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Hilfe: Wunschkonzert für Opfer von Naturkatastrophen

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Wunschkonzert für Opfer von Naturkatastrophen

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    Tsunami (Symbolbild) dpa
    Tsunami (Symbolbild) dpa

    Die aufgestellten Kartonagen sind provisorische Wände und der vergebliche Versuch, private Atmosphäre in der Turnhalle zu schaffen. Die gesamte Fläche der Halle ist auf diese Weise parzelliert. In einem der Kartonage-Räumchen steht Wolfgang Hölzle und zieht sich kurz vor seinem Konzert um. Er kann sich wegen der Enge kaum drehen, trägt gut 9000 Kilometer von Memmingen entfernt ein weißes Hemd mit dem Wappen seiner Geburtsstadt. „Die Lederhose darf auch nicht fehlen, das haben die Japaner gern“, sagt er.

    Konzerte hat der 54 Jahre alte Musikprofessor schon viele gegeben. Solche Auftritte aber hatte er noch nie. „Das hat mein Leben ein bisschen verändert“, erzählt er am Telefon. Hölzle trat acht Tage lang in den Regionen im Nordosten Japans auf, die am 11. März von dem verheerenden Erdbeben und dem Tsunami weitgehend zerstört wurden. Heute gibt er sein letztes Konzert in Ishinomaki. Dann zieht Hölzle sein Akkordeon auseinander und wieder zusammen, entlockt seinem Lieblingsinstrument Polkas, Chansons, japanische und deutsche Volkslieder.

    Die Menschen lassen sich von der Musik und von Hölzle mitreißen. Draußen liegt alles in Schutt und Asche. Eine Stunde lang aber ist keine Zeit, trübsinnigen Gedanken nachzuhängen. Die Klänge von „Rosamunde“ erfüllen den großen Raum – und in die Gesichter des japanischen Publikums huscht ein Lächeln. Mädchen klatschen im Takt, mehrere Hundert Hallenbewohner hören zu und singen mit – auch bei „Edelweiß“ und „Heideröschen“. „Das lernen japanische Kinder in der Schule“, erklärt Hölzle die Textsicherheit. „Sie können unsere Volkslieder besser als wir.“

    Das, was der in Erkheim (Unterallgäu) aufgewachsene Musiker in dieser Woche erlebt hat, kommt ihm „unwirklich und seltsam“ vor. „Man könnte sich leicht die Frage stellen: Was mache ich hier eigentlich?“, sagt der Mann mit dem Akkordeon. Hölzle kennt die Antwort. Er erwähnt seine Doktorarbeit: In der Klinik von Osaka hat er psychisch kranke Menschen begleitet und beschrieben, wie ihnen mit einer Musiktherapie geholfen werden konnte. Auch die Töne des Akkordeons seien ausgesprochen geeignet, Stress abzubauen, Entspannung zu finden und zur Ruhe zu kommen.

    Hölzle lebt seit 16 Jahren in Yokohama und ist ebenso lang mit einer Japanerin verheiratet. Er hatte die ausgebildete Pianistin während einer Tournee in Japan kennengelernt. Sie saß im Publikum und lauschte andächtig Hölzles Interpretation.

    Zweimal im Jahr kommt der Unterallgäuer in die alte Heimat und besucht seinen Vater. Die Tickets waren bereits gekauft, als über Japan die Naturkatastrophe hereinbrach. Der 80. Geburtstag des Vaters war ein freudiger Anlass für die zeitweilige Rückkehr. Aber „einfach in Deutschland zu bleiben, nachdem das in Japan passiert ist, das wäre für mich niemals infrage gekommen“, sagt Hölzle. Er überlegte, wie er helfen kann, wirkte in Ulm bei einem Benefizkonzert auf dem Münsterplatz mit. Ein eigenes Konzert gab er – unterstützt durch den Vater – in der Heimatgemeinde Erkheim. Das Bistro „Akut“ war brechend voll, als Wolfgang Hölzle und seine Frau spielten, sangen und Spendengelder sammelten.

    Zurück in Japan brach der Musiker zur ungewöhnlichsten Konzertreise seines Lebens auf. Mehr als ein Dutzend Mal ist er in den vergangenen acht Tagen aufgetreten. Am gestrigen Freitag hatte Hölzle Bammel, ob es ihm auch in Onagawacho gelingen würde, die Menschen zu erreichen.

    „Ich habe noch nie so viel Zerstörung gesehen. Viele, die in der Halle sind, besitzen nichts mehr als ihre Kleidung am Leib.“ 60 Minuten später wusste Hölzle: Es ist gelungen. Er spielte „In München steht ein Hofbräuhaus“. Und die Herzen der Japaner hüpften vor Freude.

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