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Flucht: Kurz vor Abflug: Abschiebung einer 22-jährigen Kurdin überraschend gestoppt

Flucht

Kurz vor Abflug: Abschiebung einer 22-jährigen Kurdin überraschend gestoppt

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    Kurz vor dem Abflug wurde die Abschiebung einer 22-jährigen Kurdin gestoppt.
    Kurz vor dem Abflug wurde die Abschiebung einer 22-jährigen Kurdin gestoppt. Foto: Julian Stratenschulte, dpa (Archiv)

    Fünf Wochen saß sie schon im Eichstätter Abschiebegefängnis, am Mittwoch sollte Dilek Agirman vom Münchener Flughafen nach Istanbul gebracht werden. Mit einem Privatflug, so viel hatte man der Kurdin gesagt. Derzeit sitzen nach Auskunft des Landesamtes für Asyl und Rückführung 71 Menschen in den drei bayerischen Abschiebeanstalten Eichstätt, Erding und München-Flughafen ein. Für die 22-Jährige in Eichstätt wendete sich das Blatt jedoch in beinahe letzter Minute: Am Dienstagnachmittag wurden Haft und Ausweisung plötzlich ausgesetzt, ihre Unterstützerinnen aus Eichstätter Asyl- und Amnesty-Gruppen konnten die Frau vor dem Gefängnis in Empfang nehmen. Was war passiert?

    Für die Petition, die Agirmans Onkel am 23. November beim Bayerischen Landtag eingereicht hatte, standen die Erfolgsaussichten denkbar schlecht: "Es war eigentlich längst zu spät. Wir hätten vor dem Abschiebetermin gar keine Sitzung mehr gehabt, um den Fall prüfen zu können", erklärt Stephanie Schuhknecht (Grüne), Vorsitzende des Petitionsausschusses im Landtag. Agirman habe bei einem vorherigen Abschiebeversuch erfolgreich Widerstand geleistet und saß deswegen bereits in Haft – laut Schuhknecht beides Ausschlusskriterien für eine Diskussion im Petitionsausschuss.

    Dass die Abschiebung so kurzfristig ausgesetzt wird, ist äußerst ungewöhnlich

    Eigentlich. Trotzdem bat die Vorsitzende noch am Dienstagvormittag formlos beim Innenministerium um Aufschub der Abschiebung. Eine Antwort erhielt sie nicht. Wie dann die plötzliche Freilassung zustande kam, kann sie sich nicht erklären: "Ich freue mich, dass die Entscheidung so gefallen ist. Vermutlich war es ein Gemeinschaftserfolg ihrer beharrlichen Unterstützer, ihrer Arbeitgeberin und anderer unabhängiger Personen", sagt Schuhknecht. Zur Prüfung des Falles werde es wegen der Vielzahl der Petitionen im Februar kommen.

    Das Eichstätter Abschiebegefängnis.
    Das Eichstätter Abschiebegefängnis. Foto: Thomas Balbierer

    Harald Schwartz (CSU), stellvertretender Ausschussvorsitzender, betont, die kurzfristige Aussetzung der Abschiebung sei äußerst ungewöhnlich. Er erklärt: "Wir nehmen keine Kontrolle der vorangegangen juristischen Schritte vor, sondern eine politisch-humanitäre Prüfung. Genau das werden wir hier jetzt auch tun." Agirmans Anwalt Alexander Wilhelm zeigt sich ebenfalls erstaunt über die schnelle Entscheidung. Der Fall sei besiegelt gewesen, die Abschiebung schien unausweichlich. Zwar habe er zwei Tage zuvor beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) noch einen Asylfolgeantrag mit neuen Hinweisen auf die Verfolgung der Mandantin eingereicht. „Ich war aber skeptisch, ob die Zeit noch reicht“, so Wilhelm.

    Angst vor einer Festnahme am Flughafen in Istanbul

    Für Dilek Agirman wäre es eine gefährliche Reise geworden. In einem Gespräch mit unserer Redaktion erklärte sie, sie fürchte eine Festnahme direkt am Istanbuler Flughafen. Sie ist Mitglied der oppositionellen Demokratischen Partei der Völker (HDP), protestierte 2018 gegen den völkerrechtswidrigen Einmarsch der türkischen Armee im syrischen Afrin und teilte einen Zeitungsartikel darüber auf ihrer Facebookseite. Ihre Unterlagen, die sie im Bamf für ihren Asylantrag vorlegte, konnte unsere Redaktion einsehen. Das Strafgericht ihrer Heimatregion Sirnak nahe der syrischen Grenze verhandelt demnach wegen Terrorpropaganda und lud sie 2018 mehrfach vor, doch da war sie schon in Deutschland. Ein Sitzungsprotokoll des Gerichts vom 27.12.2019 vermerkt, die Angeklagte werde "mit Gewalt zur Gerichtsverhandlung gebracht", sollte sie beim nächsten Termin nicht erscheinen. Im Januar 2020 wurde sie zur Fahndung ausgeschrieben. Agirman war auf der Ladefläche eines Lkw nach Deutschland geflohen und beantragte im Ankerzentrum Donauwörth Asyl. Vergeblich. Weil sie nicht freiwillig ausreiste und sich gegen den ersten Abschiebeversuch gewehrt hatte, wurde sie Anfang November aus Huisheim, wo sie zusammen mit einer anderen Familie wohnte, ins Eichstätter Abschiebegefängnis gebracht.

    Seit September hat sie eine Lehrstelle bei der Bäckerei von Elisabeth Mayer in Harburg. Eine Ausbildungsduldung nach dem "3 plus 2"-Verfahren liege aber nicht vor, meldet das Landesamt für Asyl und Rückführung. Diese ermöglicht abgelehnten Asylbewerbern ein Bleiberecht von fünf Jahren.

    Agirmans Onkel hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Er unterstützt seine Nichte seit zwei Jahren. Zu Ende sei der Albtraum noch nicht, sagt er. Aber seine Nichte habe jetzt die Chance, ihre Verfolgung durch die türkischen Sicherheitsbehörden noch einmal darzustellen.

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