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Geiselnahme Ingolstadt: Anwalt: "Als gefährlich hätte ich ihn nicht eingeschätzt"

Geiselnahme Ingolstadt

Anwalt: "Als gefährlich hätte ich ihn nicht eingeschätzt"

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    Nach der Geiselnahme versucht Ingolstadt wieder zurück zur Normalität zu kommen.
    Nach der Geiselnahme versucht Ingolstadt wieder zurück zur Normalität zu kommen.

    Am Tag danach gibt es in Ingolstadt nur ein Thema: die Geiselnahme. In den Cafés, beim Obsthändler, beim Bäcker, am Viktualienmarkt, immer das eine Thema: was am Montag war.

    Stalking: Zahlen und Fakten

    Unter Stalking versteht man das wiederholte Verfolgen oder Belästigen eines anderen Menschen.

    Der Begriff ist vom englischen "to stalk" abgeleitet. Das bedeutet jagen, heranpirschen, verfolgen.

    Sehr häufig stehen oder standen Täter und Opfer beim Stalking in einer Beziehung, waren etwa einmal zusammen, hatten zusammen gearbeitet oder kennen sich aus der Nachbarschaft.

    Auch abgewiesene Verehrer stecken oft hinter Stalking-Attacken.

    Stalking äußert sich zum Beispiel in (nächtlichem) Telefonterror, in Schikanen, Verleumdungen, Auflauern an der Wohnung oder am Arbeitsplatz oder Bestellungen unter falschem Namen.

    In extremen Fällen wurden Stalking-Opfer von Tätern auch verletzt oder sogar getötet.

    Etwa 90 Prozent der Opfer beim Stalking sind Frauen.

    Stalking ist in Deutschland eine Straftat. Auf die sogenannte „Nachstellung“ (§ 238 StGB) steht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre.

    Im Jahr 2011 verzeichnete die Polizeiliche Kriminalstatistik 25.038 Fälle von Nachstellung.

    Stalking-Opfer sollten sich möglichst frühzeitig an die Polizei wenden. Diese kann zum Beispiel Kontaktverbote oder einen Platzverweis aussprechen.

    Opfer sollten unbedingt und möglichst frühzeitig auch ihre Bekannten und Verwandten über die Attacken informieren.

    Auch anwaltliche Beratung ist sinnvoll, etwa, um gegen den Täter zivilrechtlich vorzugehen.

    Der Rathausplatz ist inzwischen wieder zugänglich. Das Alte Rathaus hat die Staatsanwaltschaft am Morgen noch nicht wieder freigegeben. Die Passanten, die vorbeigehen, schauen hinauf zum zweiten Stock, so, als wäre da oben noch etwas zu sehen von dem Drama, das die Geiseln dort am Montag neun Stunden lang ertragen mussten. Dazu gibt es die Kommentare, die vorher auch schon im Radio und überall zu hören waren. Menschen, die sagen: Hätte man ihn, den Geiselnehmer, doch besser in die Psychiatrie gesteckt. Der Fall Mollath und die Empörung über sein Schicksal ist heute nicht das Thema von Ingolstadt. Es ist eher so, als hätte diesen Fall nicht gegeben.

    Im Neuen Rathaus, nur einen Steinwurf weit entfernt, geht alles seinen gewohnten Gang. Ganz bewusst. Normaler Betrieb in der Stadtverwaltung. Um 10.30 Uhr ist die übliche städtische Pressekonferenz. Wie jeden Dienstag. Michael Klarner, stellvertretender Stadtsprecher, sagt zur Begrüßung: „Wir wollen zur Normalität übergehen. Ich bitte um Verständnis, dass wir zu den gestrigen Ereignissen keine Stellung mehr nehmen wollen.“

    Der Hochbaureferent spricht schon wieder über Finanzen

    Das Wesentliche sei bereits von Oberbürgermeister Alfred Lehmann gesagt. Der ist an diesem Morgen bei einem dringenden Termin in München, heißt es. Zwei Minuten später spricht der städtische Hochbaureferent Wolfgang Scherer schon wieder über Finanzen.

    Kein Wort über die Debatte, die schon am Abend zuvor begonnen hat: über die Sicherheit in öffentlichen Gebäuden. Schon bei der letzten Pressekonferenz zur Geiselnahme hatte Innenminister Joachim Herrmann gesagt: „Eine Ganzkörperkontrolle von Besuchern wie am Flughafen führt zu mehr Distanz zwischen Bürgern und städtischer Verwaltung.“ Das sei das Gegenteil von bürgernah.

    Kein Wort zu den Geiseln

    Es gibt auch kein Wort zu den Geiseln und ihrem Zustand – immerhin Kollegen aus der Stadtverwaltung. Das übernimmt eine der Geiseln, der dritte Bürgermeister Sepp Mißlbeck, selbst: „Uns geht es den Umständen entsprechend gut“.

    Der Geiselnehmer selbst liegt währenddessen auf der Intensivstation des Ingolstädter Klinikums. Er wird streng bewacht und wird da auch noch die nächsten Tage bleiben. Der Haftrichter erlässt am Nachmittag Haftbefehl wegen Geiselnahme. Das bestätigt Ingolstadts Leitender Oberstaatsanwalt Helmut Walter auf Anfrage. In den beiden Justizvollzugsanstalten mit voll ausgerüsteter Krankenstation in Bayern sei derzeit aber noch kein Platz. Walter sagte weiter: „Wir wollten einen

    Derzeit gehe es noch darum, in welches Gefängnis er komme. Der Leitende Oberstaatsanwalt sagte außerdem, er gehe nicht davon aus, dass der 24-Jährige während seiner Taten unzurechnungsfähig gewesen sei. Walter: „Der hat absolut rational reagiert.“ Man habe dem Richter ein Kurzgutachten des Landgerichtsarztes vorgelegt. Ob man später Anklage erhebe oder einen Antrag auf Unterbringung stelle, das werde sich noch zeigen.

    Der Ingolstädter Anwalt Jörg Gragert vertritt den Geiselnehmer. Er hat ihn auch schon während des Prozesses am Landgericht vertreten. Gragert sagt nach dem Termin mit dem Haftrichter: „Er hat sich auf mein Anraten hin nicht zur Sache geäußert.“

    Im Übrigen sei sein Mandant nicht nur von zwei, sondern seiner Kenntnis nach von drei Schüssen verletzt worden. „Er hat ganz schön was abbekommen.“ Ein Durchschuss am Bein, eine wohl bleibende Schulterverletzung und eine Verletzung am Handwurzelknochen. Zu dem Kurzgutachten des Landgerichts sagte Gragert: „Der Landgerichtsarzt kann ja nur sagen, ob aktuell eine Unterbringung notwendig ist. Wie der Zustand meines Mandanten am Montag war, wissen wir nicht.“

    Der Anwalt des Geiselnehmers bot seine Hilfe an

    Gragert, der den Mann schon länger kennt, sagt weiter: „Ich hätte nicht erwartet, dass es zu so einem Vorfall kommt. Ich habe ihn als durchaus eigenen Typen kennengelernt, der Fremden gegenüber Misstrauen an den Tag legt. Aber als körperlich gefährlich hätte ich ihn nicht eingeschätzt.“ Sein Mandant hatte am Montag versucht, ihn telefonisch zu erreichen, doch Gragert hatte Gerichtstermine. Als er später von der Geiselnahme erfuhr, habe er der Staatsanwaltschaft seine Hilfe angeboten, berichtet der Anwalt.

    Im Laufe des Mittags wird dann auch das Alte Rathaus wieder geöffnet. Die freundliche Dame von der Touristeninformation wirkt ein wenig gehemmt. Nein, Gott sei Dank, gestern sei sie nicht da gewesen. Heute sei alles ein wenig anders. Angst habe sie aber nicht. „Hier kommen so viele Leute rein. Und passieren kann immer etwas.“

    Zwei Stockwerke höher ist es leer auf den Gängen. Spuren des Einsatzes sind kaum noch zu erkennen. Ein paar Kratzer, die am Montag sicher nicht da waren. Auf der Tür zum Vorzimmer Bürgermeister Mißlbecks, hinter der die Geiseln gefangen gehalten worden sind, ist noch eine Art Aufsatz aus Holz. Wer nicht wüsste, was hier passiert ist, würde denken, hier haben Handwerker noch nicht alles verräumt. Auf den Gängen: kein Mensch.

    Im Gegensatz zum Platz da draußen. In den Straßen der Innenstadt bleibt das eine Thema. Und das Alte Rathaus, es sieht zwar von da unten aus wie immer. Es wird seit gestern aber anders angesehen.

     Die Geiselnahme im Liveticker

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