Interview

Cybermobbing in Nördlingen: Was können Eltern und Betroffene tun?

    • |
    Kinder, die Opfer von Cybermobbing werden, trauen sich häufig nicht, darüber zu sprechen. Viele haben Angst, nicht ernst genommen zu werden.
    Kinder, die Opfer von Cybermobbing werden, trauen sich häufig nicht, darüber zu sprechen. Viele haben Angst, nicht ernst genommen zu werden. Foto: Alexander Kaya (Symbol)

    Als Mobbing-Experte beraten Sie seit Jahren Eltern und Lehrer. Wie schätzen Sie die Lage in Nördlingen ein?

    Jörg Breitweg: Der Fall geht eindeutig über Mobbing hinaus, die Veröffentlichung der Todesanzeige ist eine einzelne Gewalttat. Auf Grenzverletzungen wie diese muss eine Schule mit einer klaren Botschaft reagieren, die signalisiert, dass so etwas nicht geduldet und die betroffene Person geschützt wird.

    Wird mit strafrechtlichen Folgen für die Täter das Mobbing vorbei sein?

    Breitweg: Die Bereitschaft der Täter die betroffene Person auch in Zukunft fertig zu machen, was bei Mobbing der Fall ist, wird durch Sanktionen nicht automatisch unterbrochen. Mobbing ist ein systemisches Phänomen, das nicht nur von einzelnen Tätern getragen wird. Mobbing zu beenden heißt, die Bereitschaft zu beenden, eine Person weiterhin zu schikanieren.

    Wer kann das Mobbing dann stoppen?

    Breitweg: Eltern von Kindern, die gemobbt werden, können direkt nichts unternehmen. und versuchen die Angriffe zu stoppen, indem sie mit den Tätern oder deren Eltern reden, schadet das ihrem Kind nur. Schulen können Mobbing beenden, wenn drei Voraussetzungen gegeben sind.

    Welche sind die Voraussetzungen?

    Breitweg: Erstens braucht jemand Zugriff auf die Gruppe. Eine pädagogisch verantwortliche Person wie der Lehrer oder die Jugendsozialarbeiterin an der Schule muss auf die Klasse zugehen und eine klare Botschaft senden, die ankommt: Ich möchte, dass es bei uns fair zugeht.

    Zweitens?

    Breitweg: Lehrer kommen bei der Klärung von Mobbing nicht mit ihrem normalen Wissen zur Konfliktbewältigung durch. An der Schule muss es geschulte Fachkräfte geben, die über die Techniken verfügen, das System aufzubrechen. Es braucht spezielle Methoden.

    Und drittens?

    Breitweg: Es ist sehr wichtig, dass die Klärung von einer Person ausgeht, die lösungsorientiert arbeitet. Sie sollte sich nicht auf die Probleme der Vergangenheit konzentrieren, sondern auf die Zukunft. Mit der gesamten Gruppe sollte ein gemeinsamer neuer Weg gefunden werden, wie es zukünftig besser geht.

    Können Eltern gar nichts tun?

    Breitweg: Auf die Angriffe der Gleichaltrigen ihres Kindes haben Eltern keinen Einfluss. Aber sie können ihrem Kind nur beistehen, solange die Klärung andauert. Dabei hilft die Botschaft: „Es liegt nicht an dir.“ Mobbingopfer brauchen Entlastung. Gerade bei Cybermobbing ist es wichtig, dass Kinder sich trauen, offen darüber zu reden, was passiert. Viele Kinder haben Angst, dass Eltern ihnen das Smartphone wegnehmen, wenn sie zeigen, was passiert.

    Warum ist es so schwer, ganz offen über Mobbing zu sprechen?

    Breitweg: Mehr als die Hälfte der Kinder verschweigt es lieber. Viele haben Angst nicht ernst genommen zu werden oder wollen keine Petze sein. Viele machen auch die Erfahrung, dass sich ihre Lage durch falsches Handeln der Erwachsenen verschlimmert.

    Wo erhalten Eltern Hilfe?

    Breitweg: Eltern sollten sich zunächst an die Schule wenden, zuerst an den Klassenleiter. Sie sollten beachten, dass Schuldzuweisungen kontraproduktiv sind. Mobbing ist ein Phänomen, in dem alle in ihrer Rolle gefangen sind: als Täter, Mitläufer oder Verteidiger. In der Regel sind alle ohnmächtig. Es hilft eher zu beschreiben, was man wahrnimmt. Etwa: Ich habe festgestellt, dass mein Kind nicht mehr so gern zur Schule geht. Oder: Ich merke, dass mein Kind Botschaften aufs Handy bekommt, die beunruhigen. So können Schule und Eltern gemeinsam nach Lösungen suchen.

    Jörg Breitweg ist Experte für Gewaltprävention und Mobbing bei der Aktion Jugendschutz Bayern in München. Seit vielen Jahren berät und schult er Eltern und Lehrer in Sachen Mobbing.
    Jörg Breitweg ist Experte für Gewaltprävention und Mobbing bei der Aktion Jugendschutz Bayern in München. Seit vielen Jahren berät und schult er Eltern und Lehrer in Sachen Mobbing. Foto: Jörg Breitweg / Aktion Jugendschutz

    Was kann man tun, wenn die Schule nicht reagiert?

    Breitweg: Eltern sollten ihrem Kind immer wieder signalisieren: Ich bin bei dir, wir stehen das gemeinsam durch. Helfen weder Gespräche mit dem Klassenleiter, noch mit dem Direktorat oder Schulpsychologen, muss man sich gemeinsam mit dem Kind überlegen: Bleibt man in dem System, in dem man gemobbt wird? Oder hilft nur ein Schulwechsel?

    Wird es immer wieder Mobbing geben?

    Breitweg: Mobbing ist eine Form sozialer Unreife, die überall auftritt, unabhängig von Schulform, sozialer Klasse oder Kultur. Es hilft nur, Fairness und gute Zusammenarbeit zu lernen und immer wieder darüber zu sprechen: Was ist okay und was nicht? Wie streiten wir richtig? Und wann wehre ich mich adäquat? Wer das nicht lernt, wird häufiger Opfer von Mobbing.

    Zur Person Jörg Breitweg ist Experte für Gewaltprävention und Mobbing bei der Aktion Jugendschutz Bayern in München. Seit vielen Jahren berät und schult er Eltern und Lehrer in Sachen Mobbing.

    Lesen Sie auch Deshalb sind Mobbing-Täter so schwer zu fassen und den Kommentar: Gefälschte Todesanzeige veröffentlicht: Ein bedauerlicher Fehler

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden