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Gesundheit: Wie sicher ist das Trinkwasser in der Region?

Gesundheit

Wie sicher ist das Trinkwasser in der Region?

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    Einfach am Wasserhahn drehen - eigentlich eine Selbstverständlichkeit in Deutschland. Doch immer häufiger ist das Trinkwasser mit Keimen belastet.
    Einfach am Wasserhahn drehen - eigentlich eine Selbstverständlichkeit in Deutschland. Doch immer häufiger ist das Trinkwasser mit Keimen belastet. Foto: Bernhard Weizenegger (Symbolbild)

    An seinen ersten Geburtstag wird sich Samuel Olear nicht mehr erinnern. Seinen Eltern wird er aber noch länger im Gedächtnis bleiben. Es ist das erste Wochenende im August. Ein Sommertag, wie er im Buche steht. Perfektes Wetter, um zu grillen und im Wasser zu planschen. Also organisieren Kathrin

    Am Tag zuvor, einem Freitagmittag, haben sich gerade die Büros im Diedorfer Rathaus geleert. Auch Bürgermeister Peter Högg will sich auf den Weg nach Hause machen, als das Telefon klingelt. Ein Mitarbeiter des Wasserwerks berichtet, dass bei einer Routinekontrolle im Ortsteil Kreppen Keime gefunden wurden. Högg muss den Feierabend verschieben. Er fährt nach Kreppen, wo er sich mit dem Angestellten des Wasserwerks, Mitarbeitern der Stadtwerke und Vertretern des Gesundheitsamtes im Landkreis Augsburg trifft. Eine Art Krisensitzung, erinnert sich der Bürgermeister: „Damals besprachen wir zum ersten Mal das Szenario.“

    Es ist das Szenario, wie vorzugehen ist, wenn das Wasser, das aus den Leitungen der Bürger fließt, das sie trinken, mit dem sie sich waschen, wenn dieses Wasser die Menschen krank machen könnte. Am Nachmittag wird eine erneute Probe entnommen. Befindet sich darin ein Keim auf 100 Milliliter Wasser, muss das Gesundheitsamt anweisen, das Wasser abzukochen, damit mögliche Keime abgetötet werden.

    Bei der Familie des kleinen Samuel ist die Feier im vollen Gange. Die Gäste plaudern im Garten, essen und trinken. Plötzlich hallt eine Stimme aus einem Lautsprecher. Die Feuerwehr fährt durch die Straßen und verkündet: Ab sofort müssen alle Diedorfer ihr Leitungswasser abkochen. Heute sagt Ralf Binder: „Ich habe die Durchsage gehört, zu Samuel geschaut, und er saß mitten in der Brühe.“

    Wenn Menschen erkranken, dann meist an Durchfall

    Zwar haben weder der Einjährige noch die Geburtstagsgäste gesundheitliche Probleme bekommen. Doch grundsätzlich sind Mikroorganismen nicht ungefährlich. So vielfältig die Bakterienarten sind, so unterschiedlich können sie sich auf den Körper auswirken, heißt es im Umweltbundesamt. Wenn Menschen erkranken, dann meist an Durchfall. Gelangen die Keime in die Blutbahn, können sie im schlimmsten Fall lebensbedrohlich werden. Wer etwa eine offene Wunde hat und mit dem verunreinigten Wasser in Berührung kommt, riskiert eine Infektion und eine Blutvergiftung. Gerade für Ältere und Menschen mit geschwächtem Immunsystem, Patienten, die beispielsweise eine Chemotherapie erhalten, seien die Keime gefährlich.

    Zweieinhalb Monate lang, von Anfang August bis Mitte Oktober, müssen die rund 10.000 Diedorfer ihr Wasser also abkochen. Eine mühsame Zeit für die Familie Olear-Binder. Jeden Tag setzen sie einen riesigen Topf Wasser auf den Herd. „Wir sind richtig in Produktion gegangen“, erzählt Ralf Binder. Wasser abkochen, Wasser abkühlen, Wasser abfüllen. Und wieder von vorn. „Am Anfang war es eine Einschränkung. Wir mussten vor allem auf die Kinder aufpassen“, sagt Kathrin Olear und streichelt über ihren Bauch. Die Frau ist im achten Monat schwanger. Mitte Dezember soll das Baby zur Welt kommen. Das sind noch gut fünf Wochen.

    Und dann die Suche nach der Ursache des Problems. Eine schwierige Aufgabe. An insgesamt 26 Stellen im Trinkwassernetz der Kommune werden Proben entnommen. „Immer wieder fand man neue Störfälle“, sagt Bürgermeister Högg. „Woher die Keime kamen, konnte kaum noch lokalisiert werden.“

    Mehrere Faktoren begünstigten, dass sich die Keime rasch verbreiten konnten. Unter anderem die Hitzewelle des vergangenen Sommers. Durch die Trockenheit bildeten sich Risse im Boden, so tief, dass Keime in das Grundwasser gelangen konnten. Das ist eine Vermutung. Doch auch veraltete Technik gilt als Auslöser eines solchen Problems. So war die Belüftung an den neun Hochbehältern, in denen das Wasser aufbereitet wird, nicht auf dem neuesten Stand. Statt Papierfilter diente ein Insektengitter als Schutz vor Verunreinigungen. In den kommenden zwei Jahren wären die Wasserspeicher saniert worden, erzählt Högg. Nun muss alles viel schneller gehen.

    Der Störfall in Diedorf steht beispielhaft für viele Wasserversorger in Bayern. Die Probleme häufen sich, auch abseits der mancherorts hohen Nitratbelastung des Grundwassers. Im Sommer war in Vöhringen bei Neu-Ulm beispielsweise das Wasser einige Tage lang mit einem Keim belastet. In Wiggensbach im Oberallgäu müssen die Einwohner derzeit ihr Leitungswasser abkochen, was zu einem Ansturm auf Mineralwasser im örtlichen Supermarkt geführt hat. Experten zufolge haben im gesamten Freistaat etwa 95 Prozent der Hochbehälter keine Papierfilter. Was auf ein Kernproblem der Wasserversorgung hinweist: Auf der einen Seite gibt es ständig neue technische Vorgaben, an die sich die Gemeinden zu halten haben. Auf der anderen Seite sind die Trinkwasseranlagen in vielen Kommunen „Kinder ihrer Zeit“, sagt Uwe Breitfelder vom Gesundheitsamt des Landkreises Augsburg. Viele von ihnen seien in den 1970er Jahren entstanden. Der Kreis

    Was die Kommunen vor eine gewaltige Aufgabe stellt

    Entsprechend seien viele Brunnen und Hochbehälter sanierungsbedürftig – wie eben in Diedorf. Das stellt Kommunen vor eine gewaltige Aufgabe. Denn Sanierungsmaßnahmen sind teuer. „Wir reden hier nicht über ein paar Euro, die in die Anlagen gesteckt werden, und dann ist es wieder getan“, sagt Breitfelder. „Die Instandsetzungen kosten den Gemeinden hohe fünf- oder gar sechsstellige Beträge. Das kann man nicht sofort erledigen.“

    Nicht nur die Technik befindet sich in einer ständigen Optimierungsschleife. Auch die Messmethoden haben sich verbessert. „Das Spektrum an Keimen, die man feststellen kann, ist größer geworden“, sagt Hygienekontrolleur Breitfelder. Selbst kleine Konzentrationen kommen durch die neuen Prüfmethoden zutage. Bürgermeister Högg findet: „Es ist eine Spanne entstanden zwischen dem, was die Verordnungen fordern, und dem, was man als Gemeinde umsetzen kann.“

    Die Folgen sind spürbar. Beziehungsweise riechbar. Auch fünf Wochen, nachdem die ersten Keime in Diedorf entdeckt worden sind, ist die Ursache noch immer nicht lokalisierbar. Auf das gesamte Trinkwassernetz verteilt treten immer wieder Fehlerquellen auf. Daher beschließt man Anfang September, das Wasser zu chloren. Was die Keime im Wasser endlich abtöten soll. Diedorf steht damit nicht allein da. Das benachbarte Dinkelscherben traf es in diesem Jahr auch schon. Und in Bobingen sind noch immer mehrere tausend Haushalte betroffen.

    Vorsichtshalber doch lieber Mineralwasser: Ralf Binder, seine Lebensgefährtin Kathrin Olear und Sohn Samuel aus Diedorf.
    Vorsichtshalber doch lieber Mineralwasser: Ralf Binder, seine Lebensgefährtin Kathrin Olear und Sohn Samuel aus Diedorf. Foto: Dorina Pascher

    Ralf Binder dreht den Wasserhahn auf und stellt ein Glas drunter. „Es riecht noch“, sagt der 36-Jährige. Der Chlorgeruch erinnert an Hallenbad, Schwimmunterricht und rutschige Fliesen. Mittlerweile könnten die Diedorfer ihr Leitungswasser wieder bedenkenlos trinken, sagt das Gesundheitsamt. Doch ein Rest Misstrauen bleibt. „Ich bin mir nicht sicher, ob es was ausmacht“, sagt Kathrin Olear. Vielleicht hätte sie weniger Bedenken, wäre sie nicht schwanger, sagt sie.

    Die Familie kauft nun jede Woche zwei Kisten Mineralwasser im Getränkemarkt. „Früher sind wir alle zwei bis drei Monate dorthin gefahren, um Saft zu kaufen“, sagt die 31-Jährige. Mineralwasser kauften sie nur, wenn Gäste kamen. Gerade der kleine Samuel mag kein Wasser mit Sprudel – „und wenn da auch nur ein bisschen drin ist“, weiß die Mama. Das Wasser für Tee, Kaffee oder Suppen holt das Paar im nahen Fischach, wo Binders Eltern wohnen. Dort füllen sie Leitungswasser in Fünf-Liter-Kanister ab. „Aber ehrlich gesagt bin ich mir auch da nicht mehr sicher, ob das Wasser eine gute Qualität hat“, sagt sie. Die junge Familie ist verunsichert.

    Nicht alle Diedorfer empfinden die Situation als dramatisch. Am anderen Ende des Ortes leben Wanja, 44, und Jürgen Pfisterer, 47, in einem Einfamilienhaus. „Uns juckt das Trinkwasserproblem kaum“, sagt Jürgen und lehnt sich in seinem Esszimmerstuhl zurück. Während des Abkochgebots haben sie das Wasser zwar nicht getrunken, ansonsten aber auch nichts in ihrem Alltag verändert. Sie wuschen ihren Salat unter dem Wasserhahn, und auch für die Nudeln verwendeten sie Leitungswasser. Das Paar hat keinen Unterschied bemerkt. Nur an ihrem Arbeitsplatz haben sie die Umstellung zu spüren bekommen. Beide sind bei der Diedorfer Firma Keimfarben beschäftigt. Dort gab es über Monate hinweg kein Salatbüfett mehr. „Manche Mitarbeiter haben sich aufgeregt“, erzählt die Laborantin

    Rund fünf Kilometer von Diedorf entfernt liegt Deubach. In dem Ortsteil von Gessertshausen wurden zwischen 2014 und 2016 immer wieder Keime im Wasser gefunden. Lange Zeit mussten die Bewohner das Trinkwasser abkochen. Bald stand fest: Die komplette Wasserversorgung muss saniert werden. Der Fall beschäftigte lange das Gesundheitsamt. Es beschloss, alle Wasserversorger im Landkreis auf den Prüfstand zu stellen. Das ist zwei Jahre her. Von den rund 30 Versorgern wurde bislang ein Drittel untersucht. Ergebnis: Kein einziger erfüllt alle gesetzlichen Vorgaben. Nun ruhen die Begehungen. Denn die Mitarbeiter der Behörde sind mit den aktuellen Fällen mehr als beschäftigt.

    Die Trinkwasser-Chlorung in Diedorf wird wohl ein Jahr dauern

    In Diedorf rätseln Ralf Binder und Kathrin Olear nun, wie das mit dem Trinkwasser weitergeht. „Wenn ich Samuel dusche und er das Wasser schluckt, dann mache ich mir Gedanken“, sagt er. Ist erst mal sein Geschwisterchen auf der Welt, werde die Situation nicht leichter. „Ohne gesundes Leitungswasser geht viel Lebensqualität verloren.“ Experten gehen davon aus, dass die Chlorung ein Jahr dauern wird. Bürgermeister Högg hofft, dass „im nächsten halben Jahr“ das Wasser stabil keimfrei bleibt.

    Mit solchen Wurfzetteln wurden die Bürger in Diedorf auf die Chlorung des Trinkwassers hingewiesen.
    Mit solchen Wurfzetteln wurden die Bürger in Diedorf auf die Chlorung des Trinkwassers hingewiesen. Foto: Marcus Merk

    Die Bewohner von Türkheim können mit den Diedorfern mitfühlen. In der Gemeinde im Unterallgäu wurden 2017 ebenfalls Keime gefunden. Die gut 7000 Einwohner mussten ihr Wasser abkochen oder konnten es nur gechlort trinken. Was die Ursache war, ist bis heute nicht geklärt. Für die Bürger war es ein Hin und Her. Erst mussten sie Wasser abkochen, dann gab das Gesundheitsamt Entwarnung, dann hieß es wieder: Abkochen.

    Die Gemeinde beauftragte eine Spezialfirma, die das komplette Leitungsnetz mit Chlor spülte. Die Kosten werden auf insgesamt 475.000 Euro geschätzt. 300.000 Euro zahlt die Gemeinde. Die sah sich dann gezwungen, den Wasserpreis zu erhöhen. Statt bislang 1,34 Euro pro Kubikmeter müssen die Verbraucher jetzt 1,53 Euro netto für 1000 Liter Leitungswasser bezahlen. Hatte Türkheim zuvor den günstigsten Trinkwasserpreis im Unterallgäu, hat es nun den höchsten.

    Droht dieses Szenario auch den Diedorfern? Seit August hat ihnen das Trinkwasserproblem Kosten von mindestens 250.000 Euro beschert. Und das ist nur das Geld für die Sofortmaßnahmen. Die Sanierung der Wasserversorgung wird die Marktgemeinde noch länger belasten. Bislang habe sie die Maßnahmen aus dem Haushalt finanziert, sagt Bürgermeister Högg. Ob die Bürger über steigende Gebühren ebenfalls zur Kasse gebeten werden, sei noch offen, sagt Högg. Eine Neuberechnung der Wasserpreise ist erst für Ende 2019 vorgesehen.

    Darüber machen sich Ralf Binder und Kathrin Olear derzeit die wenigsten Gedanken. Der Familie ist es nur wichtig, wieder bedenkenlos den Wasserhahn aufdrehen zu können. Aus der Misere nimmt sie eines mit: „In dieser Zeit ist uns bewusst geworden, wie wichtig Wasser ist“, sagt

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