Einige Abgeordnete versuchen mit derbem Spott "die große Depression" nach dem Milliardendebakel der Landesbank mit der Kärntner Hypo Group Alpe Adria (HGAA) zu bewältigen: "Aus HGAA wurde LMAA." Andere helfen sich mit praktischer Lebensweisheit: "Wissen Sie, es gibt zum Glück noch ein Leben außerhalb der Politik ..." Und alle sehnen die Ruhe der Weihnachtsfeiertage herbei.
Balsam spendet den geschundenen CSU-Seelen in dieser Situation ausgerechnet ein Mann, der vor gut einem Jahr von seinen Parteifreunden recht unsanft ins hintere Glied verbannt worden war: Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein. Er gehörte als Innenminister unter Regierungschef Edmund Stoiber zu jenen Mitgliedern des Verwaltungsrats der Landesbank, die im Jahr 2007 den Kauf der HGAA abgesegnet haben. Die meisten dieser Männer schweigen unter dem Druck von Strafanzeigen und öffentlicher Empörung. Beckstein schweigt nicht. Er stellt sich - intern und öffentlich.
Als er sich am Dienstag in der Sitzung der CSU-Fraktion zu Wort meldete, wurde es sehr schnell sehr still. Beckstein gab offen zu, wie sehr es ihn persönlich belastet, an einer Entscheidung mitgewirkt zu haben, die der Landesbank und damit auch dem Freistaat Bayern rund 3,7 Milliarden Euro Verlust beschert hat. Er berichtete in vielen Einzelheiten, wie diese Entscheidung zustande kam, welch euphorische Grundstimmung damals in der Staatsregierung und beim Sparkassenverband über den Einstieg ins Osteuropa-Geschäft herrschte und wie dies schließlich auch von der SPD im Landtag und von der Wirtschaftspresse bejubelt wurde. Er listete auf, wie viele Experten mit der Prüfung des Projekts befasst waren und dass der Kauf der HGAA kein Alleingang war. Aber er bestritt nicht, dass der Kauf eine schwere Fehlentscheidung war. Tags darauf wiederholte er dies in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
Die Reaktionen seiner CSU-Kollegen waren überwiegend einhellig: "Eine blitzsaubere Rede". "Vorbildliches Verhalten". "Genauso muss man es machen." Umso mehr allerdings schmerzt es die CSU-Abgeordneten, dass der damals oberste politisch Verantwortliche bis dato beharrlich schweigt: der frühere Ministerpräsident und Parteichef Edmund Stoiber. Immerhin drei Abgeordnete mahnten, wie berichtet, eine Erklärung Stoibers an: Hermann Imhof (Nürnberg), Max Strehle (Landkreis Augsburg) und Otto Zeitler (Schwandorf). Imhof sagte, er erwarte, dass Stoiber sich ähnlich wie Beckstein "mit großer Nachdenklichkeit, Bescheidenheit und Demut" äußere.
Diese Forderung wird, wenn Stoiber weiter schweigt, noch lauter werden, hieß es gestern aus der CSU-Fraktion. Doch ein "radikaler Schnitt mit der Vergangenheit" sei nicht zu erwarten. Noch immer gebe es eine, "allerdings kleiner werdende" Gruppe von Stoiber-Anhängern, die vor rückhaltloser Aufarbeitung der Vergangenheit warnen. Dabei, so die Befürchtung, ginge es dann nämlich nicht nur um die Landesbank, sondern um "das System Stoiber" insgesamt: um lange zurückliegende Entlassungen von Ministern (Alfred Sauter und Barbara Stamm), um einseitig technologieorientierte "Bayern-ist-Spitze-Politik", um autokratischen Führungsstil und einsame Entscheidungen. All diese alten Geschichten kommen jetzt in der aktuellen Krise wieder hoch.
Ein CSU-Abgeordneter, der schon bald zwei Jahrzehnte dabei ist, beschreibt die Fraktion als gespalten in drei Teile: die kleine, alte Stoiber-Garde, die größere Gruppe der Beckstein-Anhänger und der große Rest überwiegend jüngerer Abgeordneter, "die noch keinen Anführer haben". Auffällig an dieser Analyse ist: CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer kommt dabei nicht vor. Wenn von ihm in der CSU-Fraktion die Rede ist, erscheint er immer noch als Fremdkörper.
Über all diese Dinge werden die CSU-Abgeordneten während der Weihnachtszeit in Ruhe nachdenken können. Was danach kommt, wissen alle: die berühmt-berüchtigte Klausurtagung der Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth. Traditionell wenige Tage vorher gibt es neue Umfragen.
Schon vor kurzem ist Parteichef Seehofer aus den Top Ten der wichtigsten deutschen Politiker gefallen. Er rangiert jetzt sogar schon hinter Gregor Gysi. Und dass nach dem Milliardendebakel der Landesbank die CSU in der Gunst der Wähler zulegen könnte, glaubt niemand. Die Krise hat die Partei wieder voll erfasst.