Bernhard Veh raucht eine letzte Zigarette. Vor ihm liegt das Jenseits, hinter ihm nicht viel. Startnummer 58, keine gute Position bei knapp 60 Gruppen im Gaudiwurm. Trotzdem muss der zweite Vorsitzende der Schlossfinken gleich Stimmung machen. Die Narren aus dem Jenseits, einem früheren Rockklub im Nachbarort, laufen los. Der Faschingsumzug in Genderkingen (Kreis Donau-Ries) beginnt. Es ist der erste von fünf Auftritten der Schlossfinken aus Höchstädt (Kreis Dillingen) an diesem Tag. Lächeln anknipsen, Schalter umlegen, 12-Stunden-Partymodus.
15.05 Uhr: Die Höchstädter Narren brauchen keine wummernden Bässe und keine Monsterwagen. Ihr Wagen besticht durch Ästhetik. Eine Holzversion des Höchstädter Schlosses, Maßstab 1:20. Die Prinzengarde marschiert vorneweg. Die Showtanzgruppe und die Hofnarren umarmen sich gegenseitig und die Besucher. Ob aus Herzlichkeit oder gegen die Kälte – egal. Sie leben die goldene Regel in diesen Tagen: „Im Fasching sind alle eine Familie, im Fasching sind alle per Du.“
Die Garde macht den Ponycheck
16.30 Uhr: Bernhard stützt sich Halt suchend an den Turm des Höchstädter Schlosses. Fasching kann anstrengend sein. Jetzt schnell heim, die Zeit drängt. Zurück im Vereinsheim. Eineinhalb Stunden vor dem Auftritt treffen sich die Schlossfinken meist hier. An der Airbrush-Station hat sich eine Schlange gebildet. Die Hofnarren sprühen sich gegenseitig mit einer kleinen Spritzpistole Sterne ins Gesicht. Showtänzerin Lisa-Marie schminkt sich vor der Spiegelwand. „Das Tanzen steigert mein Selbstbewusstsein“, sagt sie. Die Garde macht den Ponycheck, noch einmal mit dem Kamm durch das künstliche Haar, dann los.
18.30 Uhr: Im Bus teilt sich die große Schlossfinken-Familie. Unten sitzt gediegen der Elferrat, oben macht die Jugend Party. „Komm hol das Lasso raus, wir spielen Cowboy und Indianer“. Der Bus bebt. In einer ruhigen Ecke erzählt Tanztrainerin Anka, wie sie beim Hofball, dem Faschingsauftakt der Schlossfinken, mit Tränen in den Augen vor der Bühne saß. So stolz sei sie auf ihre Showtanzgruppe gewesen. Ein halbes Jahr Training hatte sich gelohnt.
Weinschorle: ein Euro. Stimmung: könnte besser sein.
19 Uhr: Ankunft beim ersten Auftrittsort: Feuerwehrball in Oberliezheim (Kreis Dillingen). „Waren wir hier schon mal?“ fragt eine der Tänzerinnen und winkt ab. „Man kommt so viel rum, da weiß man das irgendwann nicht mehr.“ Jetzt schnell die Umkleide suchen: ein Heizungskeller, eiskalt. Die Prinzengarde drängt sich um den einzigen Heizlüfter im Raum.
19.15 Uhr: Die Bar ist umringt, Weinschorle: 1 Euro. Trotzdem: Die Stimmung könnte besser sein. Eine Polonaise hilft immer. Mickie Krause auch. „Wenn die Musik losgeht, fängt jeder an zu tanzen“, ruft Tänzer Marius und streicht über sein Glitzertop. Also, volle Lautstärke und mit 70 Leuten rein ins Neonlicht des Saals.
19.20 Uhr: Tatsächlich: Ein erster Arm geht in die Luft. Jetzt ist Moderator Harry an der Reihe. Er gibt alles. „Schönen guten Abend, Unterliezheim.“ Buhen aus dem Publikum, empörtes Aufschreien. „Das war doch der Gag“, ruft Harry und grinst beschwichtigend. Als ob er nicht wüsste, dass der erste Auftrittsort eben Oberliezheim ist.
Harry begrüßt sie alle: „Ihre Lieblichkeit, Prinzessin Anna-Lena und ihren Prinz Moritz, die Schlossfinken-Showtanzgruppe und die Flying Narrows, ganz harte Kerls, richtige Fighter“. Er wird es an diesem Abend noch dreimal ziemlich genau so sagen. Anna-Lena und Moritz eröffnen die Show mit dem Prinzenwalzer.
Schlossfinken: Der Chef steuert den Bus
20 Uhr: Zurück im Bus, Gespräch mit Schlossfinken-Chef Johannes. Heute ist er auch noch Busfahrer. Später, in seinem Heimatort Schwenningen, wird er die Moderation übernehmen. „Fasching, das kannst du nicht halbherzig machen“, sagt er und steuert den Doppeldecker lässig um eine Kurve.
Im wahren Leben vermittelt er Autos. Da müsse man wissen, wie man sich gut präsentiert. Aber drei Monate am Stück gut drauf sein? „Jeder, der mit Humor zu tun hat, weiß, dass das ein Knochenjob ist.“ Mit drei Monaten sei es überdies nicht getan. „Narrenhäuptling“, wie die Schlossfinken sagen, das sei man das ganze Jahr. Gema, TÜV, Bilanzen: Zu tun gibt es immer was. Oder, wie Johannes es formuliert: „Nach dem Fasching ist vor dem Fasching.“
20.30 Uhr: „Auftritt in zehn Minuten!“ schallt es im Bus durch die Lautsprecher. Es ist ein Heimspiel für die Schlossfinken, Kolpingball im Höchstädter Pfarrheim. „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“, verspricht ein Plakat an der Wand.
Zum dritten Mal an diesem Tag zieht Prinzessin Anna-Lena ihren Jogginganzug aus und schlüpft in ihr braunes Glitzerkleid. „Prinzessin zu sein, das war mein Traum, seit ich drei bin“, sagt die 22-Jährige. 25 Auftritte, acht Umzüge, sechs Veranstaltungen der eigenen Faschingsgesellschaft – stressig sei das schon. „Aber der Zusammenhalt in der Mannschaft ist einfach total gut, da wird jeder aufgenommen.“ Prinz Moritz reicht ihr das Zepter.
Erst die Euphorie, dann die Wurstsemmeln
21 Uhr: Im Saal kämpft Tanztrainerin Anka mit der Technik. „Ich mach’ das zum ersten Mal“, sagt sie und schiebt den Lichtregler nach oben. Die Technikabteilung tritt an diesem Abend als Männerballett in Schwenningen auf. Anna-Lena und Moritz eröffnen die Show mit dem Prinzenwalzer.
21.30 Uhr: Das Publikum war euphorisch. Die Tänzer gönnen sich Wurstsemmeln im Bus. Danach einen Sahnelikör im Schokowaffelbecher, serviert von der Prinzessin höchstselbst. Fast wäre etwas auf das teure Gardekostüm getropft. Knapp daneben, zum Glück.
22.30 Uhr: Die Fahrt nach Burtenbach (Kreis Günzburg) zieht sich. Das Lasso holt diesmal niemand raus. Rein in die Turnhalle, Katakomben, Umkleideraum. „Der Boden pappt nicht, gut,“ sagt Gardetrainerin Ulrike. Schnell aufgewärmt, Ponycheck. Auf der Bühne eröffnen Anna-Lena und Moritz die Show mit dem Prinzenwalzer.
23.15 Uhr: Die Garde behält ihr strahlendes Grinsen bis zur Schwelle des Bühnenausgangs. Im Saal läuft Andreas Bourani: „Ein Hoch auf das, was vor uns liegt.“
23.30 Uhr: Harry ist durch für heute. Nach der Faschingswoche braucht er erst mal Urlaub. Kapstadt, Südafrika, heißt es dann für ihn statt Burtenbach, Kreis Günzburg. Doch er gönnt sich nur eine kurze Pause, die nächste Saison will geplant sein. „Nach dem Fasching ist vor dem Fasching“, sagt Harry. Darauf einen Havanna-Cola.
23.45 Uhr: Eine Tänzerin hat sich auf den Schoß eines Hofnarren gesetzt. Gardemädchen Sarah sinniert über ihre Zeit bei der Faschingsgesellschaft. Seit 20 Jahren sind die Schlossfinken ihre Zweitfamilie. „Mein schlimmstes Jahr war das, in dem ich nicht tanzen konnte.“
Um sie herum ist es ruhig. Als sie vom Aufhören spricht, ist Sarahs Blick traurig. Da wird die Musik aus den Busboxen lauter. „Auf der Vogelwiese sitzt der Franz“ – alle singen. Nur nicht den Anfängerfehler machen: „Wenn du zur Ruhe kommst, wirst du müde“, hatte eine Zofe früher am Abend gesagt.
Doch die Nacht ist nicht vorbei. Letzte Station: Schwenningen bei Höchstädt, Dorfgaststätte. Lächeln anknipsen, Schalter umlegen. Ponycheck. Anna-Lena und Moritz eröffnen die Show mit dem Prinzenwalzer.