Das Foto ging durch die Medien: Eine junge Frau schaut mit geschwollenem Auge und blutverkrusteter Nase in die Kamera. Ihr Vorwurf wiegt schwer: Ein Polizist sei im Dienst ausgerastet und habe sie zwei Mal ins Gesicht geschlagen. Ob es sich wirklich um Notwehr gehandelt habe, wie er behauptet, muss geklärt werden. Wenn Polizisten Gewalt gegen Bürger anwenden, erregt das Aufmerksamkeit. So auch der Fall des suspendierten Rosenheimer Polizeichefs, der wegen seiner Schläge auf einen gefesselten Jugendlichen im vergangenen Jahr zu elf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde. Dabei erfährt die Polizei selbst zunehmend Gewalt in ihren Einsätzen - oft stehen die Tatverdächtigen unter Alkohol- oder Drogeneinfluss.
Die Gewalt gegen Polizeibeamte nimmt zu
Das bayerische Innenministerium nennt Zahlen: Für 2011 registrierte es knapp 7000 Fälle, in denen Polizeibeamte bespuckt, bedroht, geschlagen oder getreten wurden. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutete das eine Steigerung um zehn Prozent. Für 2012 gibt es noch keine Statistik. Die Angaben des Polizeipräsidiums Schwaben Nord decken sich damit im Groben: Im Großraum Augsburg kam es 2011 zu 691 Fällen von Gewalt gegen Polizeibeamte, 14 Prozent mehr als im Vorjahr.
1397 Polizisten waren insgesamt davon betroffen. Fassungslosigkeit hatten die tödlichen Schüsse auf den Polizisten Mathias Vieth bei den Bürgern hervorgerufen. Polizeioberrat Udo Dreher vom Präsidium Schwaben Nord bestätigt, dass die Handgreiflichkeiten gegen Polizisten im Dienst zunehmen: "Besonders markant ist für uns, dass teilweise unbeteiligte Dritte sich plötzlich einmischen und gegen Polizeibeamte vorgehen."
Der Augsburger Strafverteidiger Walter Rubach glaubt, dass die Polizei aufgrund solcher Erfahrungen mittlerweile sehr schnell bereit sei, gegenüber Bürgern "unmittelbar Zwang" anzuwenden, um sich selbst zu schützen. Häufig kämen Klagen von Menschen bei ihm an, die sich ungerecht behandelt fühlen: "Erstaunlich oft. Aber nur sehr, sehr, sehr selten bringe ich so etwas zur Anzeige", sagt der Rechtsanwalt. Letztes Jahr hätten sich in mehr als einem Dutzend Fälle Personen mit derartigen Vorwürfen bei ihm gemeldet, keinen hat Rubach weiterverfolgt. Besonders an einen erinnert er sich: Ein Mann habe behauptet, dass ein Polizist ihn malträtiert hätte. In den Akten fand der Anwalt jedoch Zeugenaussagen, die zeigten, dass der Mann selbst höchst aggressiv der Polizei gegenüber aufgetreten sei.
Häufig gibt es keine objektiven Beweise
"Man muss sehr vorsichtig sein, wenn jemand so etwas behauptet", sagt Rubach. Zum einen gebe es häufig keine objektiven Beiweise - Aussage stehe dann gegen Aussage. Zum anderen würden gerade Betrunkene oftmals eines nicht realisieren: Dass die Polizei berechtigt sei, Zwang anzuwenden, wenn sich jemand ihren Anweisungen widersetze. "Es gibt sicherlich Beschuldigungen, die zurecht erhoben werden. In der Mehrzahl der Fälle ist das aber nicht so - oder es kann nicht bewiesen werden", sagt der Augsburger Anwalt.
Das Innenministerium geht allen Anschuldigungen nach, versichert der stellvertretende Ministeriumssprecher Michael Siefener. Wenn ein Bürger sich durch die Polizei schlecht behandelt fühlt, hat er laut Siefener verschiedene Möglichkeiten, sich zu beschweren: Er kann sich direkt an eine Polizeidienststelle wenden, an das Innenministerium oder die Staatsanwaltschaft.
In Bayern gibt es außerdem zwei zentrale, unabhängige Stellen der Polizei für interne Ermittlungen bei Amtsdelikten: in München und in Nürnberg. Siefener zufolge gehen da die unterschiedlichsten Beschwerden ein: "Wenn sich jemand unverschämt behandelt fühlt. Wenn er glaubt, dass er seinen Strafzettel nicht verdient hat. Aber auch, wenn er zu Unrecht geschlagen wurde." Die Staatsanwaltschaft nimmt dann die Ermittlungen auf. Sollte ein Gericht den Polizeibeamten verurteilen, droht ihm anschließend ein disziplinarrechtliches Verfahren. Im schlimmsten Fall wird er aus dem Dienst entfernt.
Rund 1700 Beschwerden jährlich
Wie Siefener sagt, sei es leider an der Tagesordnung, dass Polizisten angezeigt werden. Vielfach erwiesen sich die Vorwürfe als haltlos. "Es ist die absolute Ausnahme, dass wirklich mal ein Beamter wegen Körperverletzung im Amt verurteilt wird", sagt Siefener. Dann werde in aller Konsequenz gegen ihn vorgegangen. Als Beispiel nennt er den suspendierten Dienststellenleiter in Rosenheim. "So etwas kommt leider vor, es sind aber Einzelfälle.
Es wäre bedauerlich, wenn dadurch der Eindruck entstehen würde, dass die bayerische Polizei prügelt", sagt Siefener. Seine Aussage untermauert er mit Zahlen: 2011 ist demnach kein einziger Polizist in Bayern wegen Körperverletzung im Amt suspendiert worden, vergangenes Jahr allein der Beamte in Rosenheim. Dem stünden jährlich rund 1700 Beschwerden von Bürgern gegen Polizeibeamte gegenüber, in denen Beleidigungen, aber auch schwerere Vorwürfe geltend gemacht würden.
Aktuell die Anzeige der 23-jährigen Münchnerin, die eine Inspektion im Stadtteil Au mit zwei Brüchen im Gesicht verließ. Wie berichtet, wirft sie einem Polizeibeamten vor, sie zwei Mal mit der Faust geschlagen zu haben. Einen Schlag hatte der 33-jährige Polizeihauptmeister eingeräumt. Er will jedoch in Notwehr gehandelt haben. Seiner Aussage zufolge habe die Frau versucht, mit dem Kopf nach ihm zu schlagen, nachdem sie bereits auf ihn gespuckt hatte. Das bestreitet die Tierarzthelferin. Sie habe gefesselt auf einer Pritsche gelegen und hätte ihn gar nicht treffen können, sagt ihr Anwalt Franz J. Erlmeier.
Die Szene in der Zelle soll rekonstruiert werden
Die Polizei führt im Rahmen der Ermittlungen derzeit eine Rekonstruktion der Szene mit den Beteiligten durch. Sie soll aufklären, was an jenem Nachmittag im Januar in der Zelle wirklich geschehen ist. Die 23-Jährige habe ihren Part bereits nachgespielt, sagt Erlmeier. Für ihn sei dabei deutlich geworden, dass die Frau den Polizisten gar nicht hätte treffen können: "Klein, schmächtig und gefesselt lag sie auf der niedrigen Pritsche, der Polizist stand ein ganzes Stück über ihr. Das ist schlicht unmöglich."
Der Rechtsanwalt lässt zudem eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gegen die anderen fünf bis sieben Polizisten prüfen, die Zeugen des Vorfalls wurden: Sie hätten seine Mandantin blutend und verletzt für längere Zeit alleine in der Zelle zurückgelassen, bis der Notarzt gekommen sei, sagt Erlmeier.