Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Geburtstag: Theo Waigel wird 70

Geburtstag

Theo Waigel wird 70

    • |
    Waigel
    Waigel Foto: Fred Schöllhorn

    Von Walter Roller Seeg/Oberrohr (AZ) - Die Zeit der "Knechtschaft des Terminkalenders" ist lange vorbei, doch ein vielbeschäftigter und vielgefragter Mann ist Theo Waigel noch immer. Soeben ist er aus Washington zurückgekehrt, wo er dem US-Justizministerium Bericht erstattet hat über die Einhaltung der Anti-Korruptions-Regeln bei Siemens. Mehrere Auslandsreisen ins weitverzweigte Reich des Münchner Weltkonzerns stehen demnächst an. Als sogenannter "Compliance Monitor" wacht Waigel darüber, dass Siemens sein Versprechen einer neuen Unternehmenskultur einhält.

    Zum ersten Mal haben die Amerikaner einen Ausländer für solch eine Aufgabe akzeptiert. Das beweist das Ansehen, das der mit glänzenden internationalen Kontakten ausgestattete frühere Bundesfinanzminister heute noch in den USA genießt. Gefragt ist auch Waigels Rat als Währungsfachmann. Er war es ja, der den Euro mit durchgesetzt und eingeführt hat. Die ölreichen Golfstaaten, die eine gemeinsame Währung nach europäischem Vorbild planen, haben anfragen lassen, ob ihnen Waigel dabei zur Seite stehen könnte. Ein bisschen stolz ist er schon darauf, dass er sich nun "im anderen Leben jenseits der Politik auch am Markt bewährt" - als Berater und Aufsichtsrat von Unternehmen, als Vortragsredner, als Mitglied einer großen Münchner Anwaltskanzlei. Wobei Waigel weiterhin auch viel Zeit und Kraft in die Zukunft seiner Heimat investiert.

    Schwaben voranzubringen - das ist ja eine der großen Konstanten im Leben des Mannes, der aus kleinen bäuerlichen Verhältnissen aufgestiegen ist und darüber die Bodenhaftung nie verloren hat. Bis heute ist der Ehrenbürger von Ursberg zur Stelle, wenn bei großen regionalen Projekten Not am Mann ist und ein Fürsprecher gebraucht wird. Ob Uni Augsburg oder Fachhochschule Neu-Ulm, Ausbau des Klosters Roggenburg zum Bildungszentrum, Viermetz-Stiftung oder Renovierung der Wieskirchen-Orgel: Ohne die Hilfe des "Türöffners" Waigel, der 30 Jahre lang für seinen Heimatwahlkreis Günzburg/

    Ein gutes Vierteljahrhundert lang zählte der gelernte Jurist zum handverlesenen Spitzenpersonal der Republik - erst als Landesgruppenvorsitzender der CSU im Bundestag, dann als Bundesfinanzminister und CSU-Vorsitzender. Mit 59 war Schluss, nach der Niederlage Kohls bei der Bundestagswahl 1998. Der Verlust des Ministeramtes bedeutete auch den Abschied vom Parteivorsitz. Waigel ging aus freien Stücken, ehe Edmund Stoiber die Machtfrage offiziell stellen konnte. Der Abschied im besten Politikeralter ist Waigel damals nicht leichtgefallen. Heute blickt er ohne Groll zurück. "Das war okay so", sagt er. Ihm sei ja seither "keine Sekunde langweilig gewesen". Er hatte endlich mehr Zeit für die Familie. Für seine zweite Frau, die Ärztin und frühere Skirennläuferin Irene Epple-Waigel. Für den gemeinsamen Sohn Konstantin (13) und das Leben im Ostallgäuer Seeg, wo Waigel seine zweite Heimat gefunden hat. Für die Familien der beiden Kinder aus erster Ehe. Im Grunde, sagt Waigel, sind die Jahre nach 1998 "mit die erfolgreichste, die schönste Zeit meines Lebens".

    Er hat allen Grund, an seinem 70. Geburtstag "mit großer Dankbarkeit" zurückzublicken. Wer hat schon die Chance, in einer die Welt bewegenden "Wahnsinnszeit" historischer Umbrüche die Dinge mitzugestalten? Die deutsche Einheit, die Einführung des Euro - das waren epochemachende Ereignisse, die mit dem Namen Waigels verbunden bleiben werden. Er hat die Idole seiner Jugend wie Max Schmeling oder Fritz Walter kennengelernt und mit den Großen der Welt verhandelt. "Etliche gute Freunde" sind ihm aus jener Zeit in der dünnen Luft der Spitzenpolitik geblieben, er fühlt sich "gesund an Leib und Seele", genießt die Wander- und Radtouren durchs Allgäu und Mindeltal und übt sich wie eh und je in der Kunst der von manchen Parteifreunden gefürchteten Ironie. Mit 70 erweckt Waigel den Eindruck eines Mannes, der - bei aller gelegentlichen Neigung zum Grüblerischen - mit sich im Reinen ist. "Non degenerabo", nicht aus der Art schlagen: Das war sein Wahlspruch, und dem ist er als "freier Christenmensch, dem vieles an der Kirche nicht gefällt", auf seine Weise treu geblieben.

    Demnächst will Waigel, der mit der Feder gut umzugehen versteht und auf der Straße noch immer von vielen erkannt wird, endlich mit dem Schreiben seiner Erinnerungen loslegen. Das große, im Oberrohrer Elternhaus lagernde Archiv ist geordnet; vier Schreibtische - in Seeg, Oberrohr, in der Münchner Kanzlei und in der Siemens-Zentrale - stehen ihm zur Verfügung. Das Buch verspricht interessante Einblicke in ein spannendes Leben, philosophische Streifzüge und eine optimistische Zukunftsprognose.

    Er habe trotz der Verheerungen der Finanzkrise und des Vertrauensverlustes der Politik keine Sorge um die Demokratie und die soziale Marktwirtschaft, sagt Waigel, die parlamentarische Ordnung stehe auf einem breiten Fundament. Doch müsse "alles gegenüber der jungen Generation immer wieder überzeugend begründet werden". Wenn dies geschehe und die Lehren aus der Krise gezogen würden, dann brauche niemandem bange zu sein.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden