Bleib negativ! Mit diesem Wunsch hat sich unlängst ein Freund von mir verabschiedet. Erst war ich verdutzt, dann habe ich verstanden und musste lächeln: Er meinte den Corona-Test, der hoffentlich negativ ausfallen würde. Die Pandemie hat uns ganz neue Worte gebracht – Ausdrücke, die vor einem Jahr unbekannt, jedenfalls nicht geläufig waren: Lockdown, Maskenpflicht, Kontaktsperre und anderes mehr.
Die Rede ist sogar von einer Zeitenwende. Obwohl unsere Uhren präzise und gleichmäßig dahin ticken, gibt es nicht nur die Quantität der Zeit, sondern auch deren Qualität. Wichtig ist, was unsere Lebensreise erfüllt. Im Rückblick können wir dann Gipfel und Täler ausmachen, Höhen und Tiefen, aber auch Wegstrecken, die weder steile Steigungen noch gefährliche Abgründe aufweisen, sondern einfach darauf hindeuten, dass wir uns auf ebenem Gelände bewegen.
Abgesehen von unseren persönlichen Wegmarken, die sich in unsere Biografie eingraben, gibt es auch Daten, die uns allen gemeinsam sind. So sind etwa 1945, 1968 und 1989 Jahreszahlen, mit denen auch die etwas verbinden, die damals noch gar nicht geboren waren: historische Ereignisse, an denen wir uns bis heute orientieren.
Bischof Meier: Was Corona mit der Weihnachtsgeschichte zu tun hat
Das Jahr 2020 wird sicher einen merk-würdigen Platz in der Geschichte bekommen. Man werde, so hört man allenthalben, später von der Zeit „vor“ und „nach“ Corona sprechen. Feiern wir also Weihnachten an einer Zeitenwende?
Blenden wir uns in die Weihnachtserzählung zurück, die der Evangelist Lukas aufgeschrieben hat. Der Erzählung von der Geburt Jesu ist die große Zählung vorgeschaltet. Die Weihnachtsgeschichte beginnt nicht religiös, geschweige denn kirchlich, sondern staatlich. Es geht um die Erfassung der Bevölkerung. Die Regierung will wissen, wie groß die Anzahl der Menschen ist, über die sie herrscht. Alle Bewohner des römischen Reiches werden gezwungen, in ihre jeweiligen Geburtsstädte zu gehen, um sich dort registrieren zu lassen. Über die Details dieser Volkszählung wissen wir von Lukas nichts Genaues, weil es ihm nicht um eine Zählgeschichte geht, sondern um das Weihnachtsereignis.
Bertram Meier - der Bischof von Augsburg
Geboren wurde Bertram Meier am 20. Juli 1960 in Buchloe und wuchs in Kaufering (Landkreis Landsberg) auf. Sein evangelischer Vater weckte in ihm das Verständnis für ökumenische Fragestellungen.
Studiert hat Meier Philosophie und katholische Theologie ab 1978 zuerst an der Universität Augsburg und ab 1980 an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Er wohnte im traditionsreichen Collegium Germanicum.
Geweiht zum Priester wurde Meier am 10. Oktober 1985 in Rom.
Die Doktorarbeit über den bayerischen Kirchenvater Johann Michael Sailer (1751–1832) entstand von 1986 bis 1989.
Kaplan war Meier 1989 in Neu-Ulm und 1991 in Neuburg an der Donau.
Päpstliche Diplomatenakademie Für eineinhalb Jahre war Bertram Meier 1990/91 von der Diözese für die Weiterbildung an der Päpstlichen Diplomatenakademie in Rom abgeordnet.
Dekanatsjugendseelsorger Ein Jahr war Meier 1991/92 Jugendseelsorger im Dekanat Neuburg an der Donau.
Stadtpfarrer war er von 1992 bis 1996 in Neu-Ulm (dort auch Dekan und Regionaldekan).
Vatikanisches Staatssekretariat Als Leiter der deutschsprachigen Abteilung des vatikanischen Staatssekretariats wurde er 1996 bis 2002 vom Heimatbistum freigestellt.
Domkapitular in Augsburg wurde er bereits 2000, er leitete die Referate Ökumene, Weltkirche und Ordensgemeinschaft und wurde 2012 stellvertretender Generalvikar und 2014 Hauptabteilungsleiter Seelsorge.
Bischof Papst Franziskus ernannte ihn am 29. Januar 2020 zum Bischof von Augsburg.
Alle aufschreiben, alle erfassen: Unterwerfung des Lebens unter die Zahl. Irgendwie ist es heute auch so. Man muss kein Anhänger von Verschwörungsmythen sein, um festzustellen: Wenn ich in Corona-Zeiten morgens aufwache, werde ich im Radio zuallererst mit Zahlen und Statistiken konfrontiert. Infektionszahlen, Todesziffern, Inzidenz- und anderen Werten. Meist sind diese Zählgeschichten keine guten Nachrichten. Deshalb darf die Weihnachtsgeschichte gerade jetzt weder verschwiegen noch zu den Akten gelegt werden.
Dieses Weihnachtsfest ist ein Stoppschild für vieles
Die Menschen brauchen Weihnachten, dieses Fest der Begegnung. Bei Weihnachten denken wir an Nähe, nun müssen wir auseinanderrücken. Seit Monaten halten wir Distanz. Face-to-face-Kontakte sollen wir reduzieren. Abstand ist gefragt – in den Familien und Freundeskreisen, auch in den Kirchen. Masken müssen wir tragen – nicht als Maulkorb, sondern zum Schutz von uns selbst und unseren Liebsten. Singen dürfen wir im Gottesdienst nicht – dennoch braucht das Lob Gottes in unseren Herzen nicht zu verstummen.
Wenn auch dieses Weihnachtsfest ein Stoppschild ist für vieles, woran wir uns gewöhnt haben, ermutige ich dazu, dass wir alle Möglichkeiten nutzen, um einander nahe zu sein.
Besonders freue ich mich über die vielen Menschen, die in den kommenden Tagen Kontakt suchen zu Leuten, die allein sind. Andere schreiben Briefe oder telefonieren. Wieder andere schalten auf Videotreffen um – selbst Senioren machen mit, wenn Junge ihnen helfen, Verbindungen herzustellen. Besonders bewundere ich die Menschen in sozialen Diensten, Medizin und Altenpflege, die bis an den Rand ihrer Belastbarkeit für andere da sind. Und nicht vergessen will ich all jene, die in den Medien – gleich welcher Art – der Weihnachtsbotschaft einen Kanal öffnen. Wir müssen raus aus der Komfortzone – hin zu den Menschen am Rand.
Corona kann die Botschaft der Kirchen nicht in die Knie zwingen
Selbst wenn jetzt vieles so ganz anders sein muss, Corona ist keine Zeitenwende, die uns Angst machen muss. Auch weiterhin werden wir bei den Jahreszahlen sagen: anno Domini – im Jahr des Herrn. Mit dem Herrn ist Jesus Christus gemeint, auf dessen Geburt unsere Zeitrechnung gründet. Jesus hat die Zeit gewendet. Er markiert DIE Zeitenwende. Denn in ihm zeigt sich, wie Menschsein geht. Das ist die Botschaft der Hoffnung, die von Weihnachten ausstrahlt.
Weihnachten 2020 lässt uns die Spannung spüren zwischen Freiheit und Verantwortung. Gott war so frei, Mensch zu werden. Wir haben – Gott sei Dank – die Freiheit, dieses Bekenntnis zur Menschlichkeit im Lichte Gottes abzulegen. Zugleich stehen wir in der Verantwortung, die Feiern so zu gestalten, dass dadurch möglichst keine Gefährdung für andere ausgeht.
Die Kirchen haben bislang bewiesen, dass sie die Spannung zwischen Freiheit und Verantwortung aushalten und alles tun, um für das Seelenheil der Menschen Sorge zu tragen, ohne dabei die Gesundheit der Mitmenschen zu gefährden. Corona kann diese Botschaft nicht in die Knie zwingen!
Augsburger Bischof: Weihnachten als Start-up der Herzen
Denn einen Lockdown der Seele soll es nicht geben. Im Gegenteil: Weihnachten ist die Chance für einen Start-up der Herzen, dass sie sich erheben und guten Mutes nach vorne schauen. Die Kirchen wollen ihren Beitrag dazu leisten. Jeder und jedem wünsche ich: „Denk positiv, fühl positiv, glaub positiv! Sei für Deinen Nächsten Hoffnungsträger!“
Die Politiker haben einen anderen Job, sie müssen uns durch die Krise führen. Darum beneide ich sie nicht. Unsere Aufgabe ist es, den Menschen Hoffnung zu geben, weil Jesu Geburt die eigentliche Zeitenwende ist. Deshalb freue ich mich auf die Weihnachtsbotschaft, die ich auch heuer mit Begeisterung verkünden werde.
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