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Holzkirchen: Der Kuhglocken-Streit eskaliert: Das sagt die Bäuerin

Holzkirchen

Der Kuhglocken-Streit eskaliert: Das sagt die Bäuerin

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    Ein Bild aus dem Sommer 2017: Regina Killer hat ihre Kälber auf der Weide zum Grasen - mit Kuhglocken. Der Nachbar dahinter verklagt sie deswegen seit Jahren.
    Ein Bild aus dem Sommer 2017: Regina Killer hat ihre Kälber auf der Weide zum Grasen - mit Kuhglocken. Der Nachbar dahinter verklagt sie deswegen seit Jahren. Foto: Thomas Plettenberg (Archiv)

    Regina Killer weiß, dass sie ihr Problem anschaulich machen muss. Erst recht jetzt, im Winter, wo die Kühe und das Jungvieh im Stall stehen. Wo eine dicke Schneeschicht die Weide verschluckt hat. Darum hat die Bäuerin das Streitobjekt an die Stalltür gehängt. Jetzt steht sie da, in schwarzem Fleecepulli und Gummistiefeln, greift nach der Kuhglocke, wiegt sie hin und her, wie es ihre Tiere wohl tun würden. Und sagt: „Ganz ehrlich, klingt so ein Presslufthammer?“

    Damit ist man schon mittendrin in dem Drama, das im Landkreis Miesbach spielt und als Kuhglockenstreit von Holzkirchen bekannt geworden ist. Am Mittwoch soll es am Oberlandesgericht in München eine Entscheidung geben. Für Regina Killer, die Bäuerin aus dem Ortsteil Föching, ist das Geräusch der Kuhglocken kein Lärm. Im Gegenteil. Wenn sie abends im Bett liegt und die Glocken hört, erzählt sie, habe das auf sie eine einschläfernde Wirkung.

    Einer, der quasi Killers Nachbar ist, sieht das anders. Das Gebimmel raube seiner Frau und ihm die Nachtruhe, sagt er. Selbst mit Ohrstöpseln könnten sie nicht schlafen. Irgendwann hat er gemessen und festgestellt: Mehr als 80 Dezibel seien die Kuhglocken laut. Fast wie ein Presslufthammer. Erst hat er geklagt. Dann seine Frau.

    Regina Killer schüttelt den Kopf und geht voran – durch den Stall, vorbei an der Maschinenhalle und dem Silo. Dann zeigt sie über die verschneiten Felder nach Westen. Um die 500 Meter sind es bis zu der Weide, auf der ein Teil ihrer Kälber im Sommer grast. Direkt dahinter beginnt der Weiler Erlkam und damit das Grundstück der lärmempfindlichen Nachbarn. Zugegeben, Nachbarn im weitesten Sinne.

    Der Nachbar gibt so lange keine Ruhe, bis er endlich Stille hat

    2011 hat der Unternehmer, der mit teuren Autos handelt, das alte Bauernhaus dort gekauft; hat, wie es heißt, viel Geld reingesteckt und es umbauen lassen, bis es nicht mehr nach Bauernhaus aussah, sondern nach einem modernen Bungalow mit großen Fenstern und weitläufigem Garten. Was sich der Mann hier erhoffte, hat er immer wieder vor Gericht klargemacht: Stille. Wie es scheint, wird er so lange keine Ruhe geben, bis er sie hat.

    In diesen Tagen stehen die Kühe von Regina Killer im Stall in Holzkirchen.
    In diesen Tagen stehen die Kühe von Regina Killer im Stall in Holzkirchen. Foto: Sonja Krell

    Nun ist der Streit zwischen der Bäuerin und den Anwohnern kein Einzelfall. Fast ein Drittel der Haushalte in Deutschland, so legt es eine Umfrage nahe, hat Streit mit den Nachbarn. Und es gibt so einiges, worüber man sich aufregen kann: Der Geruch aus der nahen Backstube, der einem neu zugezogenen Paar am Tegernsee dermaßen stinkt, dass es einen Anwalt einschaltete. Ja, es gibt sogar Leute, die sich am nächtlichen Schlagen der Kirchenglocken stören, etwa im oberfränkischen Pegnitz. Die Glocken mussten fortan schweigen.

    Vielleicht hat der Kuhglockenstreit auch deshalb so hohe Wellen geschlagen, weil er Traditionen infrage stellt. Ja, sogar einen Eckpfeiler bayerischer Identität. Hier, wo die Häuser mit Holz verkleidet und mit Fensterläden geschmückt sind, wo das Alpenvorland so aussieht, wie man es sich vorstellt. Regina Killer sitzt am Esstisch in der Stube, in der Ecke vor ihr das Kreuz, daneben die Muttergottes, hinter ihr auf dem Herd köcheln die Kartoffeln. Eigentlich hat die 43-Jährige nicht viel Zeit, über das Gezänk zu reden. Sie macht es trotzdem, weil es ihr um die Sache gehe, sagt sie. Um das Brauchtum, die Bauern, die schon auf dem Land lebten, bevor andere hierherkamen, um Ruhe zu finden.

    Regina Killer will den Hof erhalten, das hat sie ihrem verstorbenen Mann versprochen

    Killer schiebt die Ärmel ihres Pullovers nach hinten. Man sieht ihren kräftigen Unterarmen an, dass sie zupacken kann, dass sie sich durchboxt, wenn es darauf ankommt. Das habe sie gelernt, sagt sie, seit ihr Mann vor 14 Jahren gestorben ist und sie allein mit den Kindern dastand – fünf und zwei Jahre alt. Ihr Ziel war es, den Schwemmer-Hof mit seinen 30 Hektar Land und den 40 Kühen zu erhalten. „Das hab ich meinem Mann ins Grab versprochen.“

    Als die Bäuerin im Juli 2014 die Wiese pachtete, kannte sie die Anwohner noch nicht. Im Juni 2015 ließ sie dort zum ersten Mal vier Kälber weiden, drei mit Glocke. „Es hat keine 14 Tage gedauert, da standen die Nachbarn vor der Tür.“

    Nun waren sie nicht unfreundlich. Oder gar unverschämt. Man habe normal miteinander geredet, sagt Killer. Die Nachbarn hätten sich halt beklagt, dass sie nicht mehr schlafen könnten bei dem Lärm. Und sie habe sich breitschlagen lassen, die Glocken abzunehmen – bis auf eine. In Killers Gesicht haben sich rote Flecken gebildet. „Die eine, hab ich gesagt, bleibt dran!“

    Ja, sie ahnt schon, was jetzt kommt. Die Frage nach dem Warum. Warum es diese Kuhglocken braucht, wo die Tiere doch eingezäunt sind. Aber wenn wieder einer dieser Heißluftballons über der Weide schwebt und die Leute darin wie wild winken, sagt sie, bringt das die Kälber aus der Fassung. „Die laufen einfach durch den Zaun. Und wenn die einmal weg sind, finde ich die ohne Glocke so schnell nicht wieder.“ Alles schon passiert.

    Zwischen 19 und 7 Uhr müssen die Glocken schweigen

    Mit dieser einen Glocke jedenfalls ist aus dem, was als Unstimmigkeit unter Nachbarn begann, ein Drama geworden, das sich von Instanz zu Instanz zieht. Seit mehr als drei Jahren. „Da blickt man bald nicht mehr durch“, sagt Regina Killer. Sie steht auf, geht ins Büro und holt den gelben Ordner, in dem sie all die Unterlagen abgeheftet hat. Das Schreiben von den Nachbarn, in dem sie die Bäuerin kurz nach dem Treffen aufforderten, binnen zwei Tagen auch die letzte Glocke abzunehmen. Die einstweilige Verfügung, die sie eine Woche später erwirkten. Zwischen 19 und 7 Uhr, ist da zu lesen, müssen die Glocken auf der Weide schweigen. Strafe bei Zuwiderhandlung: 250.000 Euro oder bis zu sechs Monate Ordnungshaft. Killer sagt: „Da denkt man doch, man ist im falschen Film.“ Trotzdem nahm sie die letzte Glocke ab.

    Was den Nachbarn in jener Zeit durch den Kopf ging, ist schwer zu sagen. Er, Mitte 50, hat ein paar Interviews gegeben. Seither will er nicht mehr reden. „Wir geben keine Stellungnahme ab“, sagt er am Telefon. Auch der Anwalt möchte nichts sagen. Das mag auch an dem liegen, was passiert ist. Im Feuerwehrhaus, im Raiffeisen-Lager, wo die Bauern ihr Saatgut kaufen, oder im Handarbeitsgeschäft sammelten die Holzkirchener Unterschriften für Regina Killer und ihre Kuhglocken – 2623 an der Zahl. Die Bäuerin bekam Schreiben von wildfremden Menschen, die vom Klang der Kuhglocken schwärmten und sie bestärkten, sich zu wehren. Beim Nachbarn dagegen sollen Drohbriefe gelandet sein – und eine Warnung, man werde ihm Gülle vor die Tür kippen.

    Als man sich im September 2015 vor dem Amtsgericht Miesbach traf, sagte der Kläger: „Ich habe nichts gegen Kühe allgemein, das ist ein Irrtum.“ So berichtete es der HolzkirchnerMerkur. Beide Seiten schlossen einen Vergleich: Nur auf der Südseite der Weide sind Glocken zugelassen. Im Norden dürfen zwar Kühe grasen, aber ohne Glocken. Die Richterin wünschte eine entspanntere Nachbarschaft. Regina Killer sagt heute: „Ich wusste schon: Da ist noch keine Ruhe.“

    Die Bäuerin am Esstisch: Der Streit mit den Nachbarn füllt mittlerweile einen ganzen Ordner.
    Die Bäuerin am Esstisch: Der Streit mit den Nachbarn füllt mittlerweile einen ganzen Ordner. Foto: Sonja Krell

    Jetzt geht es um Gülle, Gestank und Weidestechfliegen

    Wieder kamen Briefe vom Anwalt. Und eine Klage, die 2017 vor dem Landgericht München II verhandelt wurde. Der Nachbar wollte die Weidehaltung vor seinem Haus verbieten. Es ging nicht mehr nur um Kuhglocken, sondern auch um Gülle-Gestank, die Gefahr durch Weidestechfliegen, die der Kuhmist anlocke. Die Nachbarn litten inzwischen unter Schlaflosigkeit und Depressionen, führten sie an. Das Gericht wies die Klage ab und nannte als Grund den Vergleich, den beide Seiten 2015 geschlossen hatten.

    Zu dieser Zeit ist der Kuhglockenstreit längst zum Kulturkampf stilisiert worden: Autohändler gegen Bäuerin, der Stadtmensch, der auf dem Land seine Ruhe haben will, gegen die Bäuerin, die dort wirtschaftet. Regina Killer sagt, so stimmt das nicht. Der Nachbar mag mit dem Dorfleben wenig am Hut haben, sagt sie, aber er wohne seit vielen Jahren im Oberland. „Er ist einfach ein streitsüchtiger Mensch. Es geht ihm nur ums recht haben.“

    Killer geht es natürlich auch ums Recht. Ums Prinzip. Und ums große Ganze. Das, was das Leben auf dem Land ausmacht. „Wenn es so weitergeht“, hat sie damals vor Gericht gesagt, „ist Bayern am Ende.“

    So drastisch würde es Olaf von Löwis wohl nicht formulieren. Aber der Bürgermeister kennt das Problem. Schon, weil die Marktgemeinde mit ihren 17.000 Einwohnern immer mehr Menschen anzieht – dank S-Bahn- und Autobahnanschluss, dank der guten Lage zwischen München und dem Tegernsee. Von Löwis spricht von der „Erwartungshaltung“ derer, die herziehen, davon, dass die Leute immer mehr brauchten, um zufrieden zu sein. Nur: Wer am Ortsrand wohne, genieße eine unverbaubare Sicht. Aber dann müsse er eben damit leben, dass dahinter die Felder beginnen.

    Der Anwohner hat auch die Gemeinde verklagt, weil sie die Weidefläche an Regina Killer verpachtet. Der Bürgermeister aber sieht keinen Anlass, daran etwas zu ändern. „Was die Pächterin hier macht, ist sachgerechte Landwirtschaft.“ Von Löwis hat immer wieder versucht zu vermitteln. Für den dörflichen Zusammenhalt wäre es schön, wenn die Nachbarn einlenken, sagt er. Der Bürgermeister hat beide Seiten zu einem Schlichtungsgespräch eingeladen. Geworden ist daraus nichts.

    Im Gegenteil: Nachdem die Klage des Mannes abgewiesen wurde, klagte die Ehefrau. Nachdem auch sie in erster Instanz vor dem Landgericht München II gescheitert war, hatte am 12. Februar der Prozess in zweiter Instanz am Oberlandesgericht München begonnen. Am Mittwoch soll es eine Entscheidung geben.

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