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Gerichtsmediziner erzählt: Leichen säumen seinen Lebensweg

Gerichtsmediziner erzählt

Leichen säumen seinen Lebensweg

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    Gerichtsmediziner Wolfgang Eisenmenger
    Gerichtsmediziner Wolfgang Eisenmenger

    München (dpa/lby) - Eine genaue Zahl kann Wolfgang Eisenmenger nicht nennen. Der Münchner Gerichtsmediziner schätzt, dass er im Laufe der Jahre zwischen 20.000 und 30.000 Leichen seziert hat.

    Auf seinem großen Stahltisch lagen auch der 1990 mit einem Hammer erschlagene bayerische Volksschauspieler Walter Sedlmayr und der 2005 mit einem Kabel erdrosselte Münchner Modeschöpfer Rudolph Moshammer. Prof. Eisenmenger ist einer der bekanntesten Gerichtsmediziner in Deutschland, Ende März geht er 65-Jährige in Ruhestand.

    Nach dem Tod von Franz Josef Strauß im Jahr 1988 wurde Eisenmenger nach Regensburg gerufen. Eine Obduktion sollte unter anderem klären, ob der Zusammenbruch des bayerischen Ministerpräsidenten möglicherweise auf eine Fischvergiftung zurückzuführen sein könnte - wofür sich aber keine Hinweise fanden. Es gab auch sonst kein Geheimnis um den Tod von Strauß zu lüften. Das CSU-Urgestein sei schlichtweg an den Folgen eines schweren Herzinfarktes gestorben, erinnert sich der Mediziner.

    Das Institut für Rechtsmedizin der Universität München, das Eisenmenger seit 1989 leitet, fand mit einer DNA-Analyse 1973 auch heraus, dass es sich bei einer in Berlin exhumierten Leiche zweifelsfrei um die des Nazi-Politikers und Hitler-Stellvertreters Martin Bormann handelte. Ebenfalls mit einer DNA-Analyse wies das Institut nach, dass Kaspar Hauser nicht - wie oft gemunkelt - in Wirklichkeit ein badischer Erbprinz war.

    Doch jenseits der spektakulären Fälle herrscht in den gekachelten Kellerräumen des Instituts nüchterner Alltag. Rund 2200 Verstorbene müssen Eisenmenger und seine 16 Mediziner-Kollegen jedes Jahr obduzieren. Das Einzugsgebiet des Instituts reiche schließlich auch von Eichstätt bis nach Berchtesgaden und von Neu-Ulm bis nach Passau, betont Eisenmenger.

    Manchmal müssen zehn Leichen am Tag untersucht werden. Doch nur zu einem geringen Anteil geht es dabei um Tötungsdelikte. "In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um ungeklärte Todesfälle, um sogenannte Wohnungsleichen, die von irgend jemandem gefunden werden", erläutert Eisenmenger. Die Gerichtsmediziner müssen dann klären, ob ein natürlicher Tod, Selbstmord oder ein Verbrechen vorliegt.

    "Auch bei Unfällen und Suiziden landen die Toten fast regelhaft bei uns", sagt Eisenmenger. Selbstmorde mit Schusswaffen würden in München seit dem Fall der wegen Doppelmordes verurteilten Vera Brühne besonders genau überprüft. Denn die Ermittler seien damals aufgrund einer Panne zunächst davon ausgegangen, dass der Arzt Otto Praun 1960 seine Geliebte Elfriede Kloo und danach sich selbst erschossen habe, erzählt Eisenmenger. Erst die Obduktion nach einer Exhumierung Prauns zeigte einen zweiten Schusskanal in dessen Kopf - der Münchner Arzt konnte sich also nicht selbst umgebracht haben. Prauns Schädel steht noch heute - neben anderen Schädeln - in einem Glasschrank im Keller des Instituts. Zu dessen Asservaten gehört auch immer noch Sedlmayrs Schädelplatte mit den Hammereinschlägen.

    "Eigentlich wollte ich Landarzt werden", erinnert sich der am 4. Februar 1944 in Waldshut-Tiengen (Baden-Württemberg) geborene Eisenmenger. Vor der geplanten Niederlassung wollte er aber noch etwas anderes machen und bekam in Freiburg eine Stelle als Pathologe. Diese Arbeit fand er so spannend, dass er die Landarzt-Überlegungen ad acta legte. Seit 1972 arbeitet Eisenmenger - verheirateter Vater zweier längst erwachsener Töchter - am Münchner Institut.

    Bei Verbrechen müssen die Gerichtsmediziner stets den Tatort genau in Augenschein nehmen. "Die Spritzerrichtung von Blut an Schränken und Wänden gibt wichtige Hinweise zum Tatablauf", erläutert Eisenmenger. Bei Verbrechensopfern müsse auch die Temperatur gemessen werden, weil sich daraus Rückschlüsse zum Todeszeitpunkt ergäben. Aus Gründen der Pietät werden die Leichen nach einer Obduktion wieder sorgfältig verschlossen.

    "Ein gewisser Gewöhnungseffekt ist da", sagt Eisenmenger zu dem Umgang mit so vielen Leichen. Und doch braucht man als Gerichtsmediziner immer wieder auch eine innere, psychologische Schutzmauer. Denn Eisenmenger hat auch die am Ammersee entführte und in einer vergrabenen Holzkiste erstickte Schülerin Ursula Herrmann gesehen. Ebenso hat er die dreijährige Karolina aus dem schwäbischen Weißenhorn obduziert, die vom Freund der Mutter entsetzlich gequält und dabei von der eigenen Mutter festgehalten worden war. "Das geht einem unter die Haut, gerade wenn man selber Kinder hat", sagt Eisenmenger. "Da macht man sich schon Gedanken, wozu Menschen fähig sind."

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