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Gerechtigkeit: Wird die Corona-Krise auf dem Rücken der Mütter ausgetragen?

Gerechtigkeit

Wird die Corona-Krise auf dem Rücken der Mütter ausgetragen?

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    Kochen, Kinderbetreuung, Hausarbeit und Homeoffice – viele Mütter sind durch die Corona-Krise auch persönlich an die absolute Belastungsgrenze gestoßen.
    Kochen, Kinderbetreuung, Hausarbeit und Homeoffice – viele Mütter sind durch die Corona-Krise auch persönlich an die absolute Belastungsgrenze gestoßen. Foto: Jan Woitas, dpa

    Im Leben von Eva P. ist nichts mehr so, wie es früher war. Früher, also vor Corona. Ihr Alltag hat sich radikal verändert, erzählt die Mutter einer vierjährigen Tochter, die hier unerkannt bleiben möchte. Alle Betreuungsmöglichkeiten für ihr Kind brachen weg, die Putzfrau konnte nicht mehr kommen, manchmal arbeitete sie bis drei Uhr nachts, um die Arbeit im Homeoffice überhaupt zu schaffen. „Es bleibt alles an mir hängen: Putzdienst, Essendienst, Kinddienst und meine Arbeit mit 30 Stunden in der Woche muss ich ja auch noch bewerkstelligen. Ich habe nicht mal Zeit, um kurz durchzuschnaufen.“

    Zu Beginn der Krise versuchten Eva P. und ihr Mann abzusprechen, wie sie die neu anstehenden Aufgaben in der Familie verteilen. „Das war ein großer Konflikt. Mein Mann hat von vornerein gesagt, er muss ungestört daheim arbeiten und kann sich nicht um unsere Tochter kümmern.“ Dazu kommt die Angst, dass der Arbeitgeber von Eva P. immer weniger Verständnis für ihre Situation im Homeoffice haben könnte und sie eventuell ihre Stunden reduzieren müsste. „Aber ich versuche gerade, einfach mich durchzuwurschteln und irgendwie das Beste aus jedem Tag zu machen.“

    Pflichten und Aufgaben haben sich in der Familie intensiviert

    Von all diesen Ängsten, Sorgen und Problemen von Eva P. weiß auch Paula-Irene Villa Braslavsky, Professorin für Soziologie und Gender Studies an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Sie beobachtet, dass die Corona-Krise Mütter und Frauen allgemein besonders trifft. „Zum einen hat sich die eh schon ungleiche Verteilung der Pflichten und Aufgaben in der Familie intensiviert – im Wesentlichen übernehmen die Mütter dieses Mehr an Aufgaben, die nun zu Hause anfallen.“ Zum anderen arbeiten vor allem Frauen in systemrelevanten Berufen – beispielsweise als Pflegekräfte oder Krankenschwestern. Wird die Corona-Krise also auf dem Rücken von Müttern und Frauen ausgetragen?

    „Diese Aussage ist zwar sehr pauschal“, sagt die Soziologin, „aber ich stimme trotzdem zu – aus verschiedenen Gründen.“ So arbeitet nach wie vor ein Großteil der Mütter, aber nur ein Bruchteil der Väter in Teilzeit. „Diese Ungleichheit hat die Zeit von Corona noch mehr verschärft.“ Hinzu komme, dass alle Institutionen, die Mütter im Alltag unterstützen und ihnen helfen, aus einer traditionellen Rollenverteilung auszubrechen, lange Zeit geschlossen hatten und wegbrachen. „Eine weitere Beobachtung ist, dass die Arbeit der Väter in vielen Fällen angesehener ist, sie verdienen mehr oder haben eine höhere Position“, sagt Professorin Villa Braslavsky. „Da passiert es eben schnell, dass im Homeoffice auch die Videokonferenz des Mannes als wichtiger angesehen wird und er eher mal die Tür zu machen kann – und an der Frau bleiben dann alle Aufgaben hängen.“

    Warum sollte eine Altenpflegerin weniger verdienen als ein Maschinenbauer?

    Diesen Schilderungen kann auch Hildegund Rüger zustimmen, Präsidentin des Bayerischen Landesfrauenrates. „Die Mehrfachbelastung von Frauen, die sich in der Krise noch mehr um Kinder, Haushalt und Angehörige kümmern müssen, hat in der Corona-Krise erheblich zugenommen.“ Ein großes Problem sieht Rüger darin, dass Frauen häufiger in Berufen arbeiten, die gesellschaftlich und monetär weniger angesehen sind, zum Beispiel in Pflegeberufen. „Aber warum sollte ein Maschinenbauer mehr verdienen als eine Altenpflegerin, die Fürsorge für andere Menschen leistet?“

    Rüger hofft in diesen Tagen aber sehr, dass die Krise ein neues Bewusstsein in der Gesellschaft schafft, dass Wörter wie „systemrelevant“ der Debatte wieder neuen Schwung verleihen. „Die Arbeit und die Leistung von Müttern und Frauen ist jetzt viel sichtbarer. Applaus und Singen auf den Balkonen ist das Eine. Aber diese neue Aufmerksamkeit muss sich auch in den Gehältern niederschlagen.“ Zudem würden viele Frauen aufgrund der schwierigen Betreuungslage beruflich zurückstecken. „Manche Soziologen befürchten sogar, dass das für die Karriere der Frauen langfristige Folgen haben könnte. Auch nach der Krise.“

    Auch auf Themen wie Gewalt, Sucht, finanzielle Not und Missachtung wollen Hildegund Rüger und Soziologin Paula-Irene Villa Braslavsky hinweisen. Die Familie ist quasi ununterbrochen daheim, all diese Probleme intensivieren sich zu Hause – und Frauen seien da einfach besonders bedroht, betonen die beiden Expertinnen.

    Am schlimmsten ist die Situation für Alleinerziehende

    Von all diesen Problemen besonders betroffen sind Hildegund Rüger zufolge vor allem alleinerziehende Mütter. „Für diese Frauen ist die Situation ohne Hilfe und ohne Betreuungsmöglichkeiten schlichtweg nicht leistbar. Viele sind physisch und psychisch am Ende.“

    Eine, die das in diesen Tagen am eigenen Leib erlebt, ist Lena M. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und einer Tochter, vor drei Jahren haben sie und der Vater der Kinder sich getrennt. Sie spricht offen darüber, wie es ihr in diesen Tagen geht, allerdings will sie zum Schutz ihrer Privatsphäre anonym bleiben: „Die Situation ist für uns alle eine große Herausforderung“, erzählt sie. „Ich habe eigentlich endlos zu tun.“

    Lena M. arbeitet Teilzeit und kann sich momentan ihre Stunden im Homeoffice selbst einteilen. „Ich fange meisten so zwischen fünf und sechs Uhr früh an, damit ich einiges schaffen kann, bevor die Kinder aufwachen.“ Die größte Herausforderung sei für sie der Unterricht zu Hause. „Es ist schwer, die Kinder zu motivieren, wenn Lehrer und Klassenkameraden fehlen. Sie waren lustlos, hatten Wutanfälle und haben auch öfter mal geweint.“ Eine erste Erleichterung brachte dann die Notbetreuung in der Kita, die für Alleinerziehende geöffnet wurde. „Aber ich habe mir trotzdem Hilfe bei einer alleinerziehenden Freundin geholt“, sagt Lena M. „Auch aus sozialen Gründen. Wir fanden das beide nämlich so ungerecht, dass das Bild von einer Familie nur aus zwei Elternteilen besteht.“ Aber auch Alleinerziehende bräuchten den Kontakt zu anderen Erwachsenen.

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Auf den Schultern der Mütter liegt gerade die größte Last

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