Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Geisterfahrer: Unfall auf A96: Wie Polizisten mit den schrecklichen Bildern umgehen

Geisterfahrer

Unfall auf A96: Wie Polizisten mit den schrecklichen Bildern umgehen

    • |
    Schreckliche Bilder boten sich den Einsatzkräften bei einem Geisterfahrer-Unfall im November 2011. Archivbild
    Schreckliche Bilder boten sich den Einsatzkräften bei einem Geisterfahrer-Unfall im November 2011. Archivbild Foto: Pöppel

    Hört Rainer Fuhrmann von einem Geisterfahrer-Unfall, dann schießen ihm sofort Bilder durch den Kopf. Bilder von dem

    Was der Polizeibeamte beschreibt, ist das Auto des 82 Jahre alten Geisterfahrers, der vor rund einem Jahr mit seiner Irrfahrt auf der A96 sich und eine Frau in den Tod riss.

    Ein schwarzer Klumpen in Flammen

    Es ist Sonntag, der 6. November, kurz vor halb zehn, als der Notruf über die Einsatzzentrale eingeht: Ein Geisterfahrer auf der A96 bei Erkheim, auf falscher Spur in Fahrtrichtung München. "Meine Kollegen sind sofort losgefahren. Doch eineinhalb Minuten später hieß es schon - Unfall", erinnert sich der 52 Jahre alte Leiter der Autobahnpolizei Memmingen. Auch er macht sich auf den Weg zur Unfallstelle. "In dem Moment laufen schon Bilder im Kopf ab, wie es dort aussehen könnte. Da ist man angespannt."

    Die Bilder, die der routinierte Polizist dann auf der A96 sieht, brennen sich in seinem Gedächtnis ein. "Ich bin ja schon einige Zeit im Dienst, aber so etwas habe ich noch nie gesehen", sagt Rainer Fuhrmann. Der Falschfahrer war mit seinem Ford Focus frontal in ein entgegenkommendes Taxi geprallt. Durch die Wucht katapultierte das Auto meterweit über die Betongleitwand auf die gegenüberliegende

    Tragischer Aspekt

    Warum wird jemand zum Geisterfahrer?

    Es ist ein Schock für jeden Autofahrer: Plötzlich kommt einem auf der Autobahn ein Fahrzeug entgegen. Oft gehen solche Fälle glimpflich aus, der Geisterfahrer wird rechtzeitig gestoppt oder richtet keinen größeren Schaden an. Manchmal kommt es aber auch zur Tragödie.

    Wie oft gibt es Geisterfahrer? Laut ADAC werden im Jahr bundesweit etwa 2200 Fälle gemeldet. Die allermeisten gehen glimpflich aus. Geisterfahrer verursachten gerade einmal drei Prozent der tödlichen Unfälle auf Autobahnen.

    Was treibt Geisterfahrer an? Den typischen Geisterfahrer gibt es nicht. Es gibt verschiedene Ursachen, warum jemand dazu wird. In einigen Fällen sind es Selbstmordabsichten, oft ist es aber auch ein reines Versehen oder Zerstreutheit, dass jemand in falscher Richtung auf eine Autobahn fährt oder dort wendet. Manchmal sind auch Drogen oder Alkohol im Spiel.

    Kann man Geisterfahrer verhindern? Der Auto Club Europa (ACE) sieht in einer besseren Beschilderung an Auffahrten die einzige Stellschraube, mit der man etwas verbessern könne. Es gibt auch Forderungen, an den Auffahrten Krallen zu installieren, die Fahrzeuge, die in falscher Richtung auffahren wollen, stoppen würden. Das wäre aber sehr aufwändig und teuer.

    Was tun, wenn vor einem Geisterfahrer gewarnt wird? Die Automobilclubs raten dazu, sich rechts zu halten, langsamer zu fahren und im Ernstfall auf dem Seitenstreifen anzuhalten. Damit man die Warnung überhaupt mitbekommt, ist es natürlich wichtig, im Auto den Verkehrsfunk zu hören.

    Was ist zu tun, wenn man selbst falsch auf die Autobahn aufgefahren ist? Der ADAC rät, sofort Licht und Warnblinkanlage einzuschalten und an den nächstgelegenen Fahrbahnrand zu fahren. Dort stellt man das Auto möglichst nahe an der Schutzplanke ab, steigt vorsichtig aus dem Wagen und setzt sich hinter die Schutzplanke. Dann muss unter 110 die Polizei verständigt werden. Keinesfalls sollte man in dieser Situation versuchen, seinen Wagen zu wenden.

    Der 82-Jährige Geisterfahrer hatte keine Chance. Ebensowenig wie die entgegenkommende 49 Jahre alte Taxifahrerin. Auch sie war sofort tot. Dabei sah das Auto gar nicht so schlimm beschädigt aus, erinnert sich der Polizist. Im Fonds des Taxis saß eine Amerikanerin, die schwer verletzt überlebte. Auch diesen Aspekt fand der routinierte Polizist so tragisch. "Die Frau war gerade aus den USA in München gelandet, um jemanden bei uns in Deutschland zu besuchen. Die Vorstellung, dass sie so ungefähr eine Stunde später schwer verletzt im Krankenhaus liegt und ihre Angehörigen aus Amerika nicht bei ihr sein können, empfand Fuhrmann auch als sehr belastend. 

    Rainer Fuhrmann hat schon viele Tote auf den Straßen gesehen. Geisterfahrer-Unfälle seien trotzdem noch etwas anderes. "Da sind die Folgen meist deutlich dramatischer."Als Dienststellenleiter der Autobahnpolizei Memmingen fährt der 52-Jährige auch mit an die Unfallstellen, um seinen Kollegen beizustehen. Dann hält er ihnen den Rücken weitestgehend frei, in dem er die Frage der Presse beantwortet, Schaulustige in Schach hält und sich um Angehörige kümmert, die am Unfallort eintreffen. Als Vorgesetzter habe er eine Fürsorgepflicht für seine Kollegen.

    "Polizisten dürfen auch Emotionen zeigen"

    Rainer Fuhrmann beobachtet nach derartigen Einsätzen seine Leute. "Jeder darf mehr als betroffen sein."  Eine Woche später werden sie von ihm noch einmal auf das Erlebte hin angesprochen. Dauere die Betroffenheit eines Kollegen länger an, müsse etwas unternommen werden. "Wir haben keinen Polizeipsychiater, aber wir haben einen polizeilichen Sozialdienst im Präsidium, den man freiwillig anfragen kann." Bei Bedarf werde dann weiter an einen Psychologen verwiesen.

    Tödliche Unfälle durch Geisterfahrer

    27. Juli 2013: Auf der A 96 bei Landsberg stirbt ein 76 Jahre alter Mann, der als Geisterfahrer auf der Autobahn unterwegs war.

    11. Juli 2013: Bei einem schweren Unfall auf der Brennerautobahn sind zwei Männer ums Leben gekommen. Ein Kauferinger fuhr als Geisterfahrer in den Gegenverkehr und starb.

    8. Juni 2013: Ein Geisterfahrer stieß auf der Autobahn 5 frontal mit einem mit Schülern voll besetzten Reisebus zusammen. Der 32 Jahre alte Geisterfahrer kam bei dem nächtlichen Unfall nahe Weil am Rhein in Südbaden ums Leben

    4. Juni 2013: Ein Geisterfahrer kam am auf der B19 bei Burgberg (Allgäu) ums Leben. Er war mit einem Feuerwehrauto zusammengeprallt.

    29. April 2013: Ein 82-jähriger Geisterfahrer hat auf der A812 bei Böblingen (Baden-Württemberg) einen Unfall mit zwei Toten verursacht.

    23. März 2013: Ein 32-Jähriger Geisterfahrer verursachte auf der A3 nahe Regensburg einen Unfall, bei dem eine Frau getötet wurde.

    17. März 2013: Ein Geisterfahrer hat auf der Autobahn 3 in Niederbayern einen Unfall mit zwei Todesopfern verursacht.

    22. Februar 2013: Ein Geisterfahrer in Nordrhein-Westfalen starb bei einem Unfall auf der A 61. Er soll zuvor seine beiden Töchter getötet haben.

    11. Januar 2013: Ein Geisterfahrer verursachte auf der Autobahn 92 Deggendorf-München zwei schwere Verkehrsunfälle undkam dabei selbst ums Leben.

    10. Januar 2013: Eine Mutter geriet mit ihrem Pkw in den Gegenverkehr auf der B470 bei Adelsdorf (Landkreis Erlangen-Höchstadt) . Ihr dreijähriger Sohn starb. Sie, ihre zwei Töchter und der Fahrer des anderen Pkws wurden schwer verletzt.

    1. Januar 2013: Die Geisterfahrt eines angetrunkenen Lastwagens auf der Autobahn 1 nahe dem niedersächsischen Stuhr hat an Neujahr zwei Menschen das Leben gekostet.

    30. Dezember 2012: Bei einem schweren Geisterfahrer-Unfall auf der A52 starben zwei Menschen. Zwei weitere Personen wurden schwer verletzt. Der Unfall passierte vor der Anschlussstelle Gelsenkirchen-Hasse.

    29. November 2012: Ein Geisterfahrer (81) hat auf der A2 bei Herford einen schweren Unfall verursacht, bei dem er selbst ums Leben kam.

    18. November 2012: Ein Geisterfahrer verursacht auf der A5 bei Offenburg einen Unfall. Bei der Karambolage von vier Autos sterben sechs Menschen, darunter der Unfallverursacher.

    3. November 2012: Ein Sattelzug durchbricht auf der A6 bei Heilbronn die Mittelleitplanke und rast in den Gegenverkehr. Drei Kinder und ein Familienvater sind unter den vier Todesopfern.

    21. Oktober 2012: Ein 24-Jähriger fährt absichtlich auf der A 46 im Sauerland in die falsche Richtung. Er begeht Suizid und reißt bei einem schweren Unfall vier weitere Menschen mit in den Tod.

    2. Oktober 2012: Eine 31 Jahre alte nackte Geisterfahrerin prallt auf der Autobahn 73 bei Hirschaid (Landkreis Bamberg) frontal mit einem anderen Fahrzeug zusammen. Die Frau selbst, der Fahrer des anderen Autos und die beiden Töchter der Geisterfahrerin (vier und sieben Jahre alt) sterben.

    6. November 2011: Ein 82-jähriger Geisterfahrer aus dem Unterallgäu fährt auf der A96 mit seinem Auto auf der falschen Spur Richtung München. Er prallt frontal gegen ein entgegenkommendes Fahrzeug. Der Geisterfahrer und eine 49-jährige Frau sterben an der Unfallstelle.

    5. November 2011: Ein 43-Jähriger wendet auf der A3 bei Idstein absichtlich. Er verursacht einen Unfall: Ein Mann stirbt, sechs Menschen werden verletzt. Der Geisterfahrer flüchtet zunächst, stellt sich dann aber der Polizei.

    8. August 2011: Eine Geisterfahrerin stößt auf der Bundesstraße 469 bei Großostheim (Landkreis Aschaffenburg) mit einem Auto zusammen und wird tödlich verletzt.

    24. Mai 2011: Ein 47-Jähriger biegt auf der A92 bei Neufahrn (Kreis Freising) auf die falsche Fahrbahn ab. Dort raste er frontal in einen Lastwagen. Beide Fahrer sterben noch am Unfallort.

    10. April 2011: Weil er sich umbringen wollte, prallt ein 35-jähriger Mann bei Pliezhausen (Baden-Württemberg) mit seinem Auto als Geisterfahrer gegen den Wagen einer Familie. Der Geisterfahrer verletzt sich, der 43-jährige Familienvater stirbt. Seine 40 Jahre alte Ehefrau und die elfjährige Tochter werden schwer verletzt.

    16. März 2011: Ein 79-jähriger Geisterfahrer verursacht zwei Unfälle. Er fährt bei Merklingen (Alb-Donau-Kreis) in falscher Richtung auf der A8. Bei dem ersten Unfall wird ein 42 Jahre alter Autofahrer schwer verletzt. Drei Kilometer weiter kracht der Falschfahrer er in ein zweites Auto, dessen 49 Jahre alter Fahrer schwer verletzt wird. Der Geisterfahrer stirbt noch an der Unfallstelle.

    Polizisten dürfen auch Emotionen zeigen, sagt Fuhrmann. Als er als junger Polizist angefangen hatte, sei dies anders gewesen. "Da waren Polizisten nur harte Männer. Die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei." Der erfahrene Beamte hat einen Tipp für junge Kollegen: "Je mehr ich mich auf meine Aufgaben konzentriere, desto besser verarbeite ich." Und wie geht Rainer Fuhrmann selbst mit schrecklichen Bildern um? "Ich will nicht sagen, dass man abstumpft, aber man lernt damit umzugehen." Hilfreich ist für den 52-jährigen auch die tägliche Radlfahrt von der Arbeit nach Hause. Zeit, um sich nochmal Gedanken zu machen. Daheim ist dann daheim.

    Selbstmörder auf der Autobahn

    Geisterfahrer - das sind meist Suizidenten, Betrunkene oder Autofahrer, die aufgrund ihres hohen Alters die Orientierung verloren haben. Für Selbstmörder auf der Autobahn fehlt Rainer Fuhrmann jegliches Verständnis.  "Ich finde es untragbar, wenn ein Mensch sich umbringt und andere mit in den Tod reißt", sagt er. Und fügt leise hinzu: "Aber an wen soll ich denn diesen Appell richten..."

    Warum der 82-Jährige auf der A96 bei Erkheim im November 2011 den verheerenden Unfall auslöste, ist bis heute nicht geklärt. Jedoch wird spekuliert, dass der Mann orientierungslos war. Vielleicht war ihm in dem fatalen Moment, als er auf die A96 fuhr, nicht bewusst, dass dort die Bundesstraße zu einer Autobahn ausgebaut worden war. "In dem Bereich war der Lückenschluss der Autobahn erst 2008 vollzogen worden", sagt Fuhrmann. Aber, betont der Polizist, das sei reine Spekulation.

    Der wichtigste Faktor, um bei einer Geisterfahrt Schlimmeres zu vermeiden, sei für die Polizei die Zeit. Zeit hatten die Beamten bei dem A96-Unfall vor einem Jahr nicht. Eineinhalb Minuten nach dem Notruf hatte es schon geknallt. Anders vor ein paar Tagen. Da konnten Fuhrmanns Kollegen der Autobahnpolizei Memmingen auf der A96 einen Geisterfahrer-Unfall verhindern. "Da haben wir uns total gefreut." In dem Fall hatten die Polizisten Zeit, den regulären Verkehr zu stoppen und damit einen Zusammenprall mit dem Gegenverkehr zu verhindern. Bei diesem Geisterfahrer handelte es sich auch um einen 82-Jährigen. Der gab gegenüber der Polizei an, er sei aus versehen auf die Autobahn geraten und habe die Orientierung verloren.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden