Sieben Jahre Zwangspsychiatrie - das Schicksal des Gustl Mollath hat die Menschen in Deutschland berührt und die Grundfesten der deutschen Gerichtspsychiatrie erschüttert. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte 2006 festgestellt, dass Mollath seine inzwischen von ihm geschiedene Frau körperlich misshandelt und Autoreifen zerstochen hatte. Weil die Gutachter den Nürnberger jedoch wegen seiner angeblichen Wahnvorstellungen als gemeingefährlich einstuften, sprach das Gericht Mollath wegen Schuldunfähigkeit frei - und er wurde in die Psychiatrie eingewiesen.
Mollaths soll seine Ehefrau misshandelt und eingesperrt haben
Der 57 Jahre alte Mollath selbst hat sich immer als Justizopfer gesehen und jahrelang für seine Freilassung gekämpft. Im vergangenen Jahr kam er frei und hofft nun auf Rehabilitation in dem Wiederaufnahmeverfahren, das am 7. Juli in Regensburg beginnt. Fall Mollath wird neu aufgerollt: Prozess beginnt im Juli
Die Vorwürfe in der Anklageschrift wiegen schwer: Mollath soll 2001 seine damalige Ehefrau mit 20 Fausthieben niedergeschlagen, gebissen, getreten und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben. Später soll er sie in der Wohnung für eineinhalb Stunden eingesperrt haben. Gefährliche Körperverletzung und Freiheitsberaubung lauten die Anklagepunkte. Zudem soll er zwei Jahre später Dutzende Autoreifen zerstochen haben. Laut Anklage habe er sich an Menschen rächen wollen, die an der Scheidung von seiner Frau beteiligt waren, oder sich sonst irgendwie gegen Mollath gerichtet hatten.
Gustl Mollath sieht ein Komplott der Justiz gegen ihn
In der Zwischenzeit erstattete Mollath Strafanzeige gegen seine Frau, weitere Mitarbeiter der HypoVereinsbank und 24 Kunden wegen Steuerhinterziehung, Schwarzgeld- und Insidergeschäften. Die Anzeige wird später von der Staatsanwaltschaft abgelegt. Die Angaben waren zu unkonkret für ein Ermittlungsverfahren. Für Mollath ist diese Anzeige der Ursprung eines Komplotts seiner Ex-Frau und der Justiz gegen ihn.
Mollath schreibt zahllose, oft verworrene Briefe an Behörden, Staatsanwälte, die HypoVereinsbank, seine Frau, den Papst, Kofi Annan und andere. Was Mollath selbst als seine staatsbürgerliche Pflicht begreift, erlebten die Empfänger seiner Schreiben immer häufiger als Querulanz und Verfolgungswahn. Ein "bisschen knorrig und skurril" sei Mollath schon, räumt sein Anwalt Gerhard Strate ein. Er habe eben "Angewohnheiten, die nicht jeder hat".
Als jedoch 2012 ein älterer Revisionsbericht der HypoVereinsbank auftaucht, belegt dieser einige der von Mollath behaupteten Schwarzgeld-Geschäfte des Bankinstituts. Mit einem Mal geriet selbst die damalige bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) unter Druck. Sie soll schon frühzeitig von dem internen Bankbericht gewusst haben. Merk bestritt das stets. Der Fall Mollath beschäftigte sogar einen Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags. Der bescheinigte der Justiz im Freistaat schließlich, den Fall Mollath nur oberflächlich behandelt zu haben.
Beim Prozess geht es darum, ob Mollath weiterhin als gefährlich eingestuft wird
"Der Prozess hat damals gerade einmal vier Stunden gedauert, dann war alles vorbei", sagt Mollaths Anwalt, Gerhard Strate. Für das Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Regensburg sind dagegen 17 Verhandlungstage angesetzt, Dutzende Zeugen geladen. "Eine Verurteilung meines Mandanten ist für mich nicht denkbar", betont Strate. Der Freispruch von damals sei rechtskräftig und bei einem Wiederaufnahmeverfahren dürfe der Angeklagte nicht schlechter gestellt werden.
"Es geht bei dem Prozess einzig um die Kriterien einer Unterbringung, ob eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit ausgeht und ob neue Straftaten zu erwarten sind", erläutert Strate. Bei der Beweisaufnahme werde das Gericht aufklären, wie die bayerische Justiz mit Mollath umgegangen ist.
Vor allem die Endphase des Prozesses wird mit Spannung erwartet. Dann stehen die psychologischen Gutachten im Fokus. Das Landgericht hatte eine erneute Begutachtung verlangt. "Gustl Mollath hat sich aber nicht explorieren lassen", sagt sein Anwalt Strate. Seit seiner Entlassung hatte Mollath stets über voreingenommene Staatsanwälte, schlampig arbeitende Gerichte und verantwortungslose psychiatrische Gutachter gewettert - sein Vertrauen in die Justiz ist dahin. So kann der vom Gericht bestellte Psychiater Prof. Norbert Nedopil lediglich nach Aktenlage und nach den Eindrücken im Gerichtssaal entscheiden.
Mollath erwartet keinen vollständigen Freispruch
Mollath selbst erwartet keinen vollständigen Freispruch. Das System werde versuchen, "mir irgendwas anzuhängen, um sich selbst reinzuwaschen", sagt er dem Magazin der "Süddeutschen Zeitung".
Chronologie des Falls Mollath
Ab 2006 saß der Nürnberger Gustl Mollath in der Psychiatrie. Hier eine Chronologie des Falles:
November 2002: Gustl Mollath wird von seiner Frau wegen Körperverletzung angezeigt. Er soll sie im August 2001 ohne Grund mindestens 20-mal mit den Fäusten geschlagen haben. Außerdem habe er sie gebissen, getreten und sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt.
Mai 2003: Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erhebt Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung.
September 2003: Die Hauptverhandlung beginnt vor dem Amtsgericht Nürnberg. Im April 2004 wird sie fortgesetzt. Ein Gutachter attestiert dabei Mollath erstmals gravierende psychische Störungen.
Dezember 2003: Mollath erstattet Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen seine Frau, weitere Mitarbeiter der HypoVereinsbank und 24 Kunden wegen Steuerhinterziehung, Schwarzgeld- und Insidergeschäften.
Februar 2004: Die Anzeige wird von der Staatsanwaltschaft abgelegt. Begründung: Es gebe nur einen pauschalen Verdacht. Die Angaben seien zu unkonkret, als dass sie ein Ermittlungsverfahrens rechtfertigen würden.
Juni 2004: Mollath wird gegen seinen Willen zur Begutachtung ins Bezirkskrankenhaus Erlangen gebracht, kommt aber schon kurz darauf wieder frei. Im Februar 2005 wird er in das Bezirkskrankenhaus Bayreuth eingewiesen. Dort bringt er fünf Wochen zu.
August 2006: Das Landgericht Nürnberg spricht Mollath von den Vorwürfen der Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung frei. Aber die Strafkammer Mollaths ordnet Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, weil er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.
Februar 2007: Der Bundesgerichtshof verwirft die Revision als unbegründet.
März 2012: Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) sagt im Rechtsausschuss des Landtags, Mollaths Strafanzeige wegen der Bankgeschäfte seiner Frau sei «weder Auslöser noch Hauptanlass noch überhaupt ein Grund für seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gewesen». Seine Vorwürfe gegen die Bank hätten keinen begründeten Anfangsverdacht für Ermittlungen ergeben.
November 2012: Ein interner Revisionsbericht der HypoVereinsbank aus dem Jahr 2003, dessen Inhalt erst jetzt publik wird, bestätigt, dass ein Teil von Mollath Vorwürfe zutreffend war. Die Freien Wähler fordern Merks Rücktritt und einen Untersuchungsausschuss im Landtag.
30. November 2012: Merk will den Fall Mollath komplett neu aufrollen lassen. Grund war die mögliche Befangenheit eines Richters.
18. März 2013: Die Staatsanwaltschaft Regensburg beantragt die Wiederaufnahme des Verfahrens. Sie stützt sich dabei auf «neue Tatsachen», die dem Gericht bei der Verurteilung im Jahr 2006 noch nicht bekanntgewesen seien. Entscheiden muss das Landgericht Regensburg.
26. April 2013: Der Mollath-Untersuchungsausschuss tritt erstmals zusammen.
28. Mai 2013: Das Landgericht Regensburg lehnt eine Entscheidung über Mollaths Psychiatrie-Unterbringung vor der Prüfung des Wiederaufnahmeantrags ab.
12. Juni 2013: Das Landgericht Bayreuth ordnet an, dass Mollath mindestens noch ein weiteres Jahr und damit bis 2014 in der Psychiatrie bleiben muss.
06. August 2013: Mollath kommt frei. Das OLG Nürnberg ordnet die Wiederaufnahme des Falls an und verfügt, dass diese an einer anderen Kammer des Landgerichts Regensburg stattfinden muss.
05. September 2013: Die Verfassungsbeschwerde Mollaths ist erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gab seiner Beschwerde gegen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg statt. Die Beschwerde sei offensichtlich begründet, hieß es.
19. Dezember 2013: Das Landgericht Regensburg teilt mit, dass das Wiederaufnahmeverfahren gegen Mollath am 7. Juli 2014 beginnt.
13. Januar 2014: Die Nürnberger Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen die Ex-Frau von Gustl Mollath eingestellt. Mollath hatte seine frühere Ehefrau im August 2013 angezeigt, weil sie in einem Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe 2008 nicht die Wahrheit gesagt habe. Dafür ergaben sich laut Staatsanwaltschaft aber keine Anhaltspunkte.
28. April 2014: Gustl Mollath will das Oberlandesgericht Bamberg mit einer weiteren Verfassungsbeschwerde zwingen zu verkünden, ab wann er unrechtmäßig in der Psychiatrie gesessen habe. Hintergrund ist ein Beschluss des OLG Bamberg aus dem Jahr 2011, nach dem Mollath weiter in der Psychiatrie bleiben musste. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor entschieden, dass dadurch Mollaths Grundrecht auf Freiheit verletzt worden war.
07. Juli 2014: Vor dem Landgericht Regensburg beginnt das Wiederaufnahmeverfahren gegen Mollath.
08. August 2014: Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrem Plädoyer einen Freispruch für Gustl Mollath. Dabei ist der Anklagevertreter jedoch von der Schuld des 57-Jährigen überzeugt. Die Verteidigung verlangt einen Freispruch "ohne Wenn und Aber". Mollath selbst weist die Vorwürfe zurück.
14. August. 2014: Das Landgericht Regensburg spricht Gustl Mollath frei. dpa
Egal wie der Prozess ausgeht, eines hat der Fall Mollath zumindest erreicht: Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) will noch dieses Jahr den Maßregelvollzug zur Unterbringung psychisch kranker Straftäter neu regeln. "Denn wir brauchen mehr Transparenz und Rechtssicherheit für alle Beteiligten - sowohl für die untergebrachten Personen als auch für die Beschäftigten im Maßregelvollzug", betont Müller. Die Resozialisierung solle im Vordergrund stehen sowie ein Therapieanspruch verankert werden. Der Gesetzentwurf soll im Herbst im Landtag beraten werden. (dpa/lby)