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Holocaust-Zeitzeuge: Trauer um Max Mannheimer: "Er wird uns allen fehlen"

Holocaust-Zeitzeuge

Trauer um Max Mannheimer: "Er wird uns allen fehlen"

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    Der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer ist im Alter von 96 Jahren in München gestorben.
    Der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer ist im Alter von 96 Jahren in München gestorben. Foto: Andreas Gebert dpa

    Max Mannheimer ist im Alter von 96 Jahren am Freitag in einer Münchner Klinik gestorben. Dies teilte die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Gabriele Hammermann, am Samstag mit. "Das ist eine sehr traurige Nachricht. Die Gedenkstätte und ihre Mitarbeiter trauern um einen guten Freund", sagte Hammermann. Mannheimer war ein Zeitzeuge und Überlebender des Holocausts. Er klärte über die Zeit des Dritten Reichs auf.

    Max Mannheimer überlebte Auschwitz

    Als das, was der Jude Mannheimer sein erstes Leben nannte, zu Ende ging, war er noch keine 23 Jahre alt. Gemeinsam mit seinen Eltern, seinen Geschwistern und seiner Ehefrau Eva kam er damals, Anfang 1943, im Vernichtungslager Auschwitz an - deportiert von den Nationalsozialisten. Es war das letzte Mal, dass er seine Eltern und seine Frau sah. Sie alle wurden von den Nazis ermordet. Nur Max Mannheimer und sein jüngerer Bruder Edi überlebten den Holocaust. Ein Buch von Mannheimer hieß "Drei Leben". Sein erstes Leben wurde von den Nationalsozialisten zerstört, das zweite verbrachte er in den Konzentrationslagern

    Kanzlerin Angela Merkel würdigte den Verstorbenen als Mahner gegen das Vergessen und großen Versöhner. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer bezeichnete Mannheimers Tod als schmerzlichen Verlust: "Er wird uns allen fehlen." Mannheimer sei als Überlebender des Holocaust "einer der wichtigsten Mahner und Versöhner in einer Person und ein herausragender Botschafter des demokratischen Deutschlands" gewesen, sagte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter betonten, Mannheimer sei ein wichtiger Zeitzeuge der Nazi-Verbrechen gewesen. "Es ist unsere Aufgabe, diese Erinnerungen an die Grausamkeiten des Nazi-Regimes wach zu halten." Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sagte, Deutschland verliere Deutschland "eine tief beeindruckende, herausragende Persönlichkeit". Zeitzeugen-Stimmen wie die Mannheimers hätten "großen Anteil an der Erinnerungskultur, die Deutschland mühsam erlernt hat". "Sein Tod wird eine große Lücke reißen", sagte die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau.

    Der aus Mähren stammende Mannheimer hatte sich stets als Zeitzeuge gesehen - nie als Ankläger. "Der ganze Zweck meiner Arbeit ist es, zu den nachfolgenden Generationen zu sprechen und sie vor den Gefahren einer Diktatur zu warnen", sagte Mannheimer zu seinem 90. Geburtstag. "Es leben viele - aber wenige können darüber reden ohne Hass", sagte er in einem Film-Porträt namens "Der weiße Rabe" - so bezeichnete sich Mannheimer selbst.

    Die jüdische Familie Mannheimer aus Neutitschein im heutigen Tschechien geriet trotz Flucht in die Hände der Hitler-Schergen. Sie wurde ins Konzentrationslager Theresienstadt und von dort nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Von acht Mitgliedern der Familie starben sechs: Ein Bruder wurde schon 1942 verhaftet, auf der Rampe von Auschwitz-Birkenau sah Max Mannheimer 1943 zum letzten Mal seine Eltern, seine Schwester und seine Frau, die er wenige Monate zuvor geheiratet hatte. Die Angehörigen wurden vergast. Mit zwei Brüdern wurde er zur Arbeit ausgewählt - einer von ihnen überlebte Auschwitz ebenfalls nicht: Ernst Mannheimer erkrankte an Durchfall und geriet in die sogenannte "Selektion": Wer krank war, wurde ermordet.

    Nur Mannheimer und sein inzwischen gestorbener jüngerer Bruder Edgar überstehen den Holocaust. Die Brüder kommen über Warschau in das KZ Dachau vor den Toren Münchens, werden 1945 in das Außenkommando Mühldorf verlegt und auf einem Evakuierungstransport am 30. April 1945 von den Amerikanern befreit. "Als ich bei Tutzing befreit wurde, war ich eine halbe Leiche. Damals habe ich gesagt: Wenn ich 40 Jahre alt werde, bin ich zufrieden - und jetzt bin ich 90!", sagte Mannheimer vor sechs Jahren.

    Max Mannheimer verliebte sich in eine Deutsche

    Mannheimer verlässt Deutschland - mit dem festen Vorsatz, nie wiederzukehren. Doch er verliebt sich ausgerechnet in eine Deutsche: Elfriede Eiselt, Tochter einer sozialdemokratischen Familie. "Sie war eine Heldin", sagt er - denn die Familie versteckte Juden, riskierte das eigene Leben. Ende 1946 war Mannheimer zurück in dem Land, "dessen Boden ich nie wieder betreten wollte". Als seine Frau Mitte der 1960er Jahre an Krebs stirbt und er selbst glaubt, krank zu sein, schreibt er seine Erinnerungen auf - für seine Tochter.

    Lebenslang trug der Ex-Häftling am linken Unterarm die tätowierte Nummer 99728. "Opa, warum hast Du so einen Nummer an der Hand", fragten seine Enkelinnen. Es sei eine Telefonnummer, antwortete Mannheimer - erst später erfuhren die Enkel, was die Nummer bedeutet.

    Die jungen Menschen hätten ein überraschendes Interesse an der Nazi-Zeit, berichtete Mannheimer von seinen Vorträgen in Schulen. "Die Urenkel möchten wissen, weshalb ihre Urgroßeltern so lange einem Massenmörder die Treue halten konnten." Noch in den Wochen vor seinem 95. Geburtstag besuchte Mannheimer Schulklassen.

    Mitte der 1980er Jahre wurden seine Erinnerungen in den Dachauer Heften veröffentlicht, er begann mit Führungen durch das frühere KZ. Teils schaffte er das nur mit Medikamenten. Beim Malen versuchte er schon seit den 1950er Jahren, die Schrecken aufzuarbeiten. Geholfen habe "das Malen, das Erzählen - und die Tabletten", sagte er. Doch: "Vergessen kann man es nie - das ist unmöglich."

    Max Mannheimer war als wichtiger Zeitzeuge auch viel in unserer Region unterwegs. Vor allem an Schulen schilderte er die Judenverfolgung und das Schicksal seiner Familie. Wie kein Zweiter habe er sich mit seiner ganzen Person eingebracht, um gegen das Vergessen anzukämpfen und gleichzeitig als Versöhner aufzutreten, so die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau. Max Mannheimer wurde für sein Wirken mit vielen Auszeichnungen geehrt. AZ, dpa

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