Im Alter so lange wie möglich zu Hause wohnen bleiben – das ist für Dieter K. ein großer Wunsch. „Ich will nicht ins Altersheim, wenn es irgendwie geht“, sagt der 78-Jährige aus München. „Und zum Glück habe ich meinen Robert. 13 Jahre sind es jetzt schon, dass wir zusammen sind.“ Mit ihrer Homosexualität gehen Dieter K. und sein Partner ganz offen um: „Wir leben so, wie es uns glücklich macht. Und es ist uns wurscht, was andere darüber denken und dazu sagen“, sagt er. Doch das sei nicht immer so gewesen – vor allem, wenn er an früher zurückdenkt.
Manche LGBTI-Senioren fürchten im Alter, diskriminiert zu werden
Schon als Jugendlicher spürte K., dass er sich zu anderen Männern hingezogen fühlt. „Ich habe es immer vermutet, wollte es aber nicht wahrhaben. Ich sollte ja eigentlich heiraten und Kinder kriegen, so wurde mir das beigebracht. Aber die Vorstellung hat mich damals schon nicht glücklich gemacht.“ Ein paar Jahre, nachdem K. die Schule abgebrochen hatte, holte er sein Abitur nach. „Erst das hat mir so viel Selbstwertgefühl gegeben, dass ich mir gesagt habe: Jetzt lebe ich so, wie ich es für richtig halte.“ Die meisten Menschen im privaten und im beruflichen Umfeld reagierten auf sein Outing verständnisvoll. „Nur die Eltern waren schwierig, die Mutter hat erst mal geweint und wollte mir irgendeinen Arzt besorgen. So ein Schwachsinn.“ Doch bis er ganz offen und unbefangen mit seiner Homosexualität umgehen konnte, wartete K. bis 1971 – als sexuelle Handlungen zwischen Männern in Deutschland nicht mehr unter Strafe standen.
Dieter K. gehört zu den Senioren, die ihr Leben lang teils schlimme Erfahrungen mit ihrer Homosexualität gemacht haben. Die Angst vor ihrem Coming-out hatten und mit Ausgrenzung gekämpft haben. Teilweise begleiten sie diese Ängste bis heute. Manche schwule, lesbische und transsexuelle Senioren fürchten sich selbst im Alter noch davor, nicht akzeptiert zu werden. Davor, sich und ihre Identität geheimhalten zu müssen – zum Beispiel dann, wenn sie nicht mehr alleine leben können und in ein Pflegeheim umziehen müssen.
Ein Projekt in München soll diese Sorgen nun lindern. In Sendling nicht weit von der Theresienwiese entfernt wird eine Art Heim für Senioren der LGBTI-Community entstehen – also für ältere Menschen ab 60, die schwul, lesbisch, bisexuell, transgender oder intersexuell sind. Das Wohnprojekt heißt „Wohnen unterm Regenbogen“, 2023 wird das Haus mit 28 Wohnungen voraussichtlich fertig sein. Das Projekt läuft als Kooperation zwischen der Münchner AIDS-Hilfe und dem Träger Münchenstift. Vor kurzem hat der Sozialausschuss der Stadt München einem Zuschuss von bis zu 500.000 Euro zu den Betriebskosten zugestimmt.
Ein halbes Dutzend solcher Angebote für LGBTI-Senioren in Deutschland
Wie wichtig ein solches Wohnprojekt für ältere Menschen ist, weiß Peter Priller von der Beratungsstelle Rosa Alter. „Je älter die schwulen oder lesbischen Senioren sind, desto schlimmer sind meistens die Erfahrungen, die sie gemacht haben.“ Das müssten gar nicht unbedingt die Zeit und die Folgen des Nationalsozialismus sein, sagt Priller – und verweist als Beispiel auf den Paragrafen 175 des deutschen Strafgesetzbuches. „Er stellte freiwillige sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe“, erklärt er, „in seiner scharfen Form galt er bis 1969, bis dahin konnten Schwule ins Gefängnis kommen. Erst 1994 wurde er vollständig abgeschafft.“ Und selbst danach sei es ein langer Weg bis zur gesellschaftlichen Akzeptanz gewesen, sagt Priller.
Wegen dieser negativen Erfahrungen bräuchten Senioren der LGBTI-Community deshalb auch im Alter die Möglichkeit, frei von Ablehnung zu leben, sagt Thomas Niederbühl von der Münchner AIDS-Hilfe: „Viele wünschten sich einen geschützten Ort.“ Denn zum einen hätten sie Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht. Zum anderen hätten sie viele Jahre lang offen mit ihrer Sexualität gelebt – und wollen, dass sie das auch noch im Alter können. „Aber viele fürchten sich davor, in ein Heim zu gehen. Sie haben Angst, dass die anderen Bewohner und das Personal nicht richtig mit ihrer Sexualität umgehen können. Oder, dass sie aufgrund ihrer Lebensgeschichte – viele von ihnen haben keine Kinder oder Enkelkinder – ausgegrenzt werden.“
Die Notwendigkeit eines solchen Wohnprojekts halten Thomas Niederbühl und Peter Priller für sehr groß. „Wir schätzen, dass es in ganz Deutschland vielleicht ein halbes Dutzend solcher Angebote gibt.“ Und auch der 78-jährige Dieter K. aus München findet den Plan für das „Wohnen unterm Regenbogen gut“. „Für mich selbst wäre das zwar nichts, ich möchte, so lange es geht, zu Hause bleiben“, sagt er. „Aber für Senioren, die keine Familie und keinen Partner haben, ist das ein gutes Angebot. Es ist ein wohltuender Gedanke, dass es so etwas geben wird.“
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