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Gustl Mollath: Fall Mollath: Pressestimmen: "Beispiel für die Verkommenheit der deutschen Justiz"

Gustl Mollath

Fall Mollath: Pressestimmen: "Beispiel für die Verkommenheit der deutschen Justiz"

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    Gustl Mollath mit Topfpflanze vor dem Bezirkskrankenhaus in Bayreuth nach seiner überraschenden Freilassung.
    Gustl Mollath mit Topfpflanze vor dem Bezirkskrankenhaus in Bayreuth nach seiner überraschenden Freilassung. Foto: David Ebener (dpa)

    Presseschau zum Fall Gustl Mollath, der seit vielen Monaten Justiz, Politik und Öffentlichkeit beschäftigt. Gestern durfte der Franke die Psychiatrie nach sieben Jahren verlassen. Das Oberlandesgericht Nürnberg hatte am Vormittag überraschend seine Freilassung angeordnet. Sein Verfahren muss vor dem Landgericht Regensburg neu aufgerollt werden.

    Das sagen die Kommentatoren zum Fall Mollath

    "Sofern der Fall Mollath etwas Gutes haben sollte, könnte es nur die angekündigte Reform des Strafrechts sein, die das Risiko mindert, für eine Bagatelle in der Psychiatrie zu verschwinden." Frankfurter Rundschau

    "Die bayerische Justiz manövriert sich mit Hilfe von Formalia aus der Sackgasse, in die sie im Fall Mollath geraten ist. Denn es ist ein rein formales Argument, auf das sich die Richter des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg zurückzogen, um damit den Weg zur Freilassung von Gustl Mollath aus der Psychiatrie in Bayreuth zu ebnen. Eine halbwegs elegante Methode, um die doch arg in Negativschlagzeilen geratene "bayerische Justiz" aus der Bredouille zu bringen." Neue Presse

    Fall Mollath: Auch Gerichte und die Justiz machen Fehler

    "Der Fall Mollath hat eines bewiesen: Auch die Gerichte und die Justiz machen Fehler. Das ist völlig normal. Ein Rechtssystem mit dem Anspruch, unfehlbar zu sein, kann es auch nur in Unrechtsstaaten geben. Schon deswegen ist der Fall Mollath kein Einzelfall. Doch gerade der Justiz fehlt eine Kultur, mit ihren eigenen Fehlern verantwortlich umzugehen." Mittelbayerische Zeitung

    "Für die bayerische Landesregierung ist der Beschluss äußerst praktisch, weil damit der mutmaßliche Justizirrtum weitgehend aus dem Landtagswahlkampf herausgehalten wird. Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) muss sich nun nicht mehr ständig für die vermeintlichen Fehler ihrer Justiz rechtfertigen."taz.de

    Chronologie des Falls Mollath

    Ab 2006 saß der Nürnberger Gustl Mollath in der Psychiatrie. Hier eine Chronologie des Falles:

    November 2002: Gustl Mollath wird von seiner Frau wegen Körperverletzung angezeigt. Er soll sie im August 2001 ohne Grund mindestens 20-mal mit den Fäusten geschlagen haben. Außerdem habe er sie gebissen, getreten und sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt.

    Mai 2003: Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erhebt Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung.

    September 2003: Die Hauptverhandlung beginnt vor dem Amtsgericht Nürnberg. Im April 2004 wird sie fortgesetzt. Ein Gutachter attestiert dabei Mollath erstmals gravierende psychische Störungen.

    Dezember 2003: Mollath erstattet Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen seine Frau, weitere Mitarbeiter der HypoVereinsbank und 24 Kunden wegen Steuerhinterziehung, Schwarzgeld- und Insidergeschäften.

    Februar 2004: Die Anzeige wird von der Staatsanwaltschaft abgelegt. Begründung: Es gebe nur einen pauschalen Verdacht. Die Angaben seien zu unkonkret, als dass sie ein Ermittlungsverfahrens rechtfertigen würden.

    Juni 2004: Mollath wird gegen seinen Willen zur Begutachtung ins Bezirkskrankenhaus Erlangen gebracht, kommt aber schon kurz darauf wieder frei. Im Februar 2005 wird er in das Bezirkskrankenhaus Bayreuth eingewiesen. Dort bringt er fünf Wochen zu.

    August 2006: Das Landgericht Nürnberg spricht Mollath von den Vorwürfen der Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung frei. Aber die Strafkammer Mollaths ordnet Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, weil er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.

    Februar 2007: Der Bundesgerichtshof verwirft die Revision als unbegründet.

    März 2012: Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) sagt im Rechtsausschuss des Landtags, Mollaths Strafanzeige wegen der Bankgeschäfte seiner Frau sei «weder Auslöser noch Hauptanlass noch überhaupt ein Grund für seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gewesen». Seine Vorwürfe gegen die Bank hätten keinen begründeten Anfangsverdacht für Ermittlungen ergeben.

    November 2012: Ein interner Revisionsbericht der HypoVereinsbank aus dem Jahr 2003, dessen Inhalt erst jetzt publik wird, bestätigt, dass ein Teil von Mollath Vorwürfe zutreffend war. Die Freien Wähler fordern Merks Rücktritt und einen Untersuchungsausschuss im Landtag.

    30. November 2012: Merk will den Fall Mollath komplett neu aufrollen lassen. Grund war die mögliche Befangenheit eines Richters.

    18. März 2013: Die Staatsanwaltschaft Regensburg beantragt die Wiederaufnahme des Verfahrens. Sie stützt sich dabei auf «neue Tatsachen», die dem Gericht bei der Verurteilung im Jahr 2006 noch nicht bekanntgewesen seien. Entscheiden muss das Landgericht Regensburg.

    26. April 2013: Der Mollath-Untersuchungsausschuss tritt erstmals zusammen.

    28. Mai 2013: Das Landgericht Regensburg lehnt eine Entscheidung über Mollaths Psychiatrie-Unterbringung vor der Prüfung des Wiederaufnahmeantrags ab.

    12. Juni 2013: Das Landgericht Bayreuth ordnet an, dass Mollath mindestens noch ein weiteres Jahr und damit bis 2014 in der Psychiatrie bleiben muss.

    06. August 2013: Mollath kommt frei. Das OLG Nürnberg ordnet die Wiederaufnahme des Falls an und verfügt, dass diese an einer anderen Kammer des Landgerichts Regensburg stattfinden muss.

    05. September 2013: Die Verfassungsbeschwerde Mollaths ist erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gab seiner Beschwerde gegen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg statt. Die Beschwerde sei offensichtlich begründet, hieß es.

    19. Dezember 2013: Das Landgericht Regensburg teilt mit, dass das Wiederaufnahmeverfahren gegen Mollath am 7. Juli 2014 beginnt.

    13. Januar 2014: Die Nürnberger Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen die Ex-Frau von Gustl Mollath eingestellt. Mollath hatte seine frühere Ehefrau im August 2013 angezeigt, weil sie in einem Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe 2008 nicht die Wahrheit gesagt habe. Dafür ergaben sich laut Staatsanwaltschaft aber keine Anhaltspunkte.

    28. April 2014: Gustl Mollath will das Oberlandesgericht Bamberg mit einer weiteren Verfassungsbeschwerde zwingen zu verkünden, ab wann er unrechtmäßig in der Psychiatrie gesessen habe. Hintergrund ist ein Beschluss des OLG Bamberg aus dem Jahr 2011, nach dem Mollath weiter in der Psychiatrie bleiben musste. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor entschieden, dass dadurch Mollaths Grundrecht auf Freiheit verletzt worden war.

    07. Juli 2014: Vor dem Landgericht Regensburg beginnt das Wiederaufnahmeverfahren gegen Mollath.

    08. August 2014: Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrem Plädoyer einen Freispruch für Gustl Mollath. Dabei ist der Anklagevertreter jedoch von der Schuld des 57-Jährigen überzeugt. Die Verteidigung verlangt einen Freispruch "ohne Wenn und Aber". Mollath selbst weist die Vorwürfe zurück.

    14. August. 2014: Das Landgericht Regensburg spricht Gustl Mollath frei. dpa

    "Der Fall Mollath wird nicht als richterliche Glanztat in die Rechtsgeschichte eingehen. Unabhängig von seinem Ausgang bleibt jetzt schon festzuhalten: Dieses Wiederaufnahmeverfahren kommt viel zu spät." Schwäbische Zeitung

    Gustl Mollath: "Wie viele andere solcher Fälle gibt es?"

    "Der Fall des Gustl Mollath gilt vielen Bürgern als Beispiel für die Verkommenheit der deutschen Justiz. Doch jetzt zeigt das Oberlandesgericht Nürnberg mit seiner Entscheidung, dass genau diese Justiz zur Selbstkorrektur in der Lage ist. Allerdings bleibt festzuhalten, dass Mollath wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit auch nach sieben Jahren weiterhin in der Psychiatrie sitzen würde, wenn der öffentliche Druck nicht so gewaltig gewesen wäre." Süddeutsche Zeitung

    "Mollath legt mit seiner Halsstarrigkeit die Finger in die Wunden eines reformbedürftigen Rechtssystems: psychiatrische Gutachter, die ihre Beurteilungen skandalös nach Aktenlage fällen, Dauer von Justizverfahren, die menschenunwürdig sind, zumal es um Freiheit oder Unfreiheit eines Menschen geht. Angeb­lich überlastete Richter, die den Eindruck erweckten, ihnen sei das egal. Man fragt sich: Wie viele andere solcher Fälle gibt es, ohne dass sie Schlagzeilen machen?" Thüringische Landeszeitung

    Pressestimmen zu Mollath: Ruf der Justiz nur unzureichend gerettet

    "Mit der Entscheidung, Gustl Mollath ein Wiederaufnahmeverfahren zuzugestehen, hat das Nürnberger Oberlandesgericht endlich Recht im Namen des Volkes gesprochen. Den Ruf der bayerischen Justiz haben die Franken trotzdem nur unzureichend gerettet. (...) Und es bleibt die Befürchtung, dass es mehrere Gustl Mollaths geben könnte." Stuttgarter Zeitung

    Der Deal im Strafprozess

    Urteilsabsprachen, sogenannte "Deals", gehören an den Gerichten längst zum Alltag.

    Meist geht es darum, dass dem Angeklagten ein mildes Urteil versprochen wird, wenn er ein Geständnis ablegt.

    Die geringere Strafe ist der Lohn dafür, dass der Justiz damit eine Menge Arbeit erspart wird.

    Absprachen im Strafprozess sind seit 2009 gesetzlich geregelt - auch, um die Arbeitsbelastung der Strafjustiz zu mindern.

    Vor allem allem aufwendige Strafverfahren - etwa Wirtschaftsprozesse - werden gerne im Rahmen eines Deals abgekürzt.

    Derartige Verständigungen sind aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts auch grundsätzlich erlaubt.

    Sie müssen aber transparent sein und dokumentiert werden, so das Verfassungsgericht. Informelle Absprachen - an etlichen Gerichten gängige Praxis - seien unzulässig.

    In der Öffentlichkeit werden "Deals" meist kritisch beäugt.

    "Von manchen wird Mollath nun als Freiheitsheld und Widerstandskämpfer überhöht. Das ist er sicherlich nicht. Er ist ein Mensch, dem es vorher wohl schlecht ging, der von den Instanzen völlig aus der Bahn geworfen wurde, der schlimme Jahre verbringen musste. Ihm ist vor allem zu wünschen, was auch für die Gesellschaft wichtig ist: ein fairer Umgang, ein fairer Prozess und die Chance auf ein besseres Leben." Südwestpresse

    Gustl Mollath frei: "Der Fall Gustl Mollath ist ein Justizskandal"

    "Mit dem Wort Justizskandal muss man sparsam umgehen. Weiß Gott nicht jede Aufregung um irgendein Urteil taugt für diese Klassifizierung. Der Fall Gustl Mollath ist ein Justizskandal. Was der Mann aus Nürnberg ein Jahrzehnt lang ertragen musste, damit ihm nun endlich das zuteil wird, was wir in einem Rechtsstaat für selbstverständlich halten, nämlich ein fairer Prozess mit einer Beweiswürdigung, das kennt man nur aus Diktaturen oder Kafka-Romanen." Westdeutsche Allgemeine Zeitung AZ

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