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Interview: Grünen-Europapolitikerin: „Das ist Verrat an Bayerns Lebensart“

Interview

Grünen-Europapolitikerin: „Das ist Verrat an Bayerns Lebensart“

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    Barbara Lochbihler war zehn Jahre deutsche Chefin von Amnesty International und leitet seit 2011 den Menschenrechtsausschuss im EU-Parlament.
    Barbara Lochbihler war zehn Jahre deutsche Chefin von Amnesty International und leitet seit 2011 den Menschenrechtsausschuss im EU-Parlament. Foto: Fred Schöllhorn

    Warum tun sich die Parteien so schwer, die Bürger für die Europawahl zu begeistern?

    Lochbihler: Also, ich erlebe im Wahlkampf ein Thema, das die Menschen mobilisiert wie Feuer: Das ist das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Daran sieht man, dass die Bürger europäische Standards etwa beim Verbraucher- und Umweltschutz behalten wollen. Auch wer über Bürokratie schimpft, sieht, dass europaweite Regeln auch etwas Gutes haben.

    Haben Sie keinerlei Vertrauen in die EU-Kommission, die das Abkommen aushandelt?

    Lochbihler: Wir wollen dieses Freihandelsabkommen nicht, weil es gegen demokratische Grundsätze verstößt. Wir hatten den Antrag gestellt, dass das Parlament über seine Ausschüsse von Anfang an in die Verhandlungen einbezogen wird. Das haben Konservative und Liberale mit ihrer Mehrheit abgeschmettert. Auch wenn sich jetzt CSU-Politiker wie Markus Ferber als Anwalt der Verbraucher aufspielen wollen.

    Die Mehrheit hat beschlossen, dass solche Verhandlungen ureigenste Aufgabe der Kommission ist, die den Abgeordneten Bericht erstattet, und das Parlament dann über den Vertrag abstimmt.

    Lochbihler: Das sehen wir nicht so. Eine Berichterstattung ein halbes Jahr bevor man nur noch Ja oder Nein sagen kann, ist eine Entmachtung des Parlaments. Die Konservativen haben abgelehnt, dass die Volksvertreter im Parlament mitverhandeln dürfen, und jetzt sehen wir, was dabei rauskommt: Der Widerstand der Bevölkerung ist groß.

    Es gibt viele Freihandelsabkommen, die kaum umstritten sind. Spielen die Grünen hier nicht unterschwellig auf Ressentiments gegen die USA an?

    Lochbihler: Nein, überhaupt nicht. Hier geht es nicht um einen ideologischen Streit. Hier geht es um die Art, wie wir in Europa leben. Wir sind gegen das Handelsabkommen, nicht, weil wir gegen Handel sind. Die USA sind unser wichtigster Handelspartner. Wir wollen aber nicht, dass unser gutes Leben in

    Noch laufen die Verhandlungen ja ...

    Lochbihler: Wir fordern den Stopp der Verhandlungen. Man kann unter transparenten Bedingungen neu über Handelsvereinfachungen reden, wo man das will. Aber wenn man die jetzigen Entwürfe liest, stellen sich einem die Haare auf, etwa bei Schiedsgerichten jenseits unserer Justiz. Amerikanische Unternehmen wie der Gen-Saatgut-Konzern Monsanto sagen ganz klar, sie wollen mithilfe des Abkommens auf den europäischen Markt. Ich vertrete aber die Bürger, die zu über achtzig Prozent gentechnisch manipuliertes Essen ablehnen. Deshalb sage ich Nein.

    Sie waren deutsche Generalsekretärin von Amnesty International, bevor Sie vor fünf Jahren ins EU-Parlament wechselten. Jetzt sind Sie dort Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses. Wo verspürten Sie mehr Einfluss?

    Lochbihler: Das ist sehr schwer zu vergleichen. Ich wollte sehen, ob ich auch als Politikerin Spielräume habe, hier Menschen zu helfen. Als Grüne bin ich Teil einer kleineren Fraktion, aber seit 2012 gibt es eine europäische Menschenrechtsstrategie, die ich aktiv mitgestalten konnte und die sich auf die EU-

    Was bringt diese Politik konkret?

    Lochbihler: Entscheidend ist, dass man für das einzelne Opfer von Menschenrechtsverletzungen etwas ändert. Länder-Listen sagen da wenig aus: Was nutzt es einem Gefangenen, der in Gambia gefoltert wird, wenn ihm jemand sagt, im Kongo ist es noch schlechter. Deswegen müssen wir sehr gezielt arbeiten. Hier haben wir als EU viele Möglichkeiten, in bestimmten Staaten etwas zu verbessern. Etwa, wenn man bei der Vergabe von Entwicklungshilfe darauf achtet, dass beispielsweise die Todesstrafe abgeschafft wird oder die Schulpflicht auch für Mädchen gilt.

    Sie waren jüngst in Katar, wo in acht Jahren die Fußball-WM stattfinden soll. Was ist dran an den Berichten über hunderte Tote auf Baustellen?

    Lochbihler: Die Missstände gibt es, bei den Zahlen muss man vorsichtig sein. Manche rechnen bisherige Unfälle auf noch nicht im Bau befindliche Sportstätten hoch. Das ist bei so schweren Menschenrechtsverletzungen unnötig, allein letzten Sommer sind über 70 Bauarbeiter aus Nepal gestorben. Arbeiter haben keinerlei Zugang zu kostenlosem Trinkwasser. Sie müssen es teuer kaufen. Viele starben daran, weil sie dehydriert waren. Unfälle sind neunmal häufiger als in Nachbarländern. Das Hauptproblem ist, dass zigtausende Ausländer ihren Arbeitgebern völlig ausgeliefert sind: Die Firmen entscheiden über Visum und Arbeitserlaubnis, aber brechen oft getroffene Zusagen. Tausende Arbeiter landen ohne Lohn in Abschiebehaft. Dieses System muss Katar dringend ändern.

    War es ein Fehler, die Weltmeisterschaft dorthin zu vergeben?

    Lochbihler: Wir sind nicht gegen solche Sportereignisse, die Zuwanderer sollen ja Arbeit haben. Im Prinzip richtet eine WM die Aufmerksamkeit auf Menschenrechtsverletzungen. Der beste Zeitpunkt, dagegen einzuwirken, ist aber vor der Vergabe. Die Fifa oder auch das Olympische Komitee sollten von vornherein Bedingungen für Menschenrechte stellen.

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