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Interview: Hausarzt Dr. Berger: „Die Kneippmedizin ist aktueller denn je“

Interview

Hausarzt Dr. Berger: „Die Kneippmedizin ist aktueller denn je“

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    Zur ganzheitlichen Lehre von Sebastian Kneipp gehört mehr nur als Wassertreten und eiskalte Kniegüsse.
    Zur ganzheitlichen Lehre von Sebastian Kneipp gehört mehr nur als Wassertreten und eiskalte Kniegüsse. Foto: Bernd Wüstneck, dpa-tmn

    Herr Dr. Berger, Sie sind nicht nur der Sprecher der schwäbischen Hausärzte, sondern auch Kneipparzt und Mitveranstalter des großen Ärztekongresses „Gesund aus der Krise & in die Zukunft mit Kneipp“, der an diesem Wochenende in Bad Wörishofen stattfindet. Bei Kneipp denken sicher viele, das sei veraltet...

    Dr. Jakob Berger: Das mag so sein, aber die Kneippmedizin ist aktueller denn je. Denn es gibt auf der Welt nur drei ganzheitliche Therapieverfahren: das ist TCM, die Traditionelle Chinesische Medizin, die ayurvedische Medizin und Kneipp, die von den Österreichern TEM genannt wird, also Traditionelle Europäische Medizin.

    Was heißt ganzheitlich?

    Berger: Das heißt, dass der ganze Mensch sowohl physisch wie psychisch von dem Heilverfahren erfasst wird.

    Und was genau zeichnet Kneipp aus?

    Berger: Die Kneipp-Therapie basiert auf fünf Säulen: Die Ernährungstherapie, die Hydrotherapie, also Wasseranwendungen, die Bewegungstherapie, die Phytotherapie, also die Pflanzenheilkunde und – das ist für mich die wichtigste Säule – die Ordnungstherapie.

    Was ist die Ordnungstherapie?

    Berger: Das bedeutet, dass man die Lebensumstände des einzelnen Menschen so einrichten muss, wie sie der biologischen Ordnung entsprechen. Konkret heißt das: ausreichend Schlaf, Genussmittel nur in geringen Mengen und vor allem auch die richtige Balance von Be- und Entlastung zu finden, also von Arbeit und Erholung. Und hier spielt die moderne Stressforschung eine ganz wichtige Rolle. Daher haben wir auf unserem Kongress auch Prof. Dr. Gustav Dobos, einen führenden deutschen Stressforscher und Body-Mind-Mediziner, der also die Körper-Geist-Medizin in den Mittelpunkt stellt.

    Dr. Jakob Berger ist der Sprecher der schwäbischen Hausärzte.
    Dr. Jakob Berger ist der Sprecher der schwäbischen Hausärzte. Foto: Marcus Merk

    Der Titel Ihres Kongresses lautet: „Gesund aus der Krise & in die Zukunft mit Kneipp“. Kneipp hilft also gerade auch aus der Corona-Krise?

    Berger: So ist es. Wir haben doch jetzt in der Corona-Pandemie deutlich vor Augen geführt bekommen, wie wichtig das Immunsystem ist. Wer über ein starkes Immunsystem verfügt, hat Covid-19 entweder überhaupt nicht bekommen oder die Infektion gut weggesteckt. Und wir wissen doch auch längst, welch große Rolle die Psyche für das Immunsystem spielt. Gerade hier kann die Ordnungstherapie viel bewirken, indem verstärkt auf einen Ausgleich beispielsweise in der Natur sowie auf Entspannungsmöglichkeiten gesetzt wird. Es ist längst wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Kneipp-Therapien wirken.

    Mit Kneipp verbinden die meisten wohl kalte Güsse. Ist das noch aktuell?

    Berger: Aber natürlich! Es gibt eine ganze Reihe von Kneipp-Güssen, die jeder täglich zu Hause durchführen kann und die nachweislich das Immunsystem stärken.

    Die Ursprünge der Kneipp-Therapie

    Die Kneipp-Therapie geht auf den Priester Sebastian Kneipp (1821-1897) zurück. In jungen Jahren erkrankte er an Tuberkulose. Nach einem Bad in der kühlen Donau fühlte er sich frisch und erholt - und bemerkte nach einigen erneuten Badegängen in den darauffolgenden Tagen, wie sich sein Gesundheitszustand besserte.

    Er vertiefte sein Wissen über die Heilkraft von Wasser und begann, auch Patienten zu behandeln. So wurde Kneipp in der Bevölkerung als "Wasserdoktor" bekannt. Er entwickelte seine Therapiemethoden weiter und stellte schließlich ein ganzheitliches Gesundheitskonzept auf die Beine, das auf fünf Säulen beruht.

    Die fünf Säulen nach Kneipp lauten: Wasser (Wasseranwendungen und Kneippgüsse), Pflanzen (Heilkräuter), Bewegung, gesunde Ernährung und Ausgeglichenheit. (Quelle: Kneipp GmbH)

    Welchen Guss empfehlen Sie?

    Berger: Gut machbar zu Hause ist beispielsweise der Knie-Guss nach Kneipp. Man kann aber auch die anderen Kneipp-Güsse sehr gut zu Hause in der eigenen Dusche durchführen, im Internet sind alle Güsse auch bildlich dargestellt. So ein Kneippguss kostet kein Geld und hat eine maximale Wirkung. Das Einzige, was benötigt wird, ist ein Duschkopf, der in der Mitte einen starken Strahl wie aus einem Schlauch ermöglicht.

    Erklären Sie doch bitte den Knie-Guss.

    Berger: Der ist denkbar einfach: Man beginnt an der rechten kleinen Fußzehe und führt den Wasserstrahl an der hinteren Wade bis eine Handbreit übers Knie, verweilt dort ein paar Sekunden und lässt den Wasserstrahl an der Innenseite des Unterschenkels wieder zum Zeh hinabgleiten. Dann führt man den Wasserstrahl beginnend von der kleinen Zehe über das vordere Schienbein bis knapp übers Knie, verweilt dort kurz und führt den Strahl wieder bis zur Zehe zurück. Das gleich macht man mit dem linken Bein. Wichtig ist, dass die Füße zu Beginn des Gusses warm sind.

    Das Wasser muss kalt sein oder?

    Berger: Ja, der Knie-Guss ist ein typischer kalter Kneippguss, aber man muss, wenn man damit beginnt, nicht sofort mit eiskaltem Wasser starten, sondern sollte sich nach und nach daran gewöhnen. Nach dem Guss sollte man die Beine und Füße auch nicht abtrocknen, sondern nur abtupfen oder nach Möglichkeit trocken laufen. Dieser Guss dauert nur ein bis zwei Minuten und ist in der Früh gut, weil er munter macht und am Abend wirkt er als beruhigende Einschlafhilfe. Man hat mit dem Guss nie mehr kalte Füße, trainiert die Venen und stimuliert maximal sein Immunsystem.

    Was wollen Sie mit dem Kongress bewirken? Ist die Kneipp-Medizin unter Ihren Kolleginnen und Kollegen nicht so angesagt?

    Berger: Viele Ärzte haben wenig Ahnung von Kneipp-Verfahren und verschreiben dann doch lieber Medikamente. Hinzu kommt, dass die Patienten beim Kneipp-Heilverfahren aktiv mitarbeiten müssen, das will auch nicht jeder. Nicht wenige bevorzugen Tabletten, die aber nicht immer helfen. In unserem Kongress wollen wir gerade auch jüngeren Kolleginnen und Kollegen zeigen, wie wichtig und wirksam das Kneipp-Verfahren ist – und dass davon die Patientinnen und Patienten, aber auch die Ärztinnen und Ärzte selbst profitieren. Ärzte müssen ja auch für sich Wege finden, gesund und fit zu bleiben.

    Zur Person: Dr. Jakob Berger, 71, ist Sprecher der schwäbischen Hausärzte und praktiziert in Herbertshofen im Landkreis Augsburg.

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