Nach seiner Entlassung aus der geschlossenen Psychiatrie hat Gustl Mollath der Bayrischen Justizministerin Beate Merk (CSU) Heuchelei vorgeworfen. "Die Wirklichkeit ist völlig anders, als Frau Merk jetzt tut", sagte er der Süddeutschen Zeitung auf die Frage nach Versuchen Merks, die Wiederaufnahme des Prozesses als ihren eigenen Erfolg zu verbuchen. "Ich glaube nicht, dass die Bürger so blauäugig sind und ihr glauben", sagte Mollath.
In dem am Tag nach seiner überraschenden Entlassung am Dienstag geführten Interview kündigte der 56-Jährige an, "die Auseinandersetzung in einem rechtsstaatlichen Prozess" zu suchen. "Ich rechne mit großem Aufwand und viel Quälerei. Aber ich will vollständig rehabilitiert aus diesem Prozess gehen." Zugleich übte er scharfe Kritik am Rechts- und Psychiatriesystem und forderte Konsequenzen.
Mollath: "Psychiatrische Kliniken de facto ein rechtsfreier Raum"
Sein Fall sei "die Spitze eines Eisbergs", zitierte ihn die SZ. Geschlossene psychiatrische Kliniken seien "de facto ein rechtsfreier Raum. Der größte Teil der Menschen ist auf Gedeih und Verderb den Ärzten und dem Personal ausgeliefert. Wenn es darauf ankommt, versagen die Kontrollinstanzen. Man ist im weitesten Sinne der Willkür ausgesetzt und kann sich nicht wehren".
Was fehle, seien "Kontrollmechanismen", sagte Mollath. "Ein Fortschritt wäre schon, Statistiken darüber zu veröffentlichen, wie viele Menschen lieber in die grauenvollen Gefängnisse gehen, anstatt in den wunderbaren Krankenhäusern zu bleiben."
Mollath wohnt vorerst bei Freunden
Chronologie des Falls Mollath
Ab 2006 saß der Nürnberger Gustl Mollath in der Psychiatrie. Hier eine Chronologie des Falles:
November 2002: Gustl Mollath wird von seiner Frau wegen Körperverletzung angezeigt. Er soll sie im August 2001 ohne Grund mindestens 20-mal mit den Fäusten geschlagen haben. Außerdem habe er sie gebissen, getreten und sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt.
Mai 2003: Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erhebt Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung.
September 2003: Die Hauptverhandlung beginnt vor dem Amtsgericht Nürnberg. Im April 2004 wird sie fortgesetzt. Ein Gutachter attestiert dabei Mollath erstmals gravierende psychische Störungen.
Dezember 2003: Mollath erstattet Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen seine Frau, weitere Mitarbeiter der HypoVereinsbank und 24 Kunden wegen Steuerhinterziehung, Schwarzgeld- und Insidergeschäften.
Februar 2004: Die Anzeige wird von der Staatsanwaltschaft abgelegt. Begründung: Es gebe nur einen pauschalen Verdacht. Die Angaben seien zu unkonkret, als dass sie ein Ermittlungsverfahrens rechtfertigen würden.
Juni 2004: Mollath wird gegen seinen Willen zur Begutachtung ins Bezirkskrankenhaus Erlangen gebracht, kommt aber schon kurz darauf wieder frei. Im Februar 2005 wird er in das Bezirkskrankenhaus Bayreuth eingewiesen. Dort bringt er fünf Wochen zu.
August 2006: Das Landgericht Nürnberg spricht Mollath von den Vorwürfen der Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung frei. Aber die Strafkammer Mollaths ordnet Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, weil er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.
Februar 2007: Der Bundesgerichtshof verwirft die Revision als unbegründet.
März 2012: Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) sagt im Rechtsausschuss des Landtags, Mollaths Strafanzeige wegen der Bankgeschäfte seiner Frau sei «weder Auslöser noch Hauptanlass noch überhaupt ein Grund für seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gewesen». Seine Vorwürfe gegen die Bank hätten keinen begründeten Anfangsverdacht für Ermittlungen ergeben.
November 2012: Ein interner Revisionsbericht der HypoVereinsbank aus dem Jahr 2003, dessen Inhalt erst jetzt publik wird, bestätigt, dass ein Teil von Mollath Vorwürfe zutreffend war. Die Freien Wähler fordern Merks Rücktritt und einen Untersuchungsausschuss im Landtag.
30. November 2012: Merk will den Fall Mollath komplett neu aufrollen lassen. Grund war die mögliche Befangenheit eines Richters.
18. März 2013: Die Staatsanwaltschaft Regensburg beantragt die Wiederaufnahme des Verfahrens. Sie stützt sich dabei auf «neue Tatsachen», die dem Gericht bei der Verurteilung im Jahr 2006 noch nicht bekanntgewesen seien. Entscheiden muss das Landgericht Regensburg.
26. April 2013: Der Mollath-Untersuchungsausschuss tritt erstmals zusammen.
28. Mai 2013: Das Landgericht Regensburg lehnt eine Entscheidung über Mollaths Psychiatrie-Unterbringung vor der Prüfung des Wiederaufnahmeantrags ab.
12. Juni 2013: Das Landgericht Bayreuth ordnet an, dass Mollath mindestens noch ein weiteres Jahr und damit bis 2014 in der Psychiatrie bleiben muss.
06. August 2013: Mollath kommt frei. Das OLG Nürnberg ordnet die Wiederaufnahme des Falls an und verfügt, dass diese an einer anderen Kammer des Landgerichts Regensburg stattfinden muss.
05. September 2013: Die Verfassungsbeschwerde Mollaths ist erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gab seiner Beschwerde gegen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg statt. Die Beschwerde sei offensichtlich begründet, hieß es.
19. Dezember 2013: Das Landgericht Regensburg teilt mit, dass das Wiederaufnahmeverfahren gegen Mollath am 7. Juli 2014 beginnt.
13. Januar 2014: Die Nürnberger Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen die Ex-Frau von Gustl Mollath eingestellt. Mollath hatte seine frühere Ehefrau im August 2013 angezeigt, weil sie in einem Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe 2008 nicht die Wahrheit gesagt habe. Dafür ergaben sich laut Staatsanwaltschaft aber keine Anhaltspunkte.
28. April 2014: Gustl Mollath will das Oberlandesgericht Bamberg mit einer weiteren Verfassungsbeschwerde zwingen zu verkünden, ab wann er unrechtmäßig in der Psychiatrie gesessen habe. Hintergrund ist ein Beschluss des OLG Bamberg aus dem Jahr 2011, nach dem Mollath weiter in der Psychiatrie bleiben musste. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor entschieden, dass dadurch Mollaths Grundrecht auf Freiheit verletzt worden war.
07. Juli 2014: Vor dem Landgericht Regensburg beginnt das Wiederaufnahmeverfahren gegen Mollath.
08. August 2014: Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrem Plädoyer einen Freispruch für Gustl Mollath. Dabei ist der Anklagevertreter jedoch von der Schuld des 57-Jährigen überzeugt. Die Verteidigung verlangt einen Freispruch "ohne Wenn und Aber". Mollath selbst weist die Vorwürfe zurück.
14. August. 2014: Das Landgericht Regensburg spricht Gustl Mollath frei. dpa
Nach seinen sieben Jahren in der Klinik sei er nun bei Freunden untergekommen, sagte der Nürnberger. Am wichtigsten für ihn sei es zunächst, einen Pass und andere notwendige Dokumente zu bekommen und sich eine verlässliche Unterkunft zu besorgen. Außerdem will Mollath ein Buch schreiben: "Es gibt Angebote von Verlagen, und ich werde wohl tatsächlich ein Buch schreiben", sagte er. "Es ist dringend erforderlich, dass schlimme Dinge und grausame Schicksale an die Öffentlichkeit kommen, von denen sich die breite Bevölkerung keine Vorstellung macht."
In dem seit Monaten andauernden juristischen Hickhack um den 2006 in die Psychiatrie eingewiesenen Nürnberger hatte das Oberlandesgericht Nürnberg am Dienstag überraschend die sofortige Freilassung angeordnet. Auslöser waren Zweifel an einem für die Unterbringung mitentscheidenden Attest.
Mollath soll seine inzwischen von ihm geschiedene Frau gewürgt und angegriffen haben, er bestreitet dies. Das Attest, das die Angriffe damals belegte, wurde von einem Assistenzarzt und nicht - wie im Kopf des Dokuments angegeben - von einer Fachärztin ausgestellt.
Lob von der Bundesjustizministerin
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begrüßte am Donnerstag die Wiederaufnahme des Verfahrens. "Das ist wirklich eine gute Chance, manche Überlegungen, Aspekte und Vorwürfe zu klären, die im Raum stehen", sagte sie dem Bayerischen Rundfunk.
Auch sie sieht ihre Bayrische Kollegin in der Mitverantwortung. "Dass es so lange gedauert hat, bis es jetzt endlich zur Prüfung der Wiederaufnahme kommt, das hat auch die Kritik an Justizministerin Merk hervorgerufen, und man konnte sie nicht in toto wegwischen."