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Frauengefängnis Aichach wird 100: In der JVA stehen die Türen offen

Frauengefängnis Aichach wird 100

In der JVA stehen die Türen offen

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    Von Christian Lichtenstern, Aichach Der Wahrheitsgehalt der Geschichte ist nicht so gesichert wie die Zellen und der 960 Meter lange Zaun des

    Weil sich der sonore Magistrat schon zur Jahrhundertwende einen krisensicheren königlich-bayerischen Arbeitgeber in der kleinen Stadt wünschte, aber Angst um die Moral der braven Töchter hatte, bewarb sich Aichach nicht um eine Garnison, sondern um ein Gefängnis. Motto: Lieber schlimme Frauen hinter Gittern als fesche Soldaten auf den Bürgersteigen.

    Das (vorläufige) Ende der Geschichte: 1909 zogen die ersten weiblichen Gefangenen in den Neubau ein. "Da sind ja auch blitzsaubere Madl'n dabei", ist von (männlichen) Zeitzeugen der Ankunft überliefert.

    Das Bauwerk-Ensemble, von 1904 bis 1908 im panoptischen Stil errichtet, steht längst unter Denkmalschutz und ist bis heute die Anstalt mit den meisten weiblichen Gefangenen in Deutschland. Inhaftierte wie die frühere RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt (22 Jahre), Vera Brühne (18 Jahre) oder Schauspielerin Ingrid van Bergen saßen einen Großteil ihres Lebens in Aichach hinter Schloss und Riegel und sorgten über Jahrzehnte für einen überregionalen Bekanntheitsgrad der Kleinstadt.

    Am Samstag besteht die Möglichkeit, den aktuellen Wohnort von 495 weiblichen (darunter 34 Jugendliche) und 140 männlichen Gefangenen und den Arbeitsplatz von 260 Bediensteten zu besuchen. Zum Jubiläum und zum ersten Mal in der 100-jährigen Geschichte öffnet die Justizvollzugsanstalt (JVA) ihre Tore. Beim "Tag der offenen Tür" besteht die Anstaltsleitung logischerweise auf "Einseitigkeit" und hat sich mit massiven Sicherheitsvorkehrungen auch auf "ungebetene" Gäste vorbereitet.

    Zumindest ein Teil der Besucher hat Beziehungen zu Gefangenen oder eigene Aichach-Erfahrungen. Versteckte "Geschenke" für Inhaftierte sind einkalkuliert, Drogenhunde stehen parat, Handys, Kameras und Taschen beim Rundgang nicht erlaubt. Bei einer ähnlichen Veranstaltung vor drei Wochen kamen rund 6000 Besucher in die Zwillings-JVA Landsberg (ebenfalls vor 100 Jahren im gleichen Baustil errichtet).

    Es liegt an der Aufgabe der Einrichtung, dass bei einer JVA im Laufe eines ganzen Jahrhunderts viel Negatives haften bleibt. Schreckliches birgt das JVA-Archiv über die Nazi-Zeit: In Aichach wurden Frauen zwangssterilisiert und Gefangene in Konzentrationslager, insbesondere nach Auschwitz, deportiert.

    Nach dem Krieg kamen die Täterinnen: Die berüchtigte KZ-Aufseherin Ilse Koch, Frau des Buchenwald-Kommandanten Karl Koch, erhängte sich 1967 in ihrer Zelle mit einem Bettlaken. Vor 30 Jahren stand die Anstalt im Fadenkreuz der RAF und ihrer Sympathisanten: Über 20 verurteilte Terroristinnen saßen ab 1976 ihre Strafe in Aichach ab.

    Mit 16 Mutter-Kind-Haftplätzen setzt Aichach dagegen heute soziale Akzente im Vollzug: Die Strafe soll die Mütter treffen - nicht die Kinder. Maßstäbe setzte auch der frühere Anstaltsleiter Wolfgang Deuschl. Mit 28 Jahren Amtszeit (1980 bis 2008) ist er einsamer Rekordhalter in Deutschland. Zu Beginn und zum Ende seiner Karriere foppte er dazu noch die versammelte Boulevardpresse bei den Freilassungen von Brühne und Mohnhaupt.

    Die bekannteste Gefangene der Nachkriegsgeschichte setzte er in einen Bus und dann in Augsburg einfach auf die Straße. Wie der frühere RAF-Kopf, Brigitte Mohnhaupt, vor zwei Jahren trotz Belagerung der Medien unbemerkt die Anstalt verließ, ist JVA-Verschlusssache - der Entlass-Clou könnte ja wieder einmal notwendig sein.

    Zum Schluss noch eine verbürgte Aichacher JVA-Annale: Im Wettstreit mit anderen Städten im Bayernland um das Gefängnis krochen die Stadtväter 1903 nahezu zu Kreuze in München: "Erbötig" versprachen sie ein kostenloses Grundstück. Und: "Die Bürgerschaft Aichachs ist bereit, alle Opfer zu bringen und alles aufzubieten, um eine Strafanstalt zu erhalten."

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