Herr Blume, lassen Sie uns doch gleich mit dem neuesten Corona-Irrsinn anfangen: Es gibt in Bayern ein Beherbergungsverbot für Personen, die aus Corona-Hotspots außerhalb Bayerns kommen. Dieses Beherbergungsverbot gilt aber nicht für Reisende, die aus bayerischen Hotspots kommen. Können Sie das erklären?
Markus Blume: Wir treten jetzt in eine ganz entscheidende Phase der Corona-Pandemie ein. Deutschland steht am Scheideweg. Wir müssen sicherstellen, dass Infektionscluster vor Ort begrenzt bleiben, damit wir nicht in ein Infektionsgeschehen mit exponentieller Ausbreitung geraten. Das wäre nicht beherrschbar. Beherbergungsverbote sind ein vergleichsweise mildes Mittel, um zu erreichen, dass nicht aus anderen, zum Teil weit entfernten Regionen Infektionen nach Bayern hineingetragen werden. Innerhalb von Bayern machen solche Beherbergungsverbote wenig Sinn.
Es gibt Menschen, die zweifeln prinzipiell am Instrument des Beherbergungsverbots – unter anderem mit dem Argument, dass man in einem Hotel besser vorsorgen kann als zum Beispiel in einer Diskothek oder Kneipe.
Blume: Entscheidend ist, dass wir in der jetzigen Phase alles tun, um das Virus einzudämmen, und zwar deshalb, weil jenseits eines Inzidenzwerts von 50 der Staat nicht mehr in der Lage ist, die Nachverfolgung zu gewährleisten. Wenn das passiert, dann explodieren die Fallzahlen. Dann ist es nur noch eine Frage von wenigen Tagen oder Wochen, bis wir bei uns französische oder spanische Verhältnisse haben. Und dann ist es nur noch eine Frage von ein paar weiteren Wochen, bis die Krankenhäuser voll sind und ein weiterer Lockdown unausweichlich wäre. Deswegen müssen wir jetzt entsprechend reagieren. Wir wären gut beraten, die Erfolge der vergangenen sechs Monate nicht zu gefährden.
Nun gibt es einen grundsätzlichen Widerspruch: Einerseits will man einheitliche Regeln, um die Akzeptanz der Beschränkungen zu erreichen, andererseits heißt es, man müsse auf ein lokales Ausbruchsgeschehen lokal reagieren. Sehen Sie da einen Ausweg?
Blume: Corona erfordert für die jetzt vor uns liegende, sehr ernste Phase klare Leitplanken. Das heißt: Verbindliche Regeln, die in ganz Deutschland greifen, sobald bestimmte Werte überschritten werden. Dann lässt sich das sehr wohl zusammenbringen. Es nützt nichts, wenn in Bayern das Prinzip der Vorsicht gelebt wird und in Berlin die Unvernunft regiert.
Nennen Sie doch mal die wichtigsten Punkte. Was sollte man in einem allgemeinen Rahmen wie regeln? Und was sollte darüber hinaus lokal regeln?
Blume: Generell gilt: Wir brauchen bei steigenden Infektionszahlen mehr Maske im öffentlichen Raum. Eine Maskenpflicht muss überall gelten, wo Abstand nicht gewahrt werden kann. Wir brauchen einheitliche Quarantäne-Regeln für Menschen, die aus Risikogebieten kommen. Und wir brauchen einen einheitlichen Umgang mit Veranstaltungen, Alkohol, Partys und auch mit Kontaktbeschränkungen. Das sind die Leitplanken, die wir aufgrund unserer Erfahrungen in Bayern in der jetzigen Phase vorschlagen.
Was sollte, wenn das Ihre generellen Regeln sind, darüber hinaus lokal möglich sein?
Blume: Ein Mehr an Vorsicht kann bei Corona nie verkehrt sein. Da liegt es dann bei den Behörden vor Ort, mit weitergehenden Maßnahmen zu reagieren.
Ich möchte noch einmal auf die Eingangsfrage mit dem Beherbergungsverbot zurückkommen. Mal angenommen Stuttgart und München sind Hotspots mit einem Inzidenzwert größer als 50, dann darf ein Reisender aus Stuttgart nicht in Neu-Ulm übernachten, ein Reisender aus München aber schon. Das versteht doch kein Mensch!?
Blume: Ehrlicherweise sollte man bei so einem Infektionsgeschehen jedem raten, Reisen auf das absolut Notwendige zu beschränken. Da geht es in erste Linie um Eigenverantwortung. Wir sollten jetzt nicht Regelungen lächerlich machen, sondern verhindern, dass noch viel einschneidendere Maßnahmen zum Einsatz kommen. Wo das hinführen kann, zeigt der Blick nach Spanien. In Madrid regiert der Notstand, die Hauptstadt ist abgeriegelt. Das sind Verhältnisse, die wir definitiv in Deutschland nicht wollen.
Trotzdem ist die Regelung unverständlich.
Blume: Da muss ich um Verständnis bitten. Jeden Tag gibt es neue Entwicklungen bei der Verbreitung des Corona-Virus. Wir müssen unsere Strategie permanent anpassen, um das Ziel zu erreichen, einen zweiten Lockdown zu verhindern. Ich halte aber fest: Wir sind bisher gut durch die Krise gekommen, aber wir laufen Gefahr, die Kontrolle über das Virus wieder zu verlieren. Außerdem gilt: Mit einem negativen Testergebnis ist ein Urlaub weiterhin möglich. Allgemeine Reisebeschränkungen wären ein viel gravierenderer Eingriff.
Gleichzeitig führen Widersprüchlichkeiten und ein dauerndes Hin und Her zu Akzeptanzverlust und Abstumpfung. Haben Sie dagegen ein Rezept?
Blume: Hier kommen wir zu der Grundfrage, ob ein freiheitliches System dazu in der Lage ist, eine Pandemie entschlossen zu bekämpfen. Ich möchte nicht, dass am Ende von Corona die Erkenntnis steht, autoritäre Systeme seien besser geeignet, die Menschen zu schützen. Freiheit gibt es nur mit einem Höchstmaß an Verantwortung. Und wer Maske trägt, schützt nicht nur unsere Freiheit, sondern auch unsere Wirtschaftskraft und unsere Arbeitsplätze. Ich bin da zuversichtlich: Mehr als 80 Prozent der Bürger stehen laut Umfragen zu unserem Kurs der Vorsicht. Und mit Blick auf den Kreis der Ministerpräsidenten kann ich nur hoffen, dass jetzt jeder den Schlag gehört hat. Wir haben nur noch ein ganz schmales Zeitfenster, in dem wir es schaffen können,mit sehr verbindlichen Maßnahmen einen neuerlichen Lockdown zu vermeiden. Ob wir das hinbekommen, entscheidet sich am Mittwoch bei der Ministerpräsidentenkonferenz.
Werden Herr Söder und Frau Merkel sich dieses Mal durchsetzen?
Blume: Wir haben jetzt die Situation, dass fast alle Länder mit einem sehr dynamischen Infektionsgeschehen zu kämpfen haben. Insofern gibt es ein großes gemeinsames Interesse. Es gibt durchaus Signale, dass man sich auf den Weg von Vorsicht und Umsicht wird verständigen können.
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