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Generation Nichtschwimmer: Jeder zweite Grundschüler kann nicht richtig schwimmen

Generation Nichtschwimmer

Jeder zweite Grundschüler kann nicht richtig schwimmen

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    Jedes Jahr ertrinken in Deutschland Hunderte Menschen. Besonders Kinder haben ein erhöhtes Risiko, denn sie machen in Gefahr nicht auf sich aufmerksam.
    Jedes Jahr ertrinken in Deutschland Hunderte Menschen. Besonders Kinder haben ein erhöhtes Risiko, denn sie machen in Gefahr nicht auf sich aufmerksam. Foto: Ole Spata, dpa (Symbolbild)

    Das Schwimmbecken ist seit Monaten trocken und leer. In diesen Tagen beginnen Handwerker das Friedberger Hallenbad wieder fit für den Betrieb im September zu machen. Ein früherer Restart sei unwirtschaftlich gewesen, sagt Armin Reichel, der bei den örtlichen Stadtwerken für das Bad zuständig ist. Mit knapper Mehrheit hat dies der Stadtrat so beschlossen.

    Für Silke Wölfle ist die Zeit, seit im vergangenen Herbst das Hallenbad wegen Corona geschlossen wurde, „gefühlt eine Katastrophe“. Seit Monaten kann die Leiterin der örtlichen Schwimmschule „Happy Swim“ keine Kurse mehr geben. Die 34-Jährige wartet sehnsüchtig darauf, dass sie wieder öffnen kann. Und dabei geht es nicht nur um ihre eigenen finanziellen Ausfälle, um das Geschäft, es geht um weit mehr: Denn immer weniger Kinder können schwimmen. Zugespitzt formuliert könnte man fragen: Droht uns eine Generation der Nichtschwimmer?

    Viele Eltern machen sich Sorgen, wenn die Kinder Nichtschwimmer sind

    „Für die Kinder ist die Situation dramatisch“, bestätigt Wölfle. Von denen, die im vergangenen Herbst mit dem Seepferdchen das leichteste Schwimmabzeichen geschafft haben, hätten viele ihre Kenntnisse inzwischen wieder verlernt. Jetzt, im Sommer, wo es heiß ist, und die Menschen an die Badeseen, Flüsse und Weiher drängen, bekomme sie regelmäßig Anrufe von besorgten Eltern, die Angst um ihre Kinder haben, weil sich der Nachwuchs „schwer beim Schwimmen tut“, wie Wölfle berichtet. Sie kennt die Probleme, ist selbst zweifache Mutter und hat zwei Kinder im Alter von drei und fünf Jahren.

    Anfragen für Kurse gebe es jede Menge, sagt die gebürtige Meitingerin. Aber abgesehen von einige Einzelstunden im nahe gelegenen Meringer Freibad hat sie keine Schwimmzeiten für ihre Schule bekommen. Sie hofft auf den Herbst. Wölfle sagt: „Wir brauchen Wasserflächen, wir brauchen Platz. Und der ist rar. Und deshalb ist das Nachholen von Schwimmunterricht wirklich schwierig.“

    Das Problem, dass immer weniger Menschen das Schwimmen beherrschen, ist nicht ganz neu. Schon vor der Corona-Krise traf das auf viele Kinder zu - der Lockdown hat die Lage aber ganz offensichtlich noch einmal verschärft.

    Jeder zweite Zehnjährige in Deutschland ist kein sicherer Schwimmer

    Experten warnen seit Jahren davor, darunter die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Schon vor dem Corona-bedingten Lockdown seien fast 60 Prozent der Zehnjährigen in Deutschland keine sicheren Schwimmer gewesen, heißt es da. Nach Schätzungen der Lebensretter konnte in Deutschland zuletzt eine Million Kinder nicht zu guten Schwimmern ausgebildet werden. Als sicherer Schwimmer gilt laut Wölfle, wer das Schwimmabzeichen in Bronze abgelegt hat.

    Mehr als jeder zweite Grundschulabsolvent ist aber nach Angaben der DLRG inzwischen kein sicherer Schwimmer mehr. Ende der 1980er-Jahre erreichten noch mehr als 90 Prozent der Kinder bis zum Abschluss der vierten Klasse das Jugendschwimmabzeichen in Bronze.

    Gründe dafür gibt es viele. Die DLRG nennt beispielsweise den Sanierungsstau der öffentlichen Bäder Viele müssten renoviert werden. Das koste rund 4,6 Milliarden Euro, Geld, das die meisten Kommunen (in deren Verantwortung die Schwimmbäder liegen) nicht haben. Die Lösung ist überall ähnlich: sanierungsbedürftige Bäder werden geschlossen, weil es schlichtweg die einfachste und billigste Variante ist.

    Und so schrumpft die Wasserfläche in Deutschland Jahr für Jahr - und damit nehmen auch die Möglichkeiten ab, schwimmen zu lernen. Seit 2000 schließen laut DLRG etwa 80 Bäder im Jahr. In Bayern gibt es circa 860 Schwimmbäder, davon ist die Hälfte sanierungsbedürftig. Das geht aus einer Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hervor, auf die das Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr antworte. Laut Anfrage erhalten die Kommunen durchschnittlich nur etwa 25 Prozent der tatsächlichen Kosten. Das reicht nicht aus, um den Sanierungsstau zu beseitigen. Nur zwei Antragsteller unter den Kommunen hätten die gesamte Summe erhalten.

    In der laufenden Badesaison gab es schon mehrere tödliche Badeunfälle

    Silke Wölfle findet in Friedberg hingegen mit dem großzügigen Hallenbad vergleichsweise gute Bedingungen vor. Sie sagt aber auch, früher sei man als Kind mit dem kühlen Nass leichter in Berührung gekommen. „Wir waren jeden Sommer im Wasser“, sagt sie. Heute hätten viele Eltern Angst, das bei ihren Sprösslingen zuzulassen. Vielleicht gebe es heutzutage auch anderweitig zu viele Freizeitalternativen, mutmaßt sie.

    Mit Sorge schauen Vereine und DLRG auf diesen Sommer. Und tatsächlich sind in Bayern während der zurück liegenden Hitzewelle schon mehrere Menschen ertrunken. In Friedberg ist im örtlichen Badesee erst vergangene Woche ein 18-Jähriger beim Baden tödlich verunglückt, obwohl Hilfe gleich zur Stelle war.

    Es ist kein Einzelfall: Zwei Frauen und ein Mann starben in Gewässern in Nürnberg, bei München und im oberfränkischen Landkreis Hof. Im Rhein-Main-Donau-Kanal bei Nürnberg kam ein 81-Jähriger um. Die Polizei teilte mit, Ermittlungen hätten ergeben, dass der Mann Nichtschwimmer gewesen sei.

    Im vergangenen Jahr sind nach Angaben der DLRG in Deutschland mindestens 378 Menschen ertrunken. Die größte Gruppe darunter sind zwar mit 147 die mehr als 56-Jährigen, gefolgt von den 21- bis 55-Jährigen. Doch die Zahlen von Statista 2021, auf die sich die DLRG bezieht, zeigen auch: Unter den Ertrunkenen waren auch mehr als 13 Prozent Kinder.

    Experten fordern eine Schwimmlernoffensive

    Flüsse und Seen seien nach wie vor die größten Gefahrenquellen, heißt es. Von den Betroffenen kamen mindestens 335 Personen, rund 88 Prozent der Opfer, in Binnengewässern um. Nur vergleichsweise wenige Gewässerstellen würden von Rettungsschwimmern bewacht. „Das Risiko, dort zu ertrinken, ist deshalb um ein Vielfaches höher als an Küsten oder in Schwimmbädern“, sagte DLRG-Präsident Achim Haag dem Bayerischen Rundfunk.

    Eine andere, die schon seit Jahren als Botschafterin fürs Schwimmen wirbt, ist die frühere Weltklasseschwimmerin Franziska van Almsick. Ein Foto von ihr zusammen mit dem Bademeister hängt auch in einem der Büros im Friedberger Schwimmbad. Van Almsick hatte im Zuge ihrer Kampagne hier schon Station gemacht hat.

    Auch aktuell hat sie sich wieder zu Wort gemeldet: „Meine Sorgen sind supergroß. Vor der Pandemie konnte jeder zweite Drittklässler in Deutschland nicht sicher schwimmen“, sagt die mehrfache Welt- und Europameisterin jüngst. Auch sie spricht von einer „ganzen Generation, die nicht schwimmen lernen konnte“.

    Einhellig fordern van Almsick wie auch alle anderen Experten und Verbände eine Art Schwimmlernoffensive, sobald die Bäder wieder öffnen dürfen. An Silke Wölfe soll es nicht liegen. Sie wartet schon darauf, dass sie nach der monatelangen Pause endlich wieder loslegen darf.

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit einem Rettungsschwimmer aus der Reihe "Augsburg, meine Stadt" an:

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