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"Generalverdacht": Ehrenamtliche ärgern sich über Führungszeugnis-Pflicht

"Generalverdacht"

Ehrenamtliche ärgern sich über Führungszeugnis-Pflicht

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    Ehrenamtliche, die sich als Trainer im Sportverein oder in anderen Bereichen der Jugendarbeit engagieren, müssen künftig nachweisen, dass sie nicht einschlägig vorbestraft sind.
    Ehrenamtliche, die sich als Trainer im Sportverein oder in anderen Bereichen der Jugendarbeit engagieren, müssen künftig nachweisen, dass sie nicht einschlägig vorbestraft sind. Foto: Hendrik Schmidt dpa

    Ein Kind mehr wäre gut. Dann könnten sich die kleinen Volleyballer beim TSV Gersthofen in Zweierteams aufwärmen. Aber es sind nun mal 13 Kinder zum Ferienprogramm in die Halle gekommen. Also spielt Trainer Joachim Pehlke selbst mit. Die Aufgabe: sich gegenseitig abschlagen. Mal knufft der kleine Bub Pehlke in den Arm, mal verpasst der Jugendtrainer des

    Führungszeugnis

    Das erweiterte Führungszeugnis enthält, anders als das herkömmliche, auch Verurteilungen wegen Verletzungen der Fürsorge- und Erziehungspflicht, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und Straftaten gegen die persönliche Freiheit – selbst wenn sie mit Geldstrafen von nicht mehr als 90 Tagessätzen oder Freiheitsstrafen von nicht mehr als drei Monaten geahndet wurden.

    Sind bestimmte Fristen abgelaufen, werden im Zentralregister vermerkte Verurteilungen nicht mehr aufgenommen. Die Dauer dieser Fristen lässt sich nicht allgemein festlegen – sie richtet sich nach der Strafe.

    Das Bundeskinderschutzgesetz bestimmt nicht im Detail, wer ein Führungszeugnis vorlegen muss. Das Jugendamt im Kreis Augsburg legt als Basis die Frage zugrunde, ob es den Ehrenamtlichen möglich ist, langfristig ein Vertrauensverhältnis zu Kindern aufzubauen.

    Beantragen kann man ein erweitertes Führungszeugnis bei der örtlichen Meldebehörde. Für Ehrenamtliche ist es gebührenfrei.

    Dass seine Knüffe wirklich harmlos sind, muss Joachim Pehlke bald beweisen. Das neue Bundeskinderschutzgesetz sieht vor, dass Ehrenamtliche in der Kinder- und Jugendarbeit künftig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen (wir berichteten). Der Bund möchte auf diese Weise „einschlägig vorbestrafte Personen“ von Kindern fernhalten und sie vor sexuellen Übergriffen schützen.

    Gesetz gilt schon seit 2012

    Eigentlich gilt das Gesetz schon seit 1. Januar 2012. Umgesetzt wird es in vielen bayerischen Landkreisen erst jetzt. Man habe sich entschieden, die Vorgaben nach und nach abzuarbeiten, erklärt etwa Christine Hagen, Leiterin der Abteilung für Familie, Bildung und Soziales am Landratsamt Augsburg. Denn einige Änderungen im Gesetzestext beträfen „den Kinderschutz im innersten Bereich“, das erweiterte Führungszeugnis sei lediglich ein „kleiner Baustein“ davon.

    Für viele Ehrenamtliche ist es mehr. Wesentlich mehr. Nicht nur in Joachim Pehlkes Verein fiel in den vergangenen Monaten immer wieder dasselbe Wort: Generalverdacht. Das Gewicht des Wortes lässt viele zweifeln, erzählt der Trainer. Auch ihn selbst. „In der ersten Aufregung habe ich gesagt, ich höre auf.“

    Führungszeugnis notwendig

    Wenn kein Ferienprogramm stattfindet, trainiert Pehlke beim TSV Gersthofen das U-16-Team der Mädchen. Sein Engagement komme von Herzen, sagt der 55-Jährige. Das Gesetz aber, das greife seine Ehre an. „Mit der Forderung nach einem erweiterten Führungszeugnis werden alle, die sich engagieren wollen, erst einmal unter Generalverdacht gestellt. Und jetzt muss jeder von uns beweisen, dass er nichts zu verbergen hat.“

    Mit dieser Befürchtung konfrontiert, verweist das zuständige bayerische Sozialministerium darauf, wie immens wichtig der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch sei. Dies rechtfertige die Verpflichtung zur Vorlage eines Führungszeugnisses.

    Aufklärung wichtiger als Kontrolle

    Dass ein solcher Nachweis abschreckend auf potenzielle Sexualstraftäter wirkt, daran zweifelt auch der Bayerische Jugendring (BJR) nicht. Dennoch hat die Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände im Freistaat ihre Probleme mit dem Führungszeugnis. Es bestehe die Gefahr, dass öffentliche und private Träger sich künftig auf diese eine Pflicht beschränken und etablierte Maßnahmen zum Kinderschutz in den Hintergrund geraten würden, heißt es dort. Trainer Joachim Pehlke befürchtet dasselbe. Dabei müsse man „auch die Eltern in die Pflicht nehmen und vor allem die Kinder sensibilisieren“. Solche Aufklärung ist seiner Meinung nach viel wichtiger als formale Kontrolle: „Wenn jemand noch nie als pädophil in Erscheinung getreten ist, steht auch nichts davon im Führungszeugnis.“

    Dass das Dokument nur als „Bestandteil eines Gesamtkonzepts“ wirkt, steht auch für Christine Hagen vom Augsburger Landratsamt fest. Nach den Ferien will ihre Abteilung alle Organisationen, die von den neuen Vorgaben betroffen sind, detailliert informieren. Rund 2000 sind es allein im Kreis Augsburg, schätzt Hagen. Aufklärungsabende in den Gemeinden solle es geben, gerne auch Vier-Augen-Gespräche.

    „Regensburger Modell“

    Wie viele Landkreise orientiert sich Augsburg bei der Umsetzung der neuen Gesetzesinhalte am sogenannten „Regensburger Modell“. Der oberpfälzische Landkreis ist Vorreiter im Freistaat: Dort haben sich alle dazu aufgeforderten Ehrenamtlichen ihre Integrität bescheinigen lassen. Nicht nur, weil Kreisjugendamtsleiter Karl Mooser in mehr als 40 Infoveranstaltungen jede erdenkliche Frage der Freiwilligen persönlich beantwortet hat. Der Kreis hat auch einen Weg gefunden, eine weitere Befürchtung der ehrenamtlich Tätigen auszuräumen: ihre Datenschutzbedenken nämlich. Um zu vermeiden, dass Ehrenamtliche ihr Führungszeugnis direkt beim Verein vorlegen müssen, hat das Regensburger Amt mit den Gemeinden zusammengearbeitet. Ein zum Schweigen verpflichteter Beamter wertete die Führungszeugnisse aus, die Träger selbst erhielten lediglich eine Unbedenklichkeitsbescheinigung.

    Dieser Weg ist für Mooser der einzig gangbare: „Ohne die Gemeinden geht es nicht.“ Ein Jahr habe es gedauert, bis die Maßnahme umgesetzt war. Es war ein weiter Weg, doch heute zieht Mooser ein positives Fazit: „Dass wir die Diskussion in die Vereine hineingetragen haben, dass die Leute jetzt mehr hinschauen, hat einen viel größeren Effekt als das Führungszeugnis selbst.“ "Kommentar

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