Das Verschwinden der kleinen Peggy aus dem fränkischen Lichtenberg gehört zu den rätselhaftesten Kriminalfällen der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland. Vor fast dreizehn Jahren verlor sich von der Neunjährigen auf dem Rückweg von der Schule jede Spur. Ab Donnerstag wird vor dem Landgericht Bayreuth wieder über den Fall verhandelt - in einem Wiederaufnahmeverfahren gegen den geistig behinderten Angeklagten Ulvi K., der vor zehn Jahren bereits wegen Mordes an Peggy verurteilt worden war. Inzwischen jedoch deutet vieles auf einen Justizirrtum hin.
Ulvi K. soll das Mädchen erstickt haben
Obwohl ihre Leiche nie gefunden wurde, hat die Polizei keine Zweifel daran, dass Peggy tot ist. Das Mädchen wurde am 7. Mai 2001 das letzte Mal lebend gesehen. Die mit ihrer alleinerziehenden Mutter im Stadtzentrum von Lichtenberg lebende Grundschülerin verschwand auf dem Rückweg von der Schule.
Die Staatsanwaltschaft hatte im ersten Prozess vor dem Landgericht Hof im Jahr 2004 noch eine klare Vorstellung, was passiert war. Demnach passte der damals 23-jährige Ulvi K. Peggy auf dem Rückweg ab. Er soll sie wenige Tage vorher sexuell missbraucht haben und wollte sich der Anklage zufolge entschuldigen. Doch die Situation sei eskaliert, am Ende soll Ulvi K. Peggy mit bloßer Hand erstickt haben.
Die Justiz zweifelt an, dass Ulvi K. der Mörder von Peggy ist
K. wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Weil er wegen anderer sexueller Übergriffe auf Kinder aber in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen wurde, musste er die Strafe bis heute nicht antreten.
Dass Ulvi K. Peggys Mörder ist, zweifelt inzwischen auch die Justiz an. Deshalb ließ das Landgericht Bayreuth das Wiederaufnahmeverfahren zu. Aus zwei Gründen: Ein inzwischen verstorbener Belastungszeuge räumte vor seinem Tod ein, gelogen zu haben. Noch wichtiger: Ein Gutachten zur Glaubwürdigkeit eines von K. zunächst abgelegten und später widerrufenen Geständnisses beruhte auf falschen Annahmen, wie heute feststeht.
Verteidiger Michael Euler will einen Freispruch für Ulvi K. erreichen
Die Umstände des widerrufenen Geständnisses gehören zu den vielen Ungereimtheiten dieses Falls. Denn Ulvi K., bei dem ein Intelligenzquotient von unter 70 festgestellt wurde, legte es nach einer ganzen Reihe von Vernehmungen ausgerechnet da ab, als sein Verteidiger nicht dabei war und ein Tonbandgerät nicht funktionierte. Für Zweifel sorgte auch, dass mehrere Zeugen Peggy noch zu einer Zeit lebend gesehen haben wollen, für die Ulvi K. ein Alibi hat.
All dies will Verteidiger Michael Euler in dem bis 2. Juni angesetzten Prozess vorbringen. "Mein Ziel ist, einen Freispruch zu erreichen", sagt der Jurist. Er will auch den Blick auf andere Verdächtige lenken. Das dürfte die vielen Verdächtigungen und Verschwörungstheorien rund um den Fall nur noch weiter anheizen.
Die Leiche des Mädchens wird immer noch gesucht
Schon die vergangenen Tage gaben einen Vorgeschmack auf die zu erwartende Hitzigkeit in dem Verfahren. Erst bat kurz vor dem Prozess der zuständige Staatsanwalt um Ablösung, weil er einen Rechtsfehler begangen hatte. Dann musste das Gericht sich gegen Vorwürfe wehren, der Vorsitzende Richter habe Einfluss auf einen Gutachter genommen.
Dazu kommt die spektakuläre neue Suche nach Peggys Leiche. Im vergangenen Jahr wurde bei einem verurteilten Kinderschänder aus Peggys Nachbarschaft das ganze Haus durchsucht inklusive umfassender Grabungsarbeiten auf dem Grundstück. Anfang dieses Jahres öffneten die Ermittler ein Grab, in dem Gerüchten zufolge Peggy verscharrt liegen sollte - beide Spuren verliefen sich.
Ob der Fall Peggy diesmal aufgeklärt werden kann, ist fraglich
Für Aufregung sorgte zudem ein Pädophiler, der in Haft mit dem Mord an Peggy geprahlt haben soll. Von dem Mann ist bekannt, dass er sich als 17-jähriger auch an Peggy verging. Doch einen dringenden Tatverdacht haben die Ermittler gegen ihn bislang nicht. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass in der Neuauflage ein Freispruch für Ulvi K. herauskommt - der Fall Peggy aber dennoch nie aufgeklärt werden kann. afp