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Vom Machtpolitiker zum Ruhestands-Genießer: Horst Seehofers neues Leben mit 75

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Horst Seehofer wird 75: Ein Machtpolitiker im Rentnerparadies

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    Politrentner Horst Seehofer in seinem Garten im Ingolstädter Stadtteil Gerolfing.
    Politrentner Horst Seehofer in seinem Garten im Ingolstädter Stadtteil Gerolfing. Foto: Marcus Merk

    Der Mann, der einst Bayern als die Vorstufe zum Paradies bezeichnet hatte, schaut von der Terrasse aus auf all die Sträucher, Blumen und Gräser, die sich ringsum ranken. "Das ist alles das Werk meiner Frau", sagt er bewundernd. Ein paar Hummeln fliegen von Blüte zu Blüte, zwei Schnecken kriechen auf einer Steinkugel, die inmitten eines Wasserspiels steht. Seine Frau jammert ein bisschen, dass es heuer ja quasi eine Schneckenplage gibt. Ihr Mann mosert leise, dass es ziemlich kompliziert sei, mit dem Rasenmäher um all die Wege und Biegungen herumzumanövrieren, "das können Sie sich gar nicht vorstellen". Ein ganz normales Rentner-Szenario.

    Aber es ist kein normaler Rentner. Horst Seehofer wird am Donnerstag 75 Jahre alt. Er lebt in einem Paradies, das seine Frau in den vergangenen 40 Jahren geschaffen hat, als er selbst nur wenig in seinem Einfamilienhaus im Ingolstädter Stadtteil Gerolfing war. 1980 ist der Ingolstädter mit 31 Jahren in den Bundestag eingezogen. In Bonn ist er unter Kohl Gesundheitsminister geworden, in Berlin im Kabinett Merkel Landwirtschaftsminister, zuletzt Innenminister. Fast zehn Jahre lang war er bayerischer Ministerpräsident. Ein Leben für die Politik. Vor drei Jahren war Schluss. Seehofer war 72 Jahre alt, als er der großen Bühne "Auf Wiedersehen" sagte. Seitdem ist er weg. Sein Radius ist kleiner geworden, er beschränkt sich meist auf die gut 30 Kilometer zwischen Ingolstadt und seinem Ferienhaus im Altmühltal. Er will in keine Talkshow mehr, auch wenn die Anfragen da sind. Er will nicht mehr gefragt werden, wenn es um Söder oder um die Ampel geht. "Wenn man aufhört, muss man loslassen", sagt er. 

    Herzmuskelentzündung: 21 Tage lang lag Seehofer auf der Intensivstation

    Seehofer hat den radikalen Bruch mit der großen Politik geplant. Viele hatten nicht geglaubt, dass er jemals loslassen kann. Denn schon einmal wollte er kürzertreten und hat es doch nicht getan. Bei der CSU-Klausur 2002 in Wildbad Kreuth hatte sich Seehofer nicht gut gefühlt. Daheim brach er zusammen, im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte eine Herzmuskelentzündung. 21 Tage lang lag er unter dem Decknamen "Kowalski" auf der Intensivstation im Klinikum Ingolstadt. Es sah nicht gut aus, die Herzleistung lag bei sieben Prozent, eine Herztransplantation stand im Raum. "Überlebe ich das überhaupt?", fragte er sich mit dem Blick auf die Monitore. Er überlebte, macht eine lange Reha, schraubte seine Herzleistung wieder hoch auf 50 Prozent und machte weiter mit dem, was ihn fast das Leben gekostet hätte: die große Politik. Als die CDU 2005 wieder an die Regierung kommen wollte, "habe ich meine alte Kampfeslust wieder gefunden", sagt er heute.

    Gekämpft hat er sein Leben lang. Der Vater war Bauarbeiter und musste schwer schuften, um die Familie mit den vier Kindern durchzubringen. Ans Gymnasium, gar an ein Studium, war im Hause Seehofer nicht zu denken, dafür war kein Geld da. Horst Seehofer ging stattdessen auf die Realschule. Am besten war er in Sport und Religion, auch beim Betragen, so erinnert er sich, hatten die Lehrer nur Lob übrig. Aufgefallen ist er nicht sonderlich, war eher einer der Schüchternen. Die Eltern hatten für die Zukunft der Kinder nur einen Wunsch: Sie sollten es später einmal besser haben, sollten sich nicht so abrackern müssen, dass am Ende die Knochen kaputt sind. "In Deutschland war der Aufstieg möglich", sagt Seehofer. "Man war nicht gebrandmarkt von der Herkunft."

    Mit 16 stellte die Mutter Horst Seehofer im Landratsamt vor

    Gefragt worden ist Horst Seehofer nie, was er später einmal machen möchte. Als er mit 16 Jahren den Abschluss in der Tasche hatte, hat ihn die Mutter an die Hand genommen und im Ingolstädter Landratsamt vorgestellt. Ganz unten fing er an, Besoldungsstufe A1, um die 150 Mark gab's im Monat, "und davon hab' ich zu Hause auch noch was abgeben müssen". Sein jüngerer Bruder Dieter, mit dem er sich jahrelang ein altes Bett teilen musste, hatte auch keine Wahl, ihn brachte die Mutter zur Ingolstädter Sparkasse. Viele Jahre später wurde er deren Vorstandsvorsitzender. Da hatte er seinen großen Bruder, den späteren Ministerpräsidenten, beim Einkommen längst überholt. 

    Horst Seehofer als Bundesinnenminister in Berlin.
    Horst Seehofer als Bundesinnenminister in Berlin. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Die beiden Seehofer-Brüder sehen sich jetzt im Ruhestand wieder häufiger. Schon allein deshalb, weil sie sich hin und wieder bei ihren gemeinsamen Engagements über den Weg laufen. Der Lions Club gehört dazu, aber auch der FC Ingolstadt. Das Ziel: Sie wollen die Ingolstädter Fußballer wieder erstligatauglich machen. Sport war Seehofer schon immer wichtig, vor seiner Politikerkarriere spielte er Handball beim ESV. Inzwischen setzt er sich lieber auf seinen Hometrainer oder radelt mit seiner Frau Karin an der nahen Donau entlang. Durch den Gerolfinger Eichenwald, an den Baggersee, manchmal auch nach Neuburg. Er will fit bleiben im Ruhestand, das hat er sich fest vorgenommen. Mehr als 20 Jahre nach seiner Herzmuskelentzündung verweist er auf seine exzellente Gesundheit. Der Blutdruck, die Blutwerte – noch nie seien die so gut gewesen wie mit 75 Jahren: "Das merkt man, wie schnell sich der Körper regeneriert, wenn man keine Verantwortung mehr hat", sagt Seehofer. "Ist die weg, dann hat man ein ganz anderes Leben."

    Bei der CSU in Ingolstadt macht Seehofer jetzt den Krisenmanager

    Die Verantwortung tragen jetzt andere. In Berlin, in München, aber auch in Ingolstadt. Dort ruft die krisengebeutelte CSU aber gerade wieder nach Seehofer und der steht parat. Man braucht jemanden, der sich auskennt mit Machtkämpfen, Niederlagen und dem Wieder-Aufstehen. Gegen den Kreisvorsitzenden ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen möglicher Untreue, intern gibt es ein nie dagewesenes Hauen und Stechen um die Macht und dann müssen die Christsozialen aus dem Stand auch noch einen OB-Kandidaten präsentieren, nachdem Amtsinhaber Christian Scharpf (SPD) kürzlich angekündigt hat, nach fünf Jahren im Amt als Wirtschaftsreferent nach München wechseln zu wollen. Jetzt soll Seehofer, das Stehaufmännchen der Politik, der Retter aus dem Schlamassel sein. Er weiß, wie das geht. Nach seinem Rückzug im Streit um die Kopfpauschale galt Seehofer politisch als erledigt - und kam wieder zurück als Landwirtschaftsminister. Als öffentlich geworden ist, dass seine Geliebte in Berlin ein Kind von ihm erwartet, schien es vorbei zu sein mit der politischen Karriere. Ein Jahr später wurde er Ministerpräsident. Seehofer mischt im Hintergrund wieder mit in der Politik, in der Gesellschaft, ist dabei in unzähligen WhatsApp-Gruppen. Der Radius aber reicht kaum über Ingolstadt hinaus. 

    Hier hat er auch seine Freunde. Nicht in Berlin, nicht in München. Mit denen er sich jetzt an den Stammtischen trifft, die kennt er seit Jahrzehnten. Hermann Regensburger, der frühere Staatssekretär, gehört dazu. Er hat Seehofer einst beim Kegeln einen Bierdeckel hingeschoben, auf dem der seinen Beitritt zur JU erklärt hat – inklusive Rücktrittsoption. Mit den anderen hat er früher Handball gespielt, jetzt ist er froh, dass er sie ihn trotz der jahrelangen Funkstille wieder aufgenommen haben in ihren Freundeskreis. Er, der Einzelkämpfer, sagt heute: "Menschen sind ein Gemeinschaftsgeschöpf."

    Wenn Seehofer allein sein will, geht er in den Keller zu seiner Modelleisenbahn

    Wenn Seehofer die Einsamkeit braucht, dann taucht er ab in den Keller seines Ferienhauses im Altmühltal. Einst hat es den Schwiegereltern gehört, heute trifft sich die Familie Seehofer dort, wenn die drei gemeinsamen Kinder zu Besuch kommen. Dort haben sie mehr Platz als in Gerolfing, schließlich gibt es inzwischen auch drei Enkelkinder im Alter von einem, drei und vier Jahren. Ein Opa, der stundenlang mit den Kindern Lego spielt oder Puppen anzieht, sei er nicht, gibt Seehofer zu. Er verzieht sich dann gerne mal in den Keller, wo seit 30 Jahren seine Modell-Eisenbahn steht. Er hat alles selbst programmiert und gebaut. All die Gebäude, die irgendwann eine Rolle gespielt haben in seinem Leben. Ein Bauerhof steht da als Symbol für seine Zeit als Landwirtschaftsminister, ein Krankenhaus, das an den Gesundheitsminister Seehofer erinnert. Der bayerische Fachwerkbahnhof heißt Schwarzburg. Die Bahnhofsvorsteherin Merkel, sagt Seehofer, hat er inzwischen etwas zurückgestellt. Früher landete sie auch schon mal auf der Fensterbank; immer dann, wenn's Streit gab. Noch denkt er darüber nach, wie die Staatskanzlei und das Innenministerium ihren Platz finden sollen in der Anlage. 

    Seine Biografie hat der frühere Ministerpräsident noch nicht angepackt

    Vielleicht wird eines Tages dort auch ein Nachbau der Franziskanerkirche stehen. Denn auch die ist ein Fixpunkt in seinem Leben. Es ist einer der Orte seiner Kindheit, die er jetzt, im Alter, wieder ganz neu entdeckt. Sie steht mitten in der Stadt, direkt neben dem Amtsgericht. Es war seine Beichtkirche, als er ein kleiner Bub war. Nach der Beichte gab's kleine Bildchen als Nachweise, die man den Eltern präsentiert hat. Im vergangenen Jahr verließen die letzten Mönche das zugehörige Kloster und im Bistum Eichstätt dachte man offenbar darüber nach, die Kirche zu entweihen, im Kirchenjargon spricht man von Profanierung. "Das kann nicht sein", schoss es Seehofer, eng befreundet mit dem Eichstätter Bischof, durch den Kopf. Am Ende wurde Seehofer zum Kirchenretter. Er initiierte einen Freundeskreis, in der Kirche gibt es wieder Gottesdienste. Nächstes Jahr feiert sie ihr 750-jähriges Jubiläum.

    Viele seiner Vorhaben für den Ruhestand ist Seehofer angegangen, eines nicht: seine Biografie. Im Keller lagern die unzähligen Kisten mit Unterlagen aus seinem Politikerleben. Noch hat er sie nicht angerührt. Vielleicht nach der Wahl? Vielleicht überhaupt nicht? Seehofer hadert damit, wie viel Wahrheit sein Buch verträgt. "Eine langweilige Geschichte liest keiner", sagt er. "Und wenn ich es spannend schreibe, dann gibt's nur Ärger.“

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