Herr Herrmann, wir müssen schon wieder über Rechtsextremismus bei der Polizei mit Ihnen reden. Es ist noch keine zwei Monate her, da haben Sie in einem Interview mit unserer Redaktion die SPD-Vorsitzende Saskia Esken scharf angegriffen. Sie haben von „böswilligen Angriffen auf die Polizei“ gesprochen. Die Aufdeckung rechtsextremer Netzwerke bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen aber scheint eher Frau Esken als Ihnen recht zu geben. Müssen Sie sich korrigieren?
Joachim Herrmann: Nein, mit Sicherheit nicht. Die pauschalen Vorwürfe von Frau Esken sind nach wie vor völlig deplatziert und überzogen. Sie hat ja seit Jahresbeginn nach den Ausschreitungen in Leipzig jede Gelegenheit gesucht, die deutsche Polizei insgesamt zu attackieren. Dafür gibt es nach wie vor keine Rechtfertigung.
Ihr Kollege Reul in Nordrhein-Westfalen hat, so wie Sie, bis vor kurzem von Einzelfällen gesprochen. Er musste sich durch die Feststellungen in Essen und Mülheim an der Ruhr, wo 29 Beamte wegen offenkundig rechtsextremer Gesinnung vom Dienst suspendiert wurden, eines Besseren belehren lassen. Er hat eingeräumt, dass das Problem wohl doch größer ist, als gedacht. Gibt es da auch bei Ihnen ein Umdenken?
Herrmann: Wir haben in Deutschland insgesamt mehr als 300.000 Polizistinnen und Polizisten. Dennoch ist jeder dieser Fälle ungemein bitter und einer zu viel. Wir hatten, darauf habe ich jetzt auch in meinem Brief an unsere Beamten hingewiesen, solche Fälle auch schon bei uns – etwa beim Unterstützungskommando USK in München vor eineinhalb Jahren. Es gibt also keinen Grund, das irgendwie kleinzureden. Wir nehmen das sehr ernst und handeln konsequent. Trotzdem bleibt es dabei, dass die allerallermeisten unserer Polizeibeamten ausgezeichnete und untadelige Arbeit leisten.
Wenn es so ist und sich an der Situation nichts geändert hat, was hat Sie dann zu dem Brief an alle bayerischen Polizistinnen und Polizisten veranlasst?
Herrmann: Mir ging es darum, genau diese Einordnung vorzunehmen: Dass es eine Vielzahl von pauschaler und unberechtigter Kritik gibt, dass es umgekehrt aber auch wichtig ist, dass dort eingeschritten wird, wo es Fehlverhalten gibt – egal, ob es sich um Extremismus, Rassismus oder, wie aktuell in München, um Drogendelikte oder um andere Straftaten handelt. Meine klare Erwartung an die Beamten ist: Sie brauchen sich keine verallgemeinernde Kritik gefallen lassen. Sie dürfen aber dort, wo Kollegen Fehler machen, nicht wegschauen. Sie müssen den Mut haben, konsequent zu handeln, damit der gute Ruf unserer Polizei durch einzelne schwarze Schafe keinen Schaden nimmt. Falscher Korpsgeist wäre da fehl am Platze.
Die AfD im Bayerischen Landtag umwirbt die Polizeibeamten und kritisiert Ihren Brief als „völlig falsches Signal“. Welche Reaktionen haben Sie bekommen?
Herrmann: Die AfD liegt meilenweit daneben. Ich habe auf den Brief bisher nur positive Reaktionen bekommen. Bei der Polizei ist die Stimmung vorherrschend: Wir rackern uns jeden Tag ab. Wir arbeiten mit unglaublichem Einsatz, um für die Bürger da zu sein und Verbrechen zu bekämpfen. Und dann wird diese Arbeit – ich sag das jetzt mal so – durch völlig Fehlgeleitete in den eigenen Reihen in Misskredit gebracht. Unsere Beamten sagen mir: Das ist richtig, wir brauchen da eine klare Abgrenzung. Das gilt in der ganzen Breite gegenüber allen, egal, ob sie rechtsextreme Gesinnungen verbreiten, Drogen konsumieren oder sonst wie straffällig werden. Das geht bei der Polizei alles überhaupt nicht. Das sehen alle rechtschaffenen Kollegen so. Ich bin überzeugt, dass die AfD da keine Chance hat, sich unter bayerischen Polizisten größer breitzumachen.
Sie sind nach wie vor gegen eine bundesweite Studie zu Rechtsextremismus bei der Polizei – aus Prinzip, oder weil Sie Zweifel an der Methode haben?
Herrmann: Das Bundesamt für Verfassungsschutz erstellt ja gerade ein Bundeslagebild zu Rechtsextremisten im Öffentlichen Dienst, also inklusive Polizei. Das Ergebnis dieser Untersuchung wird demnächst vorgelegt werden. Ich schlage vor, dass man sich die Ergebnisse erst einmal anschaut. Dann können wir überlegen, wie wir weiter vorgehen.
In Hessen läuft eine Studie, Thüringen und Rheinland-Pfalz haben eine Studie angekündigt. Halten Sie es für sinnlos, das zu machen?
Herrmann: Das muss jedes Bundesland selbst wissen. In der Innenministerkonferenz im Juni jedenfalls war die überwiegende Mehrheit gegen eine bundesweite Studie. Ich persönlich frage mich, was dabei rauskommen soll. Glaubt denn irgendjemand ernsthaft, dass ein Professor, der stichprobenartig Beamte befragt, Antworten bekommt wie: „Unter Kollegen reiße ich schon mal antisemitische Witze.“ Ich glaube das nicht. Viel wichtiger als irgendwelche abstrakten wissenschaftlichen Studien ist, dass wir überall dort, wo wir konkret auf Rechtsextremismus, Antisemitismus, Reichsbürger oder Ähnliches aufmerksam werden, konsequent handeln.
Geschieht das auch?
Herrmann: Ja. Da gibt es eine breite Unterstützung in allen Führungsebenen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das in allen Polizeipräsidien in Bayern konsequent angepackt wird. Die Mittel dazu haben wir. Dazu gehört insbesondere unser spezielles Dezernat für interne Ermittlungen im Landeskriminalamt. Neben dem Strafverfahren nutzen wir auch die Möglichkeiten des Disziplinarrechts vollständig aus. Das kann für den Betreffenden bis zur Entlassung führen. Nehmen Sie die beiden Reichsbürger-Fälle in Schwaben: Gegen einen Beamten endete das Verfahren mit einer Geldbuße. Ein anderer ist auf eigenen Wunsch entlassen worden und wir wollen jetzt mit einer Feststellungsklage sicherstellen, dass er nie wieder in den Öffentlichen Dienst in Bayern zurückkehren kann.
Wenn jemand Polizist werden will, dann hat er eine gewisse Affinität zu Autorität, dann muss er bereit sein, im Ernstfall Gewalt anzuwenden. Da liegt es doch nahe, dass darunter auch Leute mit einer scharfen Rechtsaußengesinnung sind.
Herrmann: Eine gewisse Anziehungskraft mag es im Einzelfall geben. Das gilt im Übrigen auch für die Bundeswehr. Umso mehr sind wir bei der Auswahl unserer Nachwuchspolizisten sehr sorgfältig. Die richtigen Leute herauszufiltern ist für unsere Mitarbeiter, die die Einstellungsgespräche führen und die Auswahltests mit den Bewerberinnen und Bewerbern machen, die Kernaufgabe. Im Übrigen schauen wir uns die Polizeischüler auch während der Ausbildung sehr genau an, ob es irgendwelche Auffälligkeiten gibt.
Funktioniert das?
Herrmann: Es ist in Bayern Gott sei Dank so, dass wir uns die Besten raussuchen können. Wir haben dieses Jahr rund 1800 Kolleginnen und Kollegen eingestellt. Die Zahl der Bewerbungen war etwa achtmal so hoch. Ich will aber auch die Regelanfrage beim Verfassungsschutz wieder einführen – nicht für den Öffentlichen Dienst insgesamt, wie es früher mal war, aber für Polizeivollzugsbeamte auf jeden Fall. Wir werden bei jedem Bewerber grundsätzlich und ohne konkreten Anlass beim Verfassungsschutz nachfragen, ob irgendwelche Erkenntnisse vorliegen. Niemand würde verstehen, wenn wir jemand einstellen und sich dann Jahre später herausstellt, dass er schon vorher mal beim Verfassungsschutz auf dem Schirm war. Bereits der kommende Einstellungsjahrgang für Frühjahr 2021 wird entsprechend überprüft.
Das muss dann ja nach den jüngsten Meldungen über mutmaßlich rechtsextreme Mitarbeiter beim Verfassungsschutz in Berlin auch für künftige Verfassungsschützer in Bayern gelten?
Herrmann: Selbstverständlich!
Lesen Sie dazu auch:
- Wieder rassistische Chatgruppe entdeckt: Kommt nun doch eine Polizeistudie?
- Strafverfahren wegen rassistischer Chatgruppe in Berliner Polizei
- Das hat es mit der Reichskriegsflagge auf sich
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.