsitzender 2017, eine Doppelspitze, wie soll das funktionieren?

    Seehofer: Gar nicht. Ich würde heute nicht vor Ihnen sitzen, wenn es 2008 eine Trennung der Ämter gegeben hätte. Das hätte nicht funktioniert. Aber ich habe gesagt: 2018 ist Schluss. Meine Vorstellung ist, nach zehn Jahren die Verantwortung mit Erfolg weiterzugeben. Das ist meine Mission.

    Deshalb bin ich unwirsch, wenn dabei nicht jeder mitzieht. Gerade Minister, die in der Regierung sitzen, haben eine herausgehobene Verantwortung. Die Bevölkerung muss die Überzeugung haben, dass sie sich um ihre Arbeit kümmern. Das Wohlergehen des Landes steht über allem.

    Sie haben die „alte CSU“ beschrieben, wie sieht denn die neue CSU aus?

    Seehofer: Es gibt eine Konstante, das ist die geistige und ethische Grundlage unserer Politik, nämlich die christliche Orientierung. Aber es gibt zahllose Dinge, die sich verändern. Die ökologische Nachhaltigkeit etwa hat heute eine substanziell andere Bedeutung als noch vor zehn Jahren. Oder nehmen Sie die Zuwanderungspolitik. Klar ist, dass niemand ohne eigene Leistung an Sozialleistungen rankommt – kein Bayer, kein Deutscher, kein Zuwanderer.

    Das nimmt nichts weg von unserer Weltoffenheit gegenüber Leuten, die hierherkommen, arbeiten, für Recht und Ordnung einstehen und mit uns leben. Und es geht um einen grundlegend anderen Politikstil als noch vor zehn Jahren: nicht stur etwas durchboxen, sondern zuhören, verstehen, handeln. Kurz gesagt: Die neue CSU ist eine liberale, tolerante, weltoffene und pluralistische Volkspartei.

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