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Pflegenotstand: „Für die Menschen fehlt die Zeit“: Eine Altenpflegerin erzählt

Pflegenotstand

„Für die Menschen fehlt die Zeit“: Eine Altenpflegerin erzählt

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    Mal die Hand halten und mit den älteren Menschen sprechen, das gehört zu einer guten Pflege dazu. Doch viele Altenpflegekräfte klagen, dass ihnen dafür kaum noch Zeit bleibt.
    Mal die Hand halten und mit den älteren Menschen sprechen, das gehört zu einer guten Pflege dazu. Doch viele Altenpflegekräfte klagen, dass ihnen dafür kaum noch Zeit bleibt. Foto: Oliver Berg, dpa (Symbolfoto)

    Sie möchten anonym bleiben, weil Sie Angst um Ihren Arbeitsplatz als Altenpflegerin in der ambulanten Pflege haben. Muss nicht mit Blick auf den Mangel an Pflegekräften jeder Heimleiter froh sein, eine Kraft zu haben. Woher kommt die Angst?

    Altenpflegerin: Der Druck bei uns ist sehr groß. Und es ist nicht üblich, dass die Missstände öffentlich gemacht werden. Ich habe es immer wieder erlebt, dass Kolleginnen der Bereichs- oder Heimleitung gesagt haben, dass die Belastung zu groß ist, dass zu wenig Personal da ist und man sagte ihnen, wenn ihnen etwas nicht passt, können sie ja gehen.

    Sie sind 51 Jahre alt und arbeiteten lange Jahre in der stationären Altenpflege, seit zehn Jahren aber in der ambulanten, wo sie die Bewohner in einer Anlage betreuen. Was belastet Sie bei Ihrer Arbeit?

    Altenpflegerin: Ich habe überhaupt keine Zeit für die Menschen. Rein in die Wohnung, Medikamente geben, manchmal waschen, wenn die Altenpflegehelferin ausfällt, beim Anziehen helfen oder bei den Kompressionsstrümpfen, meine Arbeit dokumentieren und raus. Das wird von mir erwartet. Und ich muss ganz exakt erfassen wie viel Zeit ich für die einzelnen Schritte benötige. Dann komme ich aber in die Apartments und da sitzen Menschen, die oft sehr einsam sind und die meistens schon auf mich warten, weil sie mit mir auch sprechen wollen. Das zerreißt einen fast. Weil ich oft nicht einmal mehr Zeit habe, einen kranken Menschen kurz in den Arm zu nehmen, die Hand zu streicheln oder ihm zuzuhören.

    Altenpflege: Oft kümmert sich niemand um die Sterbenden

    War das früher anders?

    Altenpflegerin: Ja, in jedem Fall. Wir waren einfach mehr Personal und hatten daher auch mehr Zeit.

    Wie viele sind Sie denn?

    Altenpflegerin: Wir beginnen in der Frühschicht um 6.15 Uhr zu dritt. Eine Fachkraft und zwei Pflegehelfer. Die Schicht dauert offiziell bis 13.45 Uhr. Aber selten schafft man das. Die zweite Schicht beginnt um 13.30 Uhr und endet um 21 Uhr. Da sind wir dann nur zu zweit – eine Fachkraft und ein Pflegehelfer.

    Sie waren ja über lange Jahre im stationären Dienst. Ist es da besser?

    Altenpflegerin: Im stationären Bereich ist es viel schlimmer. Da sind die Menschen ja viel pflegebedürftiger als im betreuten Wohnen und die Zeit der Pflegekräfte ist ebenso knapp bemessen. Da bleibt oft nicht einmal die Zeit, mit den alten Menschen ausreichend lange auf die Toilette zu gehen, damit sie ihr großes Geschäft machen können, das halt manchmal auch mehr Geduld erfordert. Dann kriegen sie eben eine Windel angezogen. Ganz belastend ist auch, wenn Menschen im Sterben liegen und niemanden von den Angehörigen sich kümmert. Wenn nicht jemand vom Hospiz kommt, sterben diese Menschen oft allein.

    Ihre Kollegen aus den Krankenhäusern sprechen längst aufgrund des Pflegekräftemangels und dem Zeitdruck von einer gefährlichen Pflege. Trifft das auf die Altenpflege auch zu?

    Altenpflegerin: Ja, es gibt Situationen, die sind für Pflegebedürftige gefährlich. Weil einfach der Druck so groß ist und wir ja auch nur zwei Hände haben und uns nicht immer alles merken können. Die Verantwortung, die wir tragen, ist enorm.

    Immer öfter erzählen Pflegekräfte auch von Gewalt gegen Ältere ...

    Altenpflegerin: Also, ich kann mir das gut vorstellen, dass da viel vorkommt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Nehmen Sie einen sehr dementen Menschen. Dieser Mensch kann noch so stark dement sein, er spürt aber, dass man für ihn keine Zeit hat. Und dann blockieren viele und alles dauert viel, viel länger. Das Anziehen. Das Waschen. Die ganze Pflege. Und man hat als Pflegekraft so einen Stress und müsste längst mehr Bewohner versorgt haben, da kann es passieren, wenn man einen schlechten Tag hat, dass man schon mal grober und ungehaltener wird. Hinzu kommt ja, dass die Wertschätzung für uns einfach fehlt. Das verändert bei vielen Kolleginnen die Haltung zu ihrer Arbeit.

    Zu wenig Gehalt in der Pflege

    Können Sie das bitte genauer erklären: Wer schätzt Ihre Arbeit nicht – die Gesellschaft, der Arbeitgeber?

    Altenpflegerin: Beide. Gerade unsere jüngeren Kollegen erzählen oft, dass sie, wenn sie sagen, wo sie arbeiten, ihnen entgegnet wird, wie man nur so eine Beruf machen kann, bei dem man immer nur alte Ärsche waschen muss. Und ich spüre oft, dass bei vielen Angehörigen doch auch diese Meinung über uns herrscht.

    Und wo hapert es bei den Arbeitgebern?

    Altenpflegerin: Sie setzen uns nicht nur immer weiter unter Druck. Vor allem die Bezahlung ist zu niedrig.

    Da bekommen Sie nun Rückendeckung vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Die Forscher haben errechnet, dass es bei der Bezahlung für Altenpflegekräften trotz Lohnsteigerungen in den vergangenen Jahren noch erheblichen Nachholbedarf gibt. Wie viel Geld verdienen Sie?

    Man kennt sich gut, spricht miteinander, hat Vertrauen - so sollte es sein. Doch viele Altenpflegekräfte beklagen, dass der Druck in ihrer Arbeit zu hoch ist.
    Man kennt sich gut, spricht miteinander, hat Vertrauen - so sollte es sein. Doch viele Altenpflegekräfte beklagen, dass der Druck in ihrer Arbeit zu hoch ist. Foto: Tobias Kleinschmidt, dpa (Symbolfoto)

    Altenpflegerin: Meine Kollegen verdienen im Schnitt als Vollzeitkraft etwa 2500 Euro brutto. Wenn man bedenkt, wie groß unsere Verantwortung ist, ist die Bezahlung viel zu niedrig. Und es ist ja ein Teufelskreislauf: Da der Beruf so anstrengend und so schlecht bezahlt ist, steigen viele Kollegen aus oder es finden sich erst gar keine neuen. Damit steigt der Druck auf die verbliebenen Kräfte noch mehr. Ich frage mich, wann die Politik endlich etwas tut. Es werden doch immer mehr ältere, pflegebedürftige Menschen.

    Was erwarten Sie von der Politik?

    Altenpflegerin: Dass sie ihren Versprechen, die Pflege zu stärken und die Arbeitsbedingungen deutlich zu verbessern, endlich Taten folgen lässt.

    Würden Sie den Beruf denn überhaupt wieder wählen?

    Altenpflegerin: Ja, in jedem Fall!

    Warum?

    Altenpflegerin: Weil man von den alten Menschen so viel zurück bekommt. Die meisten sind so dankbar und freuen sich, wenn man kommt und ihnen hilft. Das ist ein gutes Gefühl. Allerdings beobachte ich, dass der innige Kontakt auch unter dem Zeitdruck massiv leidet. Die Menschen spüren ja, wie abgehetzt wir meistens sind und dass wir für ein Gespräch gar keine Zeit mehr haben. Dann trauen sie sich auch nichts mehr zu sagen. Dabei sind ja Gespräche auch aus medizinischer Sicht wichtig: Als Pflegekraft erfährt man, wie es dem Menschen geht, wo vielleicht auch psychisch der Schuh drückt und man kann dementsprechend Hilfe organisieren. So bleibt aber das Zwischenmenschliche, das unseren Beruf ja auch einmal ausgemacht hat, leider auf der Strecke.

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