Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Gundremmingen: „Gefährlicher Schlendrian“: Grüne kritisieren laxe Sicherheitsprüfungen

Gundremmingen

„Gefährlicher Schlendrian“: Grüne kritisieren laxe Sicherheitsprüfungen

    • |
    Die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl erhebt schwere Vorwürfe gegen die Atomaufsicht in Bayern.
    Die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl erhebt schwere Vorwürfe gegen die Atomaufsicht in Bayern. Foto: Bernhard Weizenegger (Archiv)

    Schwere Vorwürfe gegen die Atomaufsicht in Bayern erhebt die baden-württembergische Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl. Das bayerische Umweltministerium habe es trotz mehrfachen Drängens vonseiten des Bundes unterlassen, eine wichtige Sicherheitsüberprüfung im schwäbischen Kernkraftwerk Gundremmingen durchzuführen, sagte die atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag gegenüber unserer Zeitung.

    „Der Fall ist für mich ein weiterer Beleg dafür, dass es bei der bayerischen Atomaufsicht einen gefährlichen Schlendrian gibt und sie viel zu nachlässig gegenüber den Betreibern der Atomkraftwerke ist“, sagte sie.

    Atomkraftwerke: Nachweis für Sicherheit muss erbracht werden

    1992 gab es in dem schwedischen Atomkraftwerk Barsebäck, einem Siedewasserreaktor, ein akutes Problem: Im Notkühlsystem verstopften die Ansaugsiebe durch das Isoliermaterial der Kühlleitungen. Dies hatte zur Folge, dass die Notkühlung nur noch eingeschränkt funktionierte. Schon damals war klar, dass dieses Problem auch bei deutschen Kernkraftwerken auftreten könnte.

    Atomkatastrophen und Beinahe-Katastrophen

    Dezember 1952: Der erste atomare Störfall ereignete sich in Kanada. In einem Reaktor der Chalk River Laboratories in der Nähe von Ottawa wird durch eine Explosion eine partiellen Kernschmelze ausgelöst. Ursache für den Unfall war ein Bedienungsfehler. Zwei Jahre später wird der Unglücksreaktor wieder in Betrieb genommen.

    September 1957: In der sowjetischen Plutoniumfabrik Majak kam es in einem unterirdischer Betontank, der mit flüssigen, radioaktiven Abfällen gefüllt war, zu einer schweren Explosion. Rund 1000 Menschen verlieren dabei ihr Leben. Weite Teile der Umgebung sind noch heute stark kontaminiert. Erst viele Jahre später machte ein emigrierter Wissenschaftler die katastrohalen Ereignisse publik.

    Oktober 1957: Im englischen Ort Windscale (heute: Sellafield) wütet ein Feuer in einem Reaktor, der zur Herstellung von Plutonium für Bomben dient. Es sterben mindestens 39 Menschen. Außerdem wird ein mehrere hundert Quadratkilometer großes Gebiet durch entweichende radioaktive Gase langfristig verseucht.

    Juli 1973: Erneut ereignet sich ein Störfall in Windscale. Eine Explosion kontaminiert einen großen Teil der Wiederaufarbeitungsanlage.

    Januar 1977: Der erste aromare Störfall auf deutschem Boden ereignet sich im bayerischen Atomkraftwerk Gundremmingen. Mehrere Kurzschlüsse an zwei stromabführenden Hochspannungsleitungen verursachen einen Totalschaden des Reaktorgebäudes.

    März 1979: Im nordamerikanischen Atomkraftwerk Three Mile Island in der Nähe von Harrisburg fällt aufgrund von Maschinen- und Bedienungsfehlern die Kühlung der Kernreaktoren aus. Es folgt eine partielle Kernschmelze. Weil die Umgebung dadurch stark kontaminiert wird, müssen 200.000 Menschen evakuiert werden.

    April 1986: Der große Störfall von Tschernobil in der Ukraine hat die Gefahr, die von Atomkraftwerken ausgeht, ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Als der Leichtwasser-Graphit-Reaktor infolge eines Bedienungsfehlers explodiert, kommen 32 Menschen noch an Ort und Stelle ums Leben. Eine radioaktive Wolke gelangt bis nach Westeuropa und versetzt die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Insgesamt sterben tausende an den Spätfolgen.

    September 1999: Im japanischen Tokaimura wird radioaktive Strahlung frei, als sich infolge der unsachgemäßigen Befüllung eines Vorbereitungstanks eine unkontrollierte Kettenreaktion ereignet. Ein Arbeiter hatte anstatt der vorgeschriebenen 2,3 Kilo Urangemisch mehr als die siebenfache Menge in den Tank gefüllt. Etwa 150 Personen wurden verstrahlt.

    Oktober 2000: In Tschechien geht das Kernkraftwerk Temelin ans Netz. Bis heute hat es an die 100 Störfälle gegeben. Viele Menschen in Tschechien, Bayern und Österreich fürchten sich vor den Folgen einer großen Katastrophe.

    Dezember 2001: Im Atomkraftwerk Brunsbüttel in Schleswig-Holstein ereignet sich eine Wasserstoffexplosion. Erst im Februar des darauffolgenden Jahres wird der Reaktor vom Netz genommen, weil die Kontrollbehörde eine grundlegende Inspektion fordert.

    Juli 2009: Beinahe kommt es im Kernkraftwerk Krümmel in Schleswig-Holstein zu einem schlimmen Unfall. In der Vergangenheit hatte es bereits mehrfach Probleme mit dem Reaktor gegeben. Obwohl er gerade erst inspiziert worden war, gab es einen Kurzschluss im Maschinentransformator. Daraufhin wurde der Reaktor erneut abgeschaltet.

    März 2011: Die Welt hält den Atem an, als ein Tsunami schwere Schäden im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi anrichtet. In drei Reaktoren kommt es zur Kernschmelze. Radioaktivität tritt aus und macht das Umland unbewohnbar. Tausende verlieren Ihre Existenzgrundlage.

    Im Auftrag des Bundesumweltministeriums erstellte die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit zwischen 1992 und 2007 mehrfach Empfehlungen, wie mit dem Problem umzugehen sei, und sprach sich 2011 dafür aus, auch die deutschen Siedewasserreaktoren nachzurüsten. Für jedes Atomkraftwerk musste der Nachweis erbracht werden, dass das Problem beherrscht werde.

    Grundremmingen: Umrüstung noch nicht abgeschlossen

    Wie eine parlamentarische Anfrage von Kotting-Uhl beim Bundesumweltministerium nun ergab, blieb die bayerische Atomaufsicht im Falle von Gundremmingen allerdings untätig. Anfragen des Bundesumweltministeriums 2012 und 2013 ergaben, dass die vorgeschriebenen Arbeiten zur Umrüstung „noch nicht abgeschlossen“ seien, einen konkreten Zeitplan gebe es nicht.

    Die bayerische Atomaufsicht verwies in einem Schreiben vom 21. Januar 2014 darauf, dass es im Kernkraftwerk Gundremmingen „große Reserven im Hinblick auf die Kernkühlung“ gebe, welche die „vorhandenen Unsicherheiten abdecken“.

    Mit dieser Antwort wollen sich die Grünen im Bundestag allerdings nicht zufriedengeben. „Ausgerechnet in dem Atomkraftwerk, dessen Notkühlsystem sowieso schon gravierende Defizite hat, ist Verstopfung der Notkühlung noch immer nicht sicher ausgeschlossen, obwohl das Problem seit Jahren bekannt ist“, kritisierte Kotting-Uhl. „Eine solche Fahrlässigkeit ist absolut fehl am Platz bei der Hochrisikotechnik Atomkraft.“

    Akw-Betreiber weist Vorwürfe zurück

    Der Betreiber des Kernkraftwerks Gundremmingen wies die Vorwürfe der Grünen am Wochenende entschieden zurück. In einer Stellungnahme heißt es, entgegen der Darstellung sei die Übertragbarkeit des Ereignisses im schwedischen Kernkraftwerk Barsebäck aus dem Jahr 1992 auch für das Kernkraftwerk Gundremmingen umfassend geprüft worden. Das Ergebnis: Ein Ereignis vergleichbar zu dem in Barsebäck werde im Kernkraftwerk Gundremmingen beherrscht.

    Das ist das Atomkraftwerk Gundremmingen

    Die Anlage Gundremmingen zwischen Günzburg und Dillingen, die in dieser Form seit 1984 besteht, ist der leistungsstärkste Kernkraftwerksstandort in Deutschland. Die zwei Reaktoren erzeugen pro Jahr mehr als 20 Milliarden Kilowattstunden Strom. Dies entspricht rund einem Drittel des gesamten Verbrauchs in Bayern.

    Die Betreibergesellschaft der Anlage gehört zu 75 Prozent RWE und zu 25 Prozent Eon. Nach dem Atomausstiegsbeschluss der Bundesregierung 2011 sollen Block B im Jahr 2017 und Block C 2021 abgeschaltet werden.

    Das Zwischenlager in Gundremmingen ging im August 2006 in Betrieb. Die Halle liegt rund 150 Meter vom Reaktorgebäude entfernt und ist 104 Meter lang, 38 Meter breit und 18 Meter hoch. Die Wände aus Stahlbeton sind 85 Zentimeter dick. Die Halle verfügt über eine Kapazität von 192 Castoren. Ein Castor wiederum enthält 52 Brennelemente. Damit ist das schwäbische Zwischenlager das größte in Deutschland.

    Wie alle anderen Zwischenlager ist auch dieses für eine Betriebszeit von maximal 40 Jahren ausgerichtet. Das heißt, in Gundremmingen endet die Genehmigung 2046. Spätestens dann, so die ursprüngliche Planung, sollte ein Endlager in Deutschland zur Verfügung stehen.

    Die Kritiker befürchteten schon bei der Genehmigung des Zwischenlagers, dass es de facto zu einem Endlager werden könnte. Außerdem argumentierten sie, dass in jedem der Castoren mehr Radioaktivität enthalten sei, als bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 freigesetzt wurde.

    Gegen den Bau der Zwischenlager wurde bundesweit prozessiert. Im Fall von Gundremmingen reichten fünf Anwohner aus umliegenden Gemeinden Klage beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München ein. Der VGH wies die Klage mit seinem Urteil vom 2. Januar 2006 ab.

    Zudem entbehre die Behauptung von Kotting-Uhl, im Kernkraftwerk Gundremmingen bestünden hinsichtlich der Not- und Nachkühlsysteme "gravierende Defizite", jeder sachlichen Grundlage. "Bereits während eines Anlagenbesuchs der Abgeordneten Kotting-Uhl und ihrer Mitarbeiter auf Einladung des Kernkraftwerks Gundremmingen im Sommer 2013 erläuterte die Kraftwerksleitung, dass die Auslegung der Nachkühlsysteme den Anforderungen entspricht. Von behördlicher Seite wurde das zuletzt durch die Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage der Abgeordneten Kotting-Uhl im Januar 2014 erneut bestätigt."

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden