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Augsburg: Gehörlos und krank: Wie die "Kartei der Not" Betroffenen hilft

Augsburg

Gehörlos und krank: Wie die "Kartei der Not" Betroffenen hilft

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    Menschen, die die Gebärdensprache können, sind gefragt. Denn gehörlose Menschen brauchen in einigen Bereichen Unterstützung.
    Menschen, die die Gebärdensprache können, sind gefragt. Denn gehörlose Menschen brauchen in einigen Bereichen Unterstützung. Foto: Arne Dedert, dpa

    Was für ein bunter Raum. Poster von London, New York und Meeresstränden schmücken die Wände. An der Badezimmertür hängt eine riesige FC Bayern München-Fahne. An der Decke sind rote und weiße Lämpchen angebracht, der Fernseher hat eine rote Holzumrahmung, die Bettwäsche ziert ein riesiger Leuchtturm. Und dazwischen hängen kleine und große Zeichnungen. Das Zimmer eines jungen Mannes – könnte man meinen. Doch es befindet sich in der Wohngruppe eines vollstationären Heimes der Regens Wagner Stiftung in Augsburg für gehörlose Menschen. 65 Jahre alt und schwer krank ist der Mann, der sich so kreativ sein kleines Reich geschaffen hat.

    Er sah sich nicht mehr in der Lage, weiter allein zu leben

    Seit Juni vergangenen Jahres lebt der Rentner hier, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Er ist ein ausgesprochen freundlicher, aufgeschlossener Mann. Gehörlos ist er seit seiner Geburt. Seine Eltern waren es bereits. Auch eine seiner beiden Schwestern lebt mit dem Handicap. Doch die Gehörlosigkeit war nicht der Grund, weshalb sich der 65-Jährige für die Wohngruppe entschieden hat. Die Diagnose Hautkrebs vor zwei Jahren, die Metastasen und die vielen strapaziösen Behandlungen schwächten ihn körperlich und psychisch in einem Ausmaß, dass er sich nicht mehr in der Lage sah, weiter allein in seiner Wohnung zu leben. „Ich war am Ende“, sagt er in Gebärdensprache. Wie so oft in seinem Leben war es Gisela Jeßler, die er um Hilfe bat. Vor etwa 30 Jahren kam er zum ersten Mal zu ihr.

    Die Sozialpädagogin betreut und begleitet gehörlose Menschen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Schwaben seit 35 Jahren. Sie kann nicht nur die Gebärdensprache, die 62-Jährige hat längst einen Zugang in die Welt von gehörlosen Menschen. Wer sie in ihrer Arbeit erlebt, spürt, mit wie viel Herzblut sie dabei ist. „Es ist eine eigene Kultur“, erklärt Jeßler. Die Menschen sind aufgrund der Kommunikationsprobleme gerne unter ihres Gleichen. Viele von ihnen stoßen nach Einschätzung von Jeßler aber auch immer wieder auf Hürden – gerade bei Anträgen. Aber auch bei vielen kulturellen Veranstaltungen, bei Arztbesuchen, bei Bankterminen gibt es nach Ansicht von Jeßler viel zu wenige Mitarbeiter, die die Gebärdensprache beherrschen und übersetzen. „Hier hinkt Deutschland weit hinter anderen Ländern hinterher“, bedauert Jeßler und ergänzt: „Gehörlose benötigen sehr viel Kraft, weil sie sich so viele Informationen so mühsam erkämpfen müssen.“ Aber auch auf dem Arbeitsmarkt gibt es ihrer Meinung nach viele Schwierigkeiten. Zu viele Arbeitgeber scheuten sich davor, einen gehörlosen Mitarbeiter einzustellen, weil sie die Kommunikationsprobleme fürchteten.

    Schwierig wird es für Gehörlose auch, wenn sie im Alter in ein Heim müssen oder wollen: „In Augsburg fehlt ein vollstationäres Pflegeheim für Gehörlose“, sagt Jeßler. Bewohner kämen meist nach Dillingen, dort gebe es eine Station, in der Gehörlose unter sich sind und so auch miteinander kommunizieren können. Auch gebärdensprachenkompetentes Pflegepersonal sei vor Ort.

    Auf die besonderen Bedürfnisse von gehörlosen Menschen ausgerichtet ist die Einrichtung der Regens Wagner Stiftung in Augsburg. Im Gemeinschaftsraum der Wohngruppe hat sich eine kreative Gemeinschaft gebildet, in der viele Kunstwerke entstehen. Über elf Plätze verfügt das erst im vergangenen Jahr bezogene Haus. Alle Räume sind zwar barrierefrei, „ein vollstationäres Pflegeheim ist die Einrichtung allerdings nicht“, betont Manuel Huith, der Bereichsleiter des Hauses. Vielmehr versuche man die Bewohner so individuell wie möglich zu unterstützen.

    Unserem Kuratorium ist es ein großes Anliegen zu helfen

    Doch nicht selten fehlt Menschen mit Handicap das Geld für ihre Bedürfnisse. Dann wird oft die Kartei der Not um Hilfe gebeten. Immer wieder greift das Leserhilfswerk unserer Zeitung gehörlosen Menschen unter die Arme. Arnd Hansen, Geschäftsführer der Kartei der Not, sagt: „Obwohl wir so oft von Inklusion sprechen, geraten Menschen mit Behinderung viel öfter in Not als gesunde – und zwar ganz unverschuldet. Unserem Kuratorium ist es ein großes Anliegen hier zu helfen, um die kleinen und großen Hürden im Alltag zu überwinden.“

    Auch für den 65-jährigen Rentner hat Gisela Jeßler um einen Zuschuss gebeten. Sein ganzes Leben lang hat er gearbeitet. Weil er aber immer im Helferbereich tätig war, erhält er nur eine sehr kleine Rente. Nun benötigte er aber eine Gleitsichtbrille. Denn auch sein Sehvermögen hat sich stark verschlechtert. Dabei zeichnet und malt er doch so gerne. Stolz führt er durch die Gänge und Räume der Wohngruppe und zeigt seine Werke. Von seinen sehr gut getroffenen Stummfilmhelden Stan Laurel und Oliver Hardy einmal abgesehen, die er in schwarz-weiß auf Papier bringt, verbindet alle seine Bilder eine kräftige Farbgestaltung – er liebt es eben bunt.

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