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Interview: Dieter Reiter: "München muss München bleiben"

Interview

Dieter Reiter: "München muss München bleiben"

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    Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter gibt den Takt vor in München. Vor allem das Thema Wohnen treibt ihn um. Er sagt: Die Stadt muss für die Münchner bezahlbar bleiben.
    Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter gibt den Takt vor in München. Vor allem das Thema Wohnen treibt ihn um. Er sagt: Die Stadt muss für die Münchner bezahlbar bleiben. Foto: Tobias Hase, dpa

    München boomt, es ist die wohl dynamischste Stadt Deutschlands. Trotzdem hat man das Gefühl, dass viele Münchner Angst vor weiterem Wachstum haben. Warum?

    Dieter Reiter: Viele Münchner erleben das rasante Wachstum eher negativ: die Mieten schnellen hoch, ständig stauen sich die Autos, es gibt tausende von Baustellen in der Stadt. Und unser öffentlicher Nahverkehr kommt an die Grenzen der Belastbarkeit.

    Die Welt strömt nach München?

    Reiter: Vielleicht nicht die ganze Welt, aber schon sehr viele Menschen. Und wir verzeichnen, was ja erfreulich ist, seit Jahren Geburtenrekorde. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren 200.000 Bürgerinnen und Bürger hinzugewonnen. Geplant wurden unsere U-Bahnen aber in den 1970er Jahren. Wenn sie sich in die überfüllten Züge drängen, spüren die Menschen jeden Tag die negativen Auswirkungen des Wachstums. Deshalb kann ich schon verstehen, wenn manche sagen: Wachstum – nein danke!

    Aber wenn die Bürger keine Lust auf mehr Wachstum haben, ist das für einen Wirtschaftsstandort doch ein Problem.

    Reiter: Um den Wirtschaftsstandort München mache ich mir derzeit keine Sorgen, im Gegenteil. Bei mir gehen häufig Anfragen von Unternehmen ein, die gerne nach München ziehen wollen – denen wir aber keinen Platz bieten können.

    Und denen sagen Sie schweren Herzens ab?

    Reiter: Ich versuche vor allem den ansässigen Unternehmen Entwicklungsperspektiven zu bieten. Neuansiedlungen sind für uns schwierig, zumindest für Unternehmen, die große Flächen brauchen. Wir geben lieber unseren großen Kernunternehmen die Möglichkeit zu expandieren. Oder Handwerksbetrieben und dem Mittelstand, denen wir ein Nachbargrundstück zum Kauf anbieten. Dass noch mehr internationale Konzerne kommen, ist für München nicht entscheidend.

    Dafür ist den Münchnern, obwohl sie in einer Millionenmetropole leben, anscheinend wichtig, dass es gemütlich bleibt. Ihr Wahlkampf-Slogan lautete „Damit München München bleibt“. Klingt, mit Verlaub, etwas provinziell.

    Reiter: Mir ging es bei dem Satz um etwas ganz anderes. Nämlich klarzumachen: Wir dürfen keine Stadt werden, die sich nur noch Reiche leisten können.

    Angesichts der Münchner Immobilien-und Mietpreise ist das doch faktisch schon so.

    Reiter: Wir Politiker müssen dafür sorgen, dass Mieterinnen und Mieter, die teilweise schon seit ihrer Geburt in München leben, sich auch in zehn Jahren ihre Miete noch leisten können. Und wir müssen auch weiterhin bauen, gerade als Stadt. Denn den öffentlich geförderten Wohnraum, den wir brauchen, schaffen private Investoren kaum.

    Da haben Sie ja jetzt einen Verbündeten in der Bayerischen Staatskanzlei. Der neue Ministerpräsident Markus Söder will auch viel mehr bauen.

    Reiter: Das begrüße ich grundsätzlich durchaus. Aber: Wir müssen in ganz anderen Dimensionen denken. Wenn in München pro Jahr 2000 öffentlich geförderte Wohnungen gebaut werden und Herr Söder jetzt für ganz Bayern 4000 verspricht, kann man an diesem Vergleich schon erkennen, dass der Freistaat sich hier deutlich mehr vornehmen muss. Immerhin hat die neue Bundesregierung entdeckt, dass Wohnungsbau nicht nur Aufgabe der Kommunen ist, und sich im Koalitionsvertrag dazu bekannt. Die Bundesländer, die diese Aufgabe im Rahmen der Föderalismusreform vor zehn Jahren übertragen bekommen haben, haben ihre Hausaufgaben schlicht nicht gemacht.

    Na ja, auch bei Ihnen in München, wo Sie entscheiden können, fehlen neue Wohnungen.

    Reiter: Wir müssen beim Bauen noch besser werden, das ist richtig. Immerhin haben wir bereits im letzten Jahr Baugenehmigungen für 13500 neue Wohnungen erteilt – deutlich mehr als je zuvor. Ich bin deshalb zuversichtlich, dass wir dieses Jahr unser Ziel von 8500 Neubauwohnungen auch erreichen werden. Aber Sie haben recht: Wir bräuchten eigentlich mehr. Unser Problem ist jedoch nicht, dass es an Geld fehlt oder die Verwaltung zu langsam arbeitet. Es fehlt einfach an Flächen in München.

    Deswegen wollen Sie ja jetzt in die Höhe bauen. Sieht München bald aus wie Frankfurt oder New York?

    Reiter: Deutlich höher und dichter zu bauen ist eine Variante. Ich bin deshalb seit einiger Zeit bei den Beratungen im Rahmen von Architektenwettbewerben mit dabei, um genau dafür zu werben.

    Aber verträgt sich das mit der Idee vom Millionendorf? Vielen Münchnern graut doch davor, dass bald Wohntürme die Frauenkirche überragen.

    Reiter: So weit wird es nicht kommen. Die Frauentürme werden natürlich auch weiterhin das Wahrzeichen Münchens bleiben. Aber Sie haben recht, bei Neubauprojekten gibt es immer wieder Kritik. Wenn ich diese allerdings zum Maßstab meiner Politik machen würde, müsste ich alle Bauprojekte sofort stoppen. Was aber richtig ist: Höhere Häuser – wir reden hier übrigens nicht über 100 Meter hohe Wolkenkratzer, sondern über Gebäude, die vielleicht 60 Meter hoch sind – werden unser Problem nicht lösen. Viel wichtiger wäre mir, dass wir bald fünf, sechs, sieben Stockwerke hoch bauen können. Und dass wir auch die vielen Flachdächer besser nutzen. Warum sollte darauf etwa nicht ein Sportfeld für eine Schule entstehen?

    Sie müssten doch nur wie früher bauen. Die alten Stadtteile Münchens sind sehr eng und hoch bebaut.

    Reiter: Es ist schon skurril: Wenn wir irgendwo neu bauen, heißt es immer, wir sollen nur nicht zu dicht bauen. Und genau in den Vierteln, die am dichtesten bebaut sind, ist es heute am allerteuersten: in der Maxvorstadt zum Beispiel, in Schwabing, in Haidhausen.

    Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter tanzt 2016 während des traditionellen Kocherlballs im Biergarten am Chinesischen Turm im Englischen Garten mit seiner Frau Petra.
    Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter tanzt 2016 während des traditionellen Kocherlballs im Biergarten am Chinesischen Turm im Englischen Garten mit seiner Frau Petra. Foto: Matthias Balk, dpa

    Apropos Preise: Ist irgendwo auch mal eine Grenze erreicht für Steigerungen in München?

    Reiter: Schwer zu sagen. Es gibt Grundstücke in unserer Stadt, die haben binnen weniger Jahre ihren Wert verdreifacht. Auf so teurem Boden entsteht natürlich kein bezahlbarer Wohnraum.

    Deswegen denken Sie gemeinsam mit Ihrem Vorgänger Hans-Jochen Vogel ja über eine Bodenreform nach. Klingt irgendwie nach Enteignung.

    Reiter: Lesen Sie mal die bayerische Verfassung. In ihr steht, dass ein leistungsloser Vermögenszuwachs durch Bodenwertsteigerungen der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen ist. Und auch im Grundgesetz ist im Artikel 14 von Sozialbindung des Eigentums die Rede. Um eines deutlich zu machen: Ich habe hohen Respekt vor Privateigentum und denke nicht, dass sich der Staat Eigentum – etwa durch Enteignung – einverleiben sollte. Trotzdem plädiere ich für eine Sozialbindung, etwa wenn Spekulanten Grundstücke kaufen und diese unbebaut lassen, bis sie noch mehr wert sind.

    Also wollen Sie eine Spekulationssteuer?

    Reiter: Brachflächen als reine Spekulationsgrundstücke sollten deutlich höher besteuert werden. Aber eins muss jedem auch klar sein: So entsteht immer noch keine einzige Wohnung.

    Ministerpräsident Markus Söder will das Baukindergeld vom Bund mit Mitteln des Freistaats aufstocken. Wird das helfen?

    Reiter: In München ist das Baukindergeld nicht so entscheidend. Viel wichtiger wäre ein brauchbarer Mietspiegel.

    Es gibt doch einen Mietspiegel…

    Reiter: Aber dessen aktuelle Systematik ist eine Katastrophe. Wenn man nur die Neuvermietungen und Erhöhungen der letzten vier Jahre als Grundlage nimmt, gibt es für die Mieten nur eine Richtung – nach oben. Man müsste die Bestandsmieten mit aufnehmen, dann würde der Mietspiegel ganz anders aussehen. Aber das blockiert die Union bislang, weil ihr die Rechte der Eigentümer wichtiger sind als die der Mieter.

    Auch sonst sind Sie mit der CDU-Bundeskanzlerin ja nicht so zufrieden. Im Diesel-Streit werfen Sie ihr Einknicken gegenüber der Autolobby vor.

    Reiter: Beim Diesel-Thema versteckt sich Frau Merkel. Wir – die Oberbürgermeister aller großen Städte – waren für Februar zu einem neuen Diesel-Gipfel mit ihr verabredet. Aber ich habe immer noch keine Einladung aus dem Kanzleramt bekommen.

    Warum schneidet Sie die Kanzlerin?

    Reiter: Ich glaube, dass ihr das Thema höchst unangenehm ist. Denn wir hatten vereinbart, dass beim nächsten Diesel-Gipfel die Automobilindustrie dabei sein muss. Das will Frau Merkel aber offenbar nun doch nicht. Wir Städte haben das Problem – und die Kanzlerin, die es lösen kann, hält sich bedeckt.

    Würde ein Fahrverbot in Innenstädten die Schadstoffproblematik denn lösen?

    Reiter: Das versteht doch jeder Grundschüler: Wenn weniger Autos fahren, wird weniger Stickoxid ausgestoßen.

    Aber einführen wollen Sie trotzdem keins.

    Reiter: Auf keinen Fall pauschale Fahrverbote. Das sagen wir Oberbürgermeister unisono seit einem Jahr. Es gibt ja auch noch andere Maßnahmen…

    Was ist also die Lösung des Diesel-Dilemmas?

    Reiter: Eine flächendeckende Umrüstung aller Dieselfahrzeuge, die neuer sind als Euro 4. Das muss aber die Kanzlerin anschieben, denn die Autokonzerne machen das natürlich nicht im Alleingang.

    Der geplante „Mobilitätsfonds“ für die Kommunen, immerhin eine Milliarde Euro schwer, überzeugt Sie nicht?

    Reiter: Mit Geld kann ich keine NOx-Partikel erschlagen. Natürlich freue ich mich über mehr Geld für den öffentlichen Nahverkehr oder den Ausbau der E-Mobilität, aber bis diese Maßnahmen wirken, dauert es. Das löst das Problem nicht, jedenfalls nicht kurzfristig. Die Bundesregierung muss die Automobilhersteller verpflichten, die Fahrzeuge, die noch umrüstbar sind – Euro 5 und Euro 6 alt – auf ihre Kosten auch umzurüsten. Nicht auf Steuerzahlerkosten. Denn das wäre die Bankrotterklärung der Politik gegenüber der Automobilindustrie.

    Oktoberfest 2017: Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter  überreicht die erste Maß Bier dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer.
    Oktoberfest 2017: Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter überreicht die erste Maß Bier dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Foto: Peter Kneffel (dpa)

    Sie reden immer von der Kanzlerin. Aber als Oberbürgermeister von München könnten Sie doch auch den hier ansässigen Autoriesen BMW unter Druck setzen.

    Reiter: Ich kann BMW keine Vorschriften machen, solange der Konzern sich im rechtlich zulässigen Rahmen bewegt. Da ist der Bundesgesetzgeber gefragt.

    Auch die Bundesregierung sagt, sie könne die Konzerne nicht zur Nachrüstung zwingen…

    Reiter: Das geht schon, wenn man es nur will.

    Auch Ihre Partei, die Bayern-SPD, will etwas, nämlich die absolute Mehrheit für Markus Söder verhindern. Schafft sie das?

    Reiter: Wir Sozialdemokraten haben es in Bayern bislang nicht geschafft, uns vom erschreckenden Bundestrend unserer Partei abzukoppeln. Dieser eklatante Verlust an Glaubwürdigkeit ist nur schwer aufzuholen. Das kann man den Genossen in Bayern nicht vorwerfen, sie sind ein guter Gegenpart zur CSU-Alleinherrschaft. Doch mit Themen durchzudringen ist gerade schwierig, weil man immer an der Bundespolitik gemessen wird. Ich habe aber die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die SPD im Oktober wenigstens zweitstärkste Kraft in Bayern bleibt.

    Zur Person: Dieter Reiter, 59, ist seit vier Jahren Oberbürgermeister von München. Der SPD-Politiker, der in Rain am Lech geboren ist, war zuvor Leiter des Wirtschaftsreferats der Landeshauptstadt.

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