Am Ende des zweiten Verhandlungstages stehen alle im Kreis um den Firmenanwalt Alfred Sauter herum. Die Angeklagten aus der Inhofer-Familie, ihre Frauen, die Verteidiger. Sauter, CSU-Landtagsabgeordneter und früherer bayerischer Justizminister, spricht mit seiner dunklen, sonoren Stimme. Sogar den Angeklagten huscht ein Lächeln über das Gesicht.
Es ist gut gelaufen für die Chefetage des Möbelhauses. Sehr gut sogar. Sie hat unerwartet Schützenhilfe bekommen. Von Zeugen – und sogar vom Richter.
Der Vorsitzende Richter Wolfgang Natale selbst schraubt die Anklage herunter. Noch vor den ersten Zeugenbefragungen teilt er eine vorläufige Bewertung seiner Strafkammer mit: Die Vorwürfe der Umsatz- und Lohnsteuerhinterziehung aus der Anklage fallen nach Ansicht der Richter gegenüber dem Vorwurf des Sozialabgabenbetrugs nicht ins Gewicht. Ein klarer Hinweis an die Staatsanwaltschaft, zu prüfen, ob das Verfahren in diesen Punkten eingestellt werden soll. Schließlich sei dem Fiskus durch den Arbeitgeber kein echter Schaden entstanden. Die selbstständigen Verkäufer hätten ja Umsatzsteuer gezahlt.
Und Richter Natale geht noch weiter. Er regt an, dass die Anklage angesichts verschiedener Verjährungsproblematiken auf Fälle nach dem 1. Januar 2007 beschränkt werden soll. Angeklagt sind Fälle bis zurück ins Jahr 1999. Den beiden Staatsanwälten fällt dazu erst mal nicht viel ein. Entschiede das Gericht so, reduzierte das den ursprünglich angeklagten Schaden für den Fiskus und die Sozialkassen massiv. Die angeblich hinterzogenen Umsatz- und Lohnsteuern von rund 1,5 Millionen würden gänzlich entfallen. Die nicht gezahlten Sozialabgaben von gut 1,8 Millionen Euro würden sich laut Inhofer-Firmenanwalt Alfred Sauter um rund 650.000 Euro vermindern.
Blieben knapp 1,2 Millionen Euro Schaden. Vorausgesetzt, alle 49 Fälle von Scheinselbstständigkeit aus der Anklage würden auch verurteilt. Doch danach sieht es nach den ersten Zeugenaussagen nicht aus. Die befragten Möbelverkäufer und Aufmaßnehmer geben an, eigens Firmen gegründet zu haben, um regulär einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen zu können. Ein junger Handelsvertreter erklärt, es sei sein ausdrücklicher Wunsch gewesen, frei zu arbeiten. Er habe in den vergangenen Jahren auf diese Weise für verschiedene Möbelhäuser erfolgreich gearbeitet. Im Übrigen sei eine solche freie Tätigkeit durchaus branchenüblich gewesen, sagt der Zeuge und nennt die Namen anderer großer Möbelhäuser.
Ein anderer berichtet, er habe bei Inhofer kommen und gehen können, wann er wollte. Oft habe er nur an den umsatzstarken Freitagen und Samstagen gearbeitet. Und wenn am Samstagnachmittag ein Spitzenspiel in der Fußball-Bundesliga anstand, sei er einfach gegangen. Hintergrund: Eines der vielen Kriterien für Scheinselbstständigkeit ist, dass der Beschäftigte nicht frei über seine Arbeitszeiten bestimmen kann.
Ist die Staatsanwaltschaft zu hart eingestiegen?
Angesichts dieser neuen Situation mehren sich Stimmen von Juristen, dass die Augsburger Staatsanwaltschaft im Fall Inhofer zu hart eingestiegen sei. Dass die Verhaftungen der Familienväter Edgar Inhofer und Peter Schorr kurz vor Weihnachten überzogen gewesen seien. Bei Personalleiter Schorr gibt es noch eine Besonderheit: Ihm wurde als Haftgrund Verdunklungsgefahr genannt. Die Staatsanwaltschaft wollte ihm einen Strick daraus drehen, dass er begonnen hatte, die Verträge der Selbstständigen auf Festangestelltenverträge umzustellen.
Dazu hatte ihm aber der langjährige Inhofer-Hausanwalt Alexander Burger geraten. Burger selbst hat bei der Festnahme Schorrs zu Protokoll gegeben, dass er einen umstrittenen Passus in die neuen Verträge hineingeschrieben habe. Er legte das Mandat nieder. Dennoch wurde Schorr in U-Haft genommen.
Im Prozess ist auch bekannt geworden, dass die Anklagebehörde gegen alle Selbstständigen der Firma Inhofer ein Strafverfahren wegen Beihilfe eingeleitet hat. Das ist insofern ungewöhnlich, als den Inhofer-Chefs vorgeworfen wird, sie hätten Druck ausgeübt, damit die Leute als Selbstständige arbeiten.
Der nächste Verhandlungstag ist am 11. August. Am Vormittag kommen Zeugen, am Nachmittag hat das Gericht Zeit eingeplant für mögliche Verständigungsgespräche. Dass das Gericht am Mittwoch der Staatsanwaltschaft noch eine weitere Hausaufgabe gibt, ist für die Inhofers das Sahnehäubchen auf einen guten Tag: Die Ankläger sollen prüfen, ob gesperrtes Vermögen – fast zwei Millionen Euro – wieder freigegeben werden kann.