Frau Dr. Melzer, mit der Corona-Krise befinden wir uns alle gerade in einer absoluten Ausnahmesituation, jetzt gilt in Bayern auch noch eine Ausgangsbeschränkung. Was bedeutet das für die Partnerschaft?
Heike Melzer: Die Corona-Krise erhöht unser aller Stresslevel. Wenn man dann noch als Paar oder als Familie in einer kleinen Wohnung zusammenlebt, man sich nicht aus dem Weg gehen kann und alle Freizeitaktivitäten wegbrechen, erhöht das diesen Stress zusätzlich. Die Stimmungen sind aufgeladen. Die einen freuen sich vielleicht, dass sie jetzt einmal im Homeoffice arbeiten können. Andere dagegen machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz und um ihre finanzielle Situation.
Was können Paare tun, um diesen Stress abzubauen?
Melzer: Stress kompensiert man normalerweise mit Belohnungsreizen, zum Beispiel gemeinsam shoppen oder abends in einer Bar etwas trinken gehen. Doch das fällt jetzt alles weg. Paare müssen sich dann etwas Neues suchen, zum Beispiel nach Jahren einfach mal wieder gemeinsam kochen oder wieder mehr sexuell aktiv sein. Solche Krisen bringen viele Nachteile mit sich, aber auch immer Chancen.
Ist es für Paare leichter, so eine Ausnahmesituation zu überstehen, wenn sie erst frisch liiert sind oder wenn sie bereits mehrere Jahre zusammen sind?
Melzer: Das ist schwer zu pauschalisieren. Einerseits hat man am Anfang noch dieses Kribbeln im Bauch, das ist ein bisschen wie Corona-Flitterwochen. Andererseits haben Paare, die sich schon länger kennen, ein solideres Fundament, da sie sich besser kennen und schon so manche Hürde im Leben gemeinsam genommen haben. Paare, die sich erst kurz kennen, haben den Test auf Alltagstauglichkeit noch nicht genommen, und wenn der Stresspegel steigt, zeigen sie ihr wahres Gesicht.
Wenn existenzielle Sorgen während einer Krise zunehmen, rutschen Probleme in der Partnerschaft dann automatisch in den Hintergrund?
Melzer: Häufig ja, die Probleme relativieren sich. Viele stellen sich nicht mehr die Frage „Warum finde ich meinen Partner nicht mehr attraktiv?“, sondern vielmehr „Was passiert, wenn ich mich anstecke?“ oder „Sind wir finanziell abgesichert?“. Es ist ein bedrohliches Szenario für uns alle. Aber es kann die Partner zusammenschweißen, wenn sie die Corona-Krise gemeinsam durchstehen.
Was sollten Paare beachten, wenn sie jetzt nur noch zu Hause sind, weil sie im Homeoffice arbeiten und nichts unternehmen können?
Melzer: Es ist wichtig, sich auch Zeit für sich zu nehmen. Zum Beispiel kann man die Räume für ein paar Stunden untereinander aufteilen oder zum Abschalten Kopfhörer aufsetzen. Wenn Spannungen auftreten, dann sollte man einfach den Ball nicht wieder zurückgeben, sondern sich in Nehmerqualitäten üben. Denn zurzeit haben viele eine kurze Zündschnur, die mit der äußeren Bedrohungslage im Zusammenhang steht. Es ist dann wichtig, nicht auf die Provokationen und die schlechte Laune des anderen einzugehen, sondern stattdessen liebevoll auf den Partner einzuwirken.
Das ist manchmal bestimmt ziemlich schwierig, oder?
Melzer: Man muss ja nicht gleich das komplette Zusammenleben und Sexualverhalten umkrempeln. Wichtig ist, die Messlatte in der Beziehung nicht so hoch zu legen. Es genügt manchmal schon ein pflegsamer Umgang miteinander, dass man höflich bleibt, sich mal im Haushalt abwechselt, dem anderen wohlwollende Aufmerksamkeit schenkt.
Und wahrscheinlich muss man auch seine Erwartungen anpassen?
Melzer: Wenn man bestimmte Sachen nicht mehr hat, die selbstverständlich waren, dann werden einfache Dinge plötzlich viel wertvoller. Sieht man im Fernsehen, dass die Menschen in anderen Ländern nicht mehr das Haus verlassen dürfen, weiß man schon einen kurzen Spaziergang zu schätzen. Man entwickelt eine höhere Dankbarkeit für alltägliche Dinge, auch für den Partner.
Welche praktischen Tipps haben Sie für Paare in petto, um diese Ausnahmesituation auch für etwas Gutes zu nutzen?
Melzer: Oh, da fallen mir viele Dinge ein. Zum Beispiel einfach mal Alltagsroutinen durchbrechen, also unbewusste Dinge, die sich im Laufe der Beziehung etabliert haben, zu hinterfragen. Etwa Begrüßungsrituale, gemeinsame Mahlzeiten, wann es smartphonefreie Zeiten gibt, wie man zu Hause miteinander Zeit verbringen kann. Wir alle kommen durch die Maßnahmen zur Ruhe und Besinnung.
Das hört sich gar nicht so einfach an.
Melzer: Die Veränderung fängt in kleinen Schritten an. Dabei ist es wichtig, in Lösungen zu denken, anstatt sich mit Problemen aufzuhalten. Anstelle zu nörgeln, sollten sich Paare lieber über Wünsche und Sehnsüchte austauschen. Mein Tipp: Verändern Sie Verhaltensmuster und irritieren Sie Ihren Partner. Wenn Sie zu den Frühaufstehern gehören und Ihr Partner eher ein Langschläfer ist, dann könnten Sie – anstatt zu nörgeln „Wann stehst du endlich auf?“ – ihm einfach mal das Frühstück oder den Kaffee ans Bett bringen. Man sollte mutig sein und neue Pfade einschlagen. Für mehr Zweisamkeit kann man jetzt eben nicht mehr einfach ins Wellnesshotel fahren und eine Paarmassage buchen.
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