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Garching: Ein Ei, Einstein und einiger Ärger: Bayerns Atom-Ei wird 60

Garching

Ein Ei, Einstein und einiger Ärger: Bayerns Atom-Ei wird 60

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    1957 wurde in dem eiförmigen Gebäude in Garching Deutschlands erster Kernreaktor in Betrieb genommen. Heute gilt die Kuppel als Industriedenkmal – geforscht wird nur noch nebenan.
    1957 wurde in dem eiförmigen Gebäude in Garching Deutschlands erster Kernreaktor in Betrieb genommen. Heute gilt die Kuppel als Industriedenkmal – geforscht wird nur noch nebenan. Foto: Stephan Jansen, dpa (Archiv)

    Merkur ist hohl. Und seine Beine hatte er noch nicht immer. Sie wurden der römischen Gottheit erst nachträglich angesetzt. Sätze, die im ersten Moment verwirrend klingen – aber die Erkenntnisse von Münchner Forscher sind. Diese haben vor einigen Jahren die Bronzefigur aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus, die bei Ausgrabungen im unterfränkischen Landkreis Miltenberg gefunden wurde, mit modernster Technik untersucht und dabei Indizien für eine antike Massenproduktion derartiger Figuren gefunden.

    Es ist nur ein kleiner Einblick in die Arbeit, die im Forschungsreaktor München (FRM) II verrichtet wird. Der Reaktor in Garching wird von der Technischen Universität

    „Am Atom-Ei sind die Grundlagen dafür gelegt worden, dass Europa bei der Forschung mit Neutronen heute führend ist“, sagt Prof. Winfried Petry, wissenschaftlicher Direktor des FRM II. Garching sei eine der wichtigsten Neutronenquellen in Europa. Die Anlage sei damals „im großen Einverständnis mit der Bevölkerung“ gebaut worden. Damals gab es kaum Vorbehalte gegen Kerntechnik.

    Zur Feier gab es ein sonderbares Festmahl

    Zum Richtfest im Januar 1957 wurde den Ehrengästen, darunter Bayerns damaliger Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD), ein Atom-Menü serviert: eine „Vorfluterbrühe mit Kerneinlage“ (Leberknödelsuppe), „Neutronenschlegel“ (Kalbfleisch) mit Rahmsoße, ein Stück „Fettisotop“ (Nachspeise) und „radioaktives Kühlwasser“ (Bier) gegen den Durst, wie die Garchinger Chronik von 1979 vermerkt.

    Wenige Monate später wäre das Menü womöglich nicht mehr ganz so gut angekommen. Drei Wochen vor der Eröffnung des FRM I am 31. Oktober brannte es im britischen Kernkraftwerk Sellafield, Radioaktivität wurde frei und verteilte sich bis zum europäischen Festland. Und spätestens nach Tschernobyl 1986 formierte sich scharfer Protest gegen Atomenergie – und damit auch gegen das Ei von Garching. Laut Petry gab es in Garching nie einen echten Störfall. Sehr wohl gab es jedoch diverse Zwischenfälle. Einmal wurde in einer Toilette Radioaktivität gemessen, ein anderes Mal gelangte radioaktives Abwasser in die Isar.

    Der neue Reaktor ist nicht zuletzt deshalb umstritten, weil er mit hochangereicherten Uran betrieben wird. Gegner kritisieren, es handele sich um atomwaffentaugliches Material. Petry sagt: „Wir setzen hochangereichertes Uran ein, das aber eben nicht atomwaffenfähig ist.“

    Direktor Petry: „Wir spielen Einstein“

    Der FRM II betreibt auch die weltweit stärkste Quelle von Positronen. Die Antiteilchen von Elektronen werden für Grundlagenexperimente sowie in der Materialforschung eingesetzt. „Wir spielen Einstein. Aus Energie, aus Gammastrahlung, machen wir Materie und Antimaterie: Elektronen und Positronen“, erklärt Petry.

    Gegner der Anlage sehen Sicherheitsmängel. Laut TU München ist das Reaktorgebäude aber wie kaum ein anderes gegen Blitzschlag, Hochwasser, Erdbeben, Explosionen und Flugzeugabstürze geschützt – eine Auflage wegen des nahen Flughafens in Erding.

    Nach ursprünglichen Auflagen des Bundesumweltministeriums sollte der Reaktor bis 2010 auf weniger angereichertes Uran umgerüstet werden. Doch dann wurde die Verwendung um acht Jahre verlängert. Landtagsabgeordneter Benno Zierer (Freie Wähler) prophezeite im Sommer, die Anlage werde auch nach 2018 mit hochangereichertem Uran betrieben. „Die Bevölkerung ist von Anfang an für dumm verkauft worden.“ Petry verspricht: Sobald es eine Möglichkeit mit niedriger angereichertem Uran gebe, werde man umsteigen. Sabine Dobel, dpa

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