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Gerichtsmediziner Eisenmenger: Oft war er der letzte Zeuge

Gerichtsmediziner Eisenmenger

Oft war er der letzte Zeuge

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    Rechtsmediziner Wolfgang Eisenmenger.
    Rechtsmediziner Wolfgang Eisenmenger.

    Von Holger Sabinsky Augsburg/München. Auf seinem Edelstahltisch lagen Ministerpräsident Franz Josef Strauß, Volksschauspieler Walter Sedlmayr, Modeschöpfer Rudolph Moshammer. Kennengelernt hat er sie nicht. Sie waren tot.

    Rund 18.000 Leichen hat der Münchner Gerichtsmediziner Wolfgang Eisenmenger (65) in seinem Berufsleben seziert. Er hat etliche Kriminalfälle gelöst, hat sich von der katholischen Vorstellung von Leben und Tod weit entfernt, hat seinen Geruchssinn eingebüßt. Am 31. März geht Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner nach 40 Jahren in den Ruhestand.

    Eisenmenger hat sich nicht an alles gewöhnt, was sein Beruf mit sich bringt: "Ich habe meine Sensibilität nicht verloren. Ich bin nicht abgestumpft gegen menschliches Leid", sagt er. Die grauenvollen Schicksale von Kindern haben ihn emotional stark belastet, haben die psychologische Schutzmauer durchbrochen: Das Schicksal der kleinen Karolina aus Weißenhorn, die von ihren Eltern zu Tode gequält und geprügelt wurde. Und das Schicksal der kleinen Ursula Herrmann.

    Professor Eisenmenger wurde am Vormittag des 4. Oktober 1981 nach Eching am Ammersee gerufen. Eben war das Kistengefängnis mit der toten Ursula gefunden worden. "Da sah man diesen armen Wurm in der Kiste kauern. Ich sehe es noch, als ob es heute wäre. Das hat mich, obwohl ich abgebrüht bin, innerlich sehr, sehr bewegt", sagt er.

    Heute wird Wolfgang Eisenmenger im Prozess um Ursulas Tod als Sachverständiger aussagen. Ein Kreis schließt sich zum Ende seines Berufslebens. Wie immer wird er sachlich ein Gutachten zur Todesursache des zehnjährigen Mädchens vortragen - obwohl er innerlich aufgewühlt ist.

    Oft war er der letzte Zeuge. Das Institut für Rechtsmedizin der Universität München leitet Eisenmenger seit 1989. Immer wieder war er mit historischen Todesfällen und Identifikationen befasst. So wies er mit einer Erbgut-Analyse nach, dass Kaspar Hauser nicht - wie oft gemunkelt - in Wirklichkeit ein badischer Erbprinz war. Ebenfalls mit einer DNA-Analyse fand das Institut heraus, dass es sich bei einer in Berlin exhumierten Leiche zweifelsfrei um die des Hitler-Stellvertreters Martin Bormann handelte.

    Doch jenseits all der spektakulären Fälle herrscht in den hell gekachelten Räumen des Institut-Kellers nüchterner Alltag. Rund 2200 Verstorbene müssen Eisenmenger und seine 16 Kollegen jedes Jahr obduzieren. Das Einzugsgebiet reicht von Eichstätt bis Berchtesgaden und von Neu-Ulm bis Passau.

    Manchmal müssen bis zu zehn Leichen am Tag untersucht werden. Nur zu einem geringen Teil geht es dabei um Tötungsdelikte. Meist handelt es sich um ungeklärte Todesfälle, sogenannte Wohnungsleichen. Die Gerichtsmediziner müssen klären, ob es ein natürlicher Tod, ein Unfall oder ein Verbrechen war. Nach dem Tod von Franz Josef Strauß wurde Eisenmenger nach Regensburg gerufen. Er sollte herausfinden, ob Strauß eine Fischvergiftung erlitten hatte. Hatte er nicht. Es gab kein Geheimnis um den Tod von Strauß: Er sei an den Folgen eines schweren Herzinfarktes gestorben, sagt der Gerichtsmediziner.

    Bevor er lernte, die Sprache der Toten zu verstehen, wollte Eisenmenger Germanistik studieren. Die Lehrer waren von seinem mündlichen Deutsch-Abitur aber nicht überzeugt. Er studierte Medizin mit dem Ziel, Landarzt zu werden. Um sich niederlassen zu können, war es damals üblich, im Studium auch in der Pathologie zu arbeiten. Doch die Warteliste in Freiburg war zu lang. Eisenmenger entschied sich für die Rechtsmedizin. Rasch wurde ihm klar: Das kann ich mir für mein ganzes Leben vorstellen. Tatsächlich will er auch im Ruhestand weiter als Gutachter arbeiten.

    An ein Leben nach dem Tod glaubt Wolfgang Eisenmenger nicht mehr. Der Vater der modernen Pathologie, der Chirurg Rudolf Virchow, hat einmal gesagt: "Ich habe Tausende von Leichen seziert, aber keine Seele darin gefunden." Eisenmenger findet dies ein wenig zu mechanistisch. Für den Fall seines Todes hat er aber bestimmt, dass er seziert wird: "Das ist man der eigenen Tätigkeit schuldig."

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