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Interview: Hans Well: "Diese Revolution wird gerne totgeschwiegen"

Interview

Hans Well: "Diese Revolution wird gerne totgeschwiegen"

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    Hans Well faszinieren die Revolution 1918 und die Räterepublik, weil mit großem Idealismus eine gerechtere Gesellschaft geschaffen werden sollte.
    Hans Well faszinieren die Revolution 1918 und die Räterepublik, weil mit großem Idealismus eine gerechtere Gesellschaft geschaffen werden sollte. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Herr Well, Sie haben die Revolution 1918 und die darauffolgende Räterepublik 1919 in einem über zweistündigen Hörspiel nachgezeichnet. Es war die Revolution der Dichter, der großen Utopien, der Kampf um eine bessere Welt. Wie kam es dazu?

    Hans Well: Ausgangssituation war, dass damals der Erste Weltkrieg nach Hungersnöten der Zivilbevölkerung und einer militärischen Niederlage zu Ende ging. 1916/17 ging als Dotschnwinter, bei dem 700.000 Menschen verhungert sind, in die Geschichte ein. Und es stellte sich heraus, dass aus den Versprechungen der Regierenden vor dem Krieg nichts geworden war.

    Was wurde da versprochen?

    Well: Unter anderem, dass Antwerpen der Zugang für Bayern zum Meer sein wird und so weiter.

    Daran glaubte zu diesem Zeitpunkt kaum mehr einer.

    Well: In fast jeder Familie waren Söhne oder Väter gefallen. Aus diesem Chaos, dem Versagen der Eliten und des alten Systems entwickelte sich was Neues, das allerdings ohne Erfahrungswerte war. Kurt Eisner, ein Berliner Schriftsteller, und seine Mitstreiter trafen das Gefühl der Bevölkerung nach Veränderung. Sie stürzten den König und riefen den Freistaat Bayern aus. Das war ein komplett neues Staatsgebilde, auch um die Unabhängigkeit Bayerns gegen Preußen zu stärken. Von Berliner Reichswehrtruppen und Freicorps wurde die bayerische Revolution dann später niedergeschlagen.

    Woran ist die Revolution letztlich gescheitert?

    Well: Zum einen daran, dass Kurt Eisner, der erste Ministerpräsident Bayerns und führende Kopf der Revolution, nach vier Monaten von einem Rechtsradikalen erschossen wurde. Er war beliebt, zu seiner Beerdigung kamen über 300.000 Menschen. Zudem verunglückte der blinde Bauernführer Ludwig Gandorfer, die rechte Hand Eisners, bereits am zweiten Tag der Revolution tödlich. Er und sein Bruder Karl waren wichtig für Eisner, denn sie gewährleisteten, dass die Städte in dieser Zeit, wo viele hungerten, versorgt wurden.

    Es mangelte damals überall an Lebensmitteln.

    Well: Die Menschen hatten kaum was zu essen. Viele haben von der sozialistischen Regierung erwartet, dass sie ihre Probleme schnell lösen würde. Aber das konnte die natürlich nicht, denn das Land lag absolut am Boden.

    Was hat Sie denn bewogen, sich so intensiv mit der 1918er-Revolution in München auseinanderzusetzen?

    Well: Dass die Revolution ohne Blutvergießen ablief und mein Staunen über das, was sich damals in Bayern getan hat. Dass sich da Menschen mit großem Idealismus aufgemacht haben, eine bessere, gerechtere Gesellschaft zu schaffen, und wie brutal das am Ende niedergeschlagen wurde. Das war mir unbekannt, in meiner Schulzeit hab ich jedenfalls nichts darüber erfahren. Überhaupt wird diese Revolution ja gerne totgeschwiegen. Die Nazis haben diese Epoche instrumentalisiert und von "Novemberverbrechern" gesprochen. Dass die Dolchstoßlegende absoluter Unfug war, ist aber historisch eindeutig belegt.

    Wären Sie gerne Zeitzeuge gewesen?

    Well: Nein. Das war eine Zeit, in der ich ungern gelebt hätte. Die Armut, rundum Chaos, viele ungesühnte Verbrechen, weil der Ordnungsstaat ja zeitweise zusammengebrochen war, und dann das blutige Ende. Wenn man bedenkt, dass zwischen 1000 und 2000 Menschen nach dem Zusammenbruch für ihre Überzeugung sterben mussten, glaub ich, es gibt schönere Momente in der Geschichte.

    Hans Well schuf das Hörspiel zum 100. Jubiläum vom Freistaat Bayern

    Und wie kamen Sie dann drauf, daraus ein Hörspiel zu machen?

    Well: Weil unser Freistaat vor 100 Jahren mit der Revolution gegründet wurde. So einen Geschichtsstoff zu bündeln, Geschichte mit Geschichten so zu erzählen, das hat mich gereizt. Ein Hörspiel soll ja unterhaltsam sein. Mit Texten hochkarätiger Schriftsteller dieser Zeit wie Oskar Maria Graf, Viktor Klemperer, Ernst Toller usw. Sprechern wie Gert Heidenreich, Gisela Schneeberger, Johanna Bittenbinder, Heinz-Josef Braun, Bernhard Butz und Liedern und Musikstücken von den Wellbappn ist das gut gelungen.

    Wie konnten Sie solche Hochkaräter wie Schneeberger von so einem nicht kommerziellen Projekt überzeugen?

    Well: Allen, die mitgemacht haben, hat das Projekt gefallen, auch der Gisela. Es war gar nicht so leicht, für dieses Thema einen Verlag zu finden. Denn Profit ist damit nicht zu machen. Aber ein bisschen Gerechtigkeit darf nach 100 Jahren schon sein. Daran, dass die bayerische Regierung das kaum würdigt, sieht man, wie schwer sich die CSU bis heute mit der Tatsache tut, dass der Freistaat Bayern nicht von ihr und dem Ochsen-Sepp, sondern einem Sozialisten gegründet worden ist.

    Mehr als 2000 – auch vermeintliche – Anhänger der Räterepublik wurden in den Tagen und Wochen nach der Niederschlagung ermordet, von Standgerichten zum Tode oder zu langen Haftstrafen verurteilt. Das war ein Blutbad, das seinesgleichen sucht. Hing diese justizielle Verrohung mit dem verlorenen Krieg zusammen?

    Hans Well und seine Wellbappn, (von links) Jonas, Tabea und Sarah, geben Konzerte in ganz Bayern.
    Hans Well und seine Wellbappn, (von links) Jonas, Tabea und Sarah, geben Konzerte in ganz Bayern. Foto: Vicky Jeanty (Archivbild)

    Well: Die Justiz war damals sicherlich rechtsstehend. Bei der Einnahme von München wurde das Standrecht verhängt, bis Juni 1918 sind viele Arbeiter ohne Gerichtsverhandlung standrechtlich, also ohne Gerichtsurteil umgebracht worden. Das Ganze endete erst, als Freicorps 22 Mitglieder eines Kolping-Vereins brutal hingerichtet haben.

    Positive Errungenschaften der Revolution wurden totgeschwiegen

    Acht-Stunden-Tag oder Frauenwahlrecht waren positive Ausflüsse der Räterepublik. Warum ist diese Zeit bis heute so negativ, so chaotisch belegt?

    Well: Die positiven Errungenschaften der Revolution wurden hinterher totgeschwiegen. Vielleicht auch deswegen, weil die Revolution ja auch im Bürgertum Sympathisanten hatte. Und linke Ideen stellt man halt lieber als gescheitert dar.

    Gustav Landauer zum Beispiel wurde zum Beauftragten für Volksaufklärung, war für Bildung zuständig und hat dann den Rohrstock und die Hausaufgaben abgeschafft, er hat sich für Bewegung im Unterricht eingesetzt, dass die Schüler auch mal aufstehen dürfen. Das sind ja Sachen, die sehr modern sind.

    Well: Für die autoritär und sehr stark unter dem Einfluss der Kirche erzogene Gesellschaft war das in der Tat revolutionär. Erst in den 1980er Jahren schaffte man den lehrerzentrierten Unterricht ab.

    War das zu viel Revolution auf einmal für das gemeine Volk?

    Well: Bestimmt braucht alles seine Zeit. Vieles ist damals vielleicht zu schnell gegangen: die Abschaffung der Monarchie, die Republik. Das von Eisner eingeführte Frauenwahlrecht hat ihm ironischerweise bei den von der SPD erzwungenen Wahlen geschadet. Viele Frauen standen damals unter dem Einfluss der Kirche und wählten nicht Eisner, sondern die Konservativen.

    Wie hängt Ihrer Meinung nach der Nationalsozialismus mit der Räterepublik zusammen? War das das natürliche Gegenpendel der Geschichte?

    Well: Die Niederschlagung der Räterepublik Anfang Mai legte das Fundament für die Nazizeit. Die Brigade Erhard, die damals in München einmarschierte und viele Menschen niedermetzelte, trug damals schon das Hakenkreuz am Stahlhelm. Und die Stigmatisierung der Novemberrevolution und der Räterepublik durch die Rechten war ein guter Nährboden für die Nazis.

    Ist das zu viel reininterpretiert oder vielleicht doch wahr: War die Biermösl Blosn oder ist ihre heutige Gruppe, die Wellbappn, eine logische Folge der gescheiterten Münchner Revolution?

    Well: Nein, weil mir san ja net gescheitert. Und wenn ich heute zur Tragik dieser Revolution und des Lebens generell was Informatives, aber auch Absurd-Lustiges beitragen kann, soll mir das recht sein. Die Minderheit ist damals zwar gescheitert, sie hat aber Großes hinterlassen.

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