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Fridays for Future: Klimaschützer wollen raus aus dem Schatten von Corona

Fridays for Future

Klimaschützer wollen raus aus dem Schatten von Corona

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    Die „Fridays for Future“ lebt von der Aufmerksamkeit ihrer Aktionen, von streikenden Schülern, von Demonstrationen. All das ist momentan nicht möglich oder geht im medialen Trubel um das Coronavirus weitgehend unter.
    Die „Fridays for Future“ lebt von der Aufmerksamkeit ihrer Aktionen, von streikenden Schülern, von Demonstrationen. All das ist momentan nicht möglich oder geht im medialen Trubel um das Coronavirus weitgehend unter. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert, dpa

    Wenn Michael, 15, derzeit nach oben blickt, freut er sich. Alles frei, kaum Flugzeuge mehr. Weniger Partypendler nach Mallorca heißt sauberere Luft. So denkt der Aktivist von Fridays for Future (FFF) aus Kaufering (Landkreis Landsberg). Irgendetwas Gutes muss diese Pandemie ja auch haben.

    Denn Corona sorgt eben nicht nur für einen fliegerfreien Himmel, sondern auch für leere Straßen. Die Leute sitzen nicht mehr im Café, sie pilgern nicht mehr ins Stadion, sie demonstrieren nicht mehr. Nur noch vereinzelt lassen Behörden und Gerichte bundesweit Kleinstkundgebungen von etwa einem Dutzend Teilnehmern zu – unter strengsten Hygienevorschriften. Für Michael und seine Freunde ist das ein Problem. Die jungen Klimaaktivisten lebten immer von der großen Bühne, den breiten Massen, dem Meer aus Plakaten in der 20-Uhr-Tagesschau jeden Freitag. Es scheint längst vergangen und ist gerade einmal ein paar Wochen her.

    „Der Klimawandel wird uns härter treffen als die Coronakrise“

    Wäre FFF eine Fußballmannschaft, man würde sagen, sie hat das Momentum verloren. Die Bevölkerung macht sich jetzt Gedanken über Reproduktionszahlen und Öffnungsdiskussionsorgien, nicht mehr über Flugscham und Kohlestopp. Der Earth Day an diesem Mittwoch zog weitgehend unbemerkt vorbei. Virologe Christian Drosten ist die neue Greta Thunberg. In Umfragen sind die Grünen unter 20 Prozent gerutscht. Covid-19 scheint jetzt wichtiger als CO2 zu sein.

    „Wenn wir aktuell mit Klimaschutz irgendwo hingehen würden, würden uns die Leute auslachen und sagen: ‚Es geht um Corona! Es geht um das Leben der Menschen!’ Klar betrifft uns das. Aber der Klimawandel wird uns noch viel härter treffen als die Coronakrise“, sagt Michael.

    Fridays for Future veranstaltet einen digitalen Klimastreik

    Am Freitag begeht FFF dennoch seinen fünften globalen Klimastreik – diesmal rein digital. Auf Youtube wird es einen internationalen 24-Stunden-Livestream geben. In der deutschen Version tritt unter anderem Eckart von Hirschhausen auf. Jugendliche werden im Netz Streikbilder von sich hochladen. Das Momentum soll sich drehen. Zumindest für einen kurzen Augenblick. In Ulm haben Merle Steiner und ihre Freunde für diesen Tag Plakate an Natur- und Bioläden verteilt. „There is no planet B“, solche Sachen.

    Die beiden Räume, in denen sich die Ortsgruppe sonst trifft, sind jetzt zu. Stattdessen diskutiert man nun auf der Online-Plattform Zoom. „Online gibt es keine Grenzen“, sagt die 18-jährige Gymnasiastin zum anstehenden Aktionstag. Die Wahrheit ist aber auch: FFF braucht das Analoge. So wie die Plakataktion jetzt, so wie die Kreidesprüche, die sie letztens an den Boden des Ulmer Marktplatzes sprühten. Auf Youtube-Livestreams droht die Bewegung, sich in einer Echokammer einzusperren. „Ich hoffe, dass die Leute darauf aufmerksam werden. Sie sitzen jetzt zu Hause und sind mehr online als sonst“, sagt Steiner.

    Kauferinger macht aus der Not eine Tugend

    Michael aus Kaufering versucht aus der Not eine Tugend zu machen. Er ist Delegierter der Ortsgruppe Landsberg, dadurch bundesweit im FFF-Netzwerk eingesponnen. Dutzende Chatgruppen, 28.000 ungelesene Nachrichten, erzählt er. „Ich habe jetzt mehr Zeit für Fridays for Future. Die nutze ich auch.“ Nach einer Reportage in unserer Zeitung über ihn und seine gläubige, etwas thunbergkritische Mutter ist er ortsbekannt, RTL wollte einen Beitrag über ihn drehen.

    Organisatorische Abläufe würden jetzt verbessert, sagt Michael, wissenschaftliches Wissen verbreitert: „Uns wurde ja oft nachgesagt, dass wir nur reden, aber nicht wissen, was Sache ist. Wir versuchen derzeit viel, uns zu informieren.“ Seit dieser Woche haben die deutschen Klimademonstranten eine eigene App – mit Newsfeed, einer Ortsgruppenkarte, Demosprüchen. „Bagger Ciao“ statt „Bella Ciao“. Und doch: Es ist nicht dasselbe. „Ich vermisse das Gesellschaftliche sehr“, erzählt Michael. „Auf die Straße zu gehen und den Leuten zu zeigen, dass wir da sind und weiterkämpfen wollen. Es fällt uns gerade wirklich schwer, da präsent zu sein. In den Medienfokus werden wir erst nach Corona rücken.“

    Und dann? Der Internationale Währungsfonds rechnet 2020 mit einem Schrumpfen der Weltwirtschaft um drei Prozent, schlimmer als in der Finanzkrise 2008/2009. Wenn Corona weg ist, die Ausgangsbeschränkungen, die Öffnungsdiskussionsorgien, Christian Drosten, dann werden Regierungen über den schnellen Wiederaufbau ihrer Wirtschaft sprechen. Die Leute werden wieder in Massen konsumieren. Michael wird wieder mehr Flugzeuge am Himmel entdecken. Er sieht zwei Möglichkeiten: „Entweder die Politiker erinnern sich an uns. Oder die Wirtschaft rückt in den absoluten Vordergrund.“ Eines weiß er sicher: „Aber immerhin können wir dann wieder auf die Straße gehen.“

    Lesen Sie auch:

    • die Reportage über Michael und seine Familie: Mensch, Mama! Wie eine Familie über die Klimadebatte streitet 
    • den Kommentar: Nach der Corona-Krise muss Deutschland grüner werden
    • den Hintergrundbericht: Klima, Kriminalität, Verkehr: Hat die Corona-Krise auch ihr Gutes?

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