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Ingolstadt: Von der Frau zum Mann: Die Geschichte einer außergewöhnlich normalen Beziehung

Ingolstadt

Von der Frau zum Mann: Die Geschichte einer außergewöhnlich normalen Beziehung

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    Amelie und Jan in ihrer gemeinsamen Wohnung in Ingolstadt. Der 33-Jährige wurde als Frau geboren und entschied sich für eine Transition zum Mann – mit Hormontherapie und zwei Operationen.
    Amelie und Jan in ihrer gemeinsamen Wohnung in Ingolstadt. Der 33-Jährige wurde als Frau geboren und entschied sich für eine Transition zum Mann – mit Hormontherapie und zwei Operationen. Foto: Anna Katharina Schmid

    Sie haben ein Foto von ihrer ersten Begegnung, ein Polaroid. Beide tragen Sonnenbrillen und lachen auf dem Bild, auf Amelies Lippen glänzen Regenbogenfarben. Es ist nur ein flüchtiges Treffen über gemeinsame Freunde gewesen, doch beide erinnern sich gut daran. „Da war ich gerade zwei Wochen auf Testosteron“, erzählt Jan und schaut auf das kleine Polaroid. Es ist erst der Beginn seiner Transition zum Mann, einem Weg mit Tiefpunkten, unzähligen Dokumenten, doch einem klaren Ziel am Ende.

    Heute, etwa vier Jahre später, sitzen Amelie und Jan in der gemeinsamen Wohnung in Ingolstadt auf der Couch, er hat seinen Arm um sie gelegt. Das Vertrauen zwischen den beiden ist spürbar, die Nähe groß. Die Räume sind voll mit Fotos von Urlauben, strahlenden Gesichtern, Herzmomenten. „Ich bin angekommen“, sagt er.

    Jan lebte viele Jahre in einem weiblichen Körper

    In der Bundesrepublik leben der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität zufolge zwischen 60.000 und 100.000 Trans-Personen. Das Wort transgeschlechtlich bedeutet, dass sich Menschen nicht dem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde.

    Jan, der eigentlich aus Duisburg kommt, lebte viele Jahre seines Lebens in einem weiblichen, für ihn aber falschen Körper. Bereits als er drei Jahre alt war, wollte er nur noch kurze Haare tragen. „Ich habe auch oft gesagt, dass ich lieber ein Junge wäre“, erinnert sich der 33-Jährige. Diese Zeit ist unbeschwert für ihn, er ist einfach Kind, spielt ausgelassen, schwimmt mit Badehose.

    Jan als Kind bei der Einschulung.
    Jan als Kind bei der Einschulung. Foto: Anna Katharina Schmid

    Die Pubertät änderte einiges. „Jugendliche können so furchtbar sein“, sagt er. Jan wurde gemobbt und ließ sich als Reaktion die Haare wachsen, nicht, weil er es wollte. 2013 war ihm klar, dass sich etwas ändern muss, drei Jahre später macht er den ersten Termin: „Ich wusste, was tief in mir ist, ich konnte nicht mehr als Frau weiterleben.“ Während seiner Transition im Erwachsenenalter stand seine Familie hinter ihm und er erlebte nur wenige negative Reaktionen von außen. „Das liegt vermutlich daran, dass ich kaum rausgegangen bin und mich zurückgezogen habe.“

    Trans-Menschen erleben viel Hass, Gewalt und Diskriminierung

    Nach wie vor erleben viele Trans-Menschen Hass, Gewalt und Diskriminierung in der heutigen Zeit. Eine Studie der EU-Grundrechteagentur von Mai 2020 ergab, dass jede fünfte Trans-Person in den vergangenen fünf Jahren in Deutschland Gewalt erfahren hat. Viele Übergriffe geschehen auf offener Straße – und im Internet. 72 Prozent der Befragten gaben an, beleidigende oder bedrohende Nachrichten erhalten zu haben, 78 Prozent wurden Ziel von Hasskommentaren. Nur wenige zeigen die Vorfälle an.

    Jan, der als Bühnenmaler tätig ist, schlägt einen dicken Ordner auf, blättert durch die vielen Dokumente und Notizen. „Das gehört alles dazu“, sagt er. Psychotherapeutische Behandlungen, seitenlange Gutachten, ein richterlicher Beschluss für seine Namensänderung, eine Liste mit Operationen für die Krankenkasse: Die Transition, die Umwandlung von einem Geschlecht zum anderen, ist ein langwieriger Prozess.

    Die Hormontherapie schlug bei ihm nicht so an, wie sie sollte. Für seine Ärztin war er ein Ausnahmefall – trotz Testosterongaben menstruierte Jans Körper weiter. „Es war alles zu viel, eine Reizüberflutung.“ Er war aggressiv und litt unter starken Kopfschmerzen, konnte nicht schlafen, erzählt er. Dazu kamen die vielen Termine und Autofahrten. Eine Beziehung war in dieser Zeit das Letzte, was er wollte. „Ich war im Wandel und konnte nur nehmen, nicht geben. Das ist nicht fair in einer Partnerschaft.“ Amelie schmunzelt. „Und schwupps, da war ich.“ Die beiden trafen sich einige Monate nach ihrer ersten Begegnung wieder.

    „Ich weiß jetzt, wie sich Hitzewallungen anfühlen“

    Für Amelie war klar: „Mich hatte es erwischt, ich war voll in love.“ Dass er keine Beziehung wollte, traf sie – hielt sie aber nicht ab. „Egal, ob das in einer Beziehung endet oder in Freundschaft: Ich wusste, in jedem Fall habe ich einen wahnsinnig tollen Menschen dazugewonnen.“Auch die Vergangenheit ihres Freundes machte für sie keinen Unterschied: „Jan ist ein Mann.“ Und für ihn wird sie zur wertvollen Stütze. In seiner schlimmsten Zeit ist Amelie an seiner Seite, wie Jan erzählt. Besserung im Hormonchaos brachte schließlich die Hysterektomie, die Entfernung der Gebärmutter, Eileiter und Eierstöcke. Die Menstruation blieb aus, dafür durchlebte Jan ein anderes Stadium: die Wechseljahre. „Ich weiß jetzt, wie sich Hitzewallungen anfühlen“, sagt er und lacht.

    Langsam näherte sich sein Äußeres dem an, was er im Inneren fühlte. Während der Hormontherapie kam Jan in den Stimmbruch und witzelte mit seinen Kollegen über seine piepsige Stimme. In einem nächsten Schritt ließ er sich die Brüste entfernen. Aus seinen Dokumenten, Zeugnissen und Ausweisen verschwand der alte Name, den Jan heute weder hören noch lesen will.

    Weitere angleichende Operationen kommen für ihn im Moment nicht infrage. Es gibt Möglichkeiten für einen Penis-Aufbau aus Haut und Muskeln, doch Jan sind die gesundheitlichen Risiken zu hoch. Das Paar ist glücklich, wie es gerade ist. Ob sie etwas besonders macht? „Nur die Familienplanung“, sagt Jan. Die sei nicht auf natürlichem Wege möglich. Doch es gebe auch andere Paare, die aus gesundheitlichen Gründen keine Kinder bekommen könnten, sagt Amelie. Sie würden gerne ein Kind adoptieren und freuen sich auf die Zukunft als Familie. „Von dem her sind wir wie alle anderen auch.“

    Info: Am 17. Mai ist der internationale Tag gegen Transphobie. Unter www.regenbogenportal.de gibt es mehr Informationen.

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