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Interview: „Bayern ist kein Gottesstaat“

Interview

„Bayern ist kein Gottesstaat“

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    Bayerns Staatsregierung unter Ministerpräsident Markus Söder hat angeordnet, dass künftig in allen Behörden des Bundeslandes ein Kruzifix hängen muss. Was halten Sie davon?

    Die Angst der CSU vor dem Verlust der absoluten Mehrheit treibt immer bizarrere Blüten: Nach der Verbrüderung mit Orbán, Plänen einer völlig unverhältnismäßigen Verschärfung des Polizeigesetzes sowie der Kriminalisierung von kranken Menschen ist die Kreuzpflicht im „Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes“ der nächste groteske Vorstoß einer Regionalpartei, die zum wiederholten Male klare verfassungsrechtliche Vorgaben offen infrage stellt.

    Wie schätzen Sie den Vorgang rechtlich ein?

    Es ist ein offenkundiger Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht. Dabei bedeuten diese Neutralität und unsere Religionsfreiheit nicht die Freiheit von Religion. In unserer pluralen Gesellschaft gehören religiöse Symbole im täglichen Leben und öffentlichen Raum genauso dazu wie humanistische und säkulare Zeichen. Die Religionsfreiheit aus Art. 4 Grundgesetz begründet das Recht des Lehrers, ein Kreuz am Hals oder als Schülerin ein Kopftuch zu tragen oder das Recht, ein Wegekreuz aufzustellen. Der Wand eines staatlichen Gebäudes steht dieses Grundrecht aus gutem Grund nicht zur Verfügung.

    Söder sagt, es gehe ihm um die Rechts- und Gesellschaftsordnung…

    Die Behauptung zeugt von vollständiger Ignoranz gegenüber unserem Grundgesetz. Im Kruzifix-Urteil hat das Verfassungsgericht in aller Klarheit gesagt: „Aus der Glaubensfreiheit folgt im Gegenteil der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen. Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt.“ Auch Bayern ist kein christlicher Gottesstaat.

    Aber es gibt eine ausgeprägte christliche Tradition in Bayern und Söder sieht die Anordnung im Einklang mit dem Neutralitätsgebot. Irrt er?

    Die Pflicht zum Aufhängen von Kreuzen ist ein vorsätzlicher Affront. Er irritiert religiös nicht fest gebundene Menschen und Säkulare, die sich mit ihrer Religion oder Weltanschauung als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse degradiert fühlen müssen. Die Vereinnahmung des hoch religiösen Zeichens Kreuz dokumentiert aber auch eine massive Übergriffigkeit der CSU gegenüber Christinnen und Christen und den Kirchen.

    Wie sollte Horst Seehofer Ihrer Meinung nach mit dem Thema umgehen?

    Der Bundesinnen- und Verfassungsminister, der gleichzeitig CSU-Parteichef ist, muss diesem spalterischen, rechtspopulistischen und offen verfassungswidrigen Treiben der Landesregierung Einhalt gebieten. Das Agieren der CSU-Landesregierung diskreditiert ihn und sein Amt ansonsten massiv.

    Welche Schlussfolgerung ziehen Sie aus der bayerischen Kruzifix-Anordnung?

    Es bewahrheitet sich, dass die Vereinbarkeit des Vorsitzes einer Partei, die im bayerischen Wahlkampf auch vor den schrägsten Vorschlägen keinen Halt macht, mit der Arbeit eines Bundesinnenministers, der das Wohl des ganzen Landes im Blick haben muss, nicht zu vereinbaren ist. Horst Seehofer wäre gut beraten, wenn er den CSU-Vorsitz niederlegen würde, um deutlich zu machen, dass es ihm tatsächlich um das Land und nicht allein um die CSU und ihren Wahlkampf geht.

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