Sieben Jahre nach seiner Zwangseinweisung in die Psychiatrie ist Gustl Mollath wieder frei. Das Oberlandesgericht Nürnberg ordnete am Dienstag überraschend eine Wiederaufnahme von Mollaths Verfahren an. Das führte zur sofortigen Freilassung des 56 Jahre alten Nürnbergers.
Nach Psychiatrie-Entlassung: Mollath kommt bei Schulfreund unter
In Begleitung von Freunden verließ Mollath am Abend die Psychiatrische Klinik in Bayreuth – in den Armen lediglich einen Topf mit selbst gezüchteten Pflanzen. Auf Fragen von Journalisten sagte er: „Es war heute eigentlich nur Stress. Ich habe noch nicht viel Zeit gehabt nachzudenken.“ Jetzt müsse er zunächst Wichtiges regeln: „Ich habe nicht einmal einen Ausweis.“
Mollath, der erst einmal ein Paar Tage Ruhe haben will, bevor er mit Medienvertretern spricht, wird zunächst bei einem alten Schulfreund unterkommen. Der genaue Ort seiner Unterkunft ist nicht bekannt.
Gustl Mollath: Oberlandesgericht ordnet Wiederaufnahme an
Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat eine Entscheidung des Landgerichts Regensburg aufgehoben. Die Regensburger Richter hatten vor zwei Wochen die von der Staatsanwaltschaft und von Mollaths Verteidigung beantragte Wiederaufnahme als unzulässig verworfen. Bei der Freilassung Mollaths spielt ein Attest eine zentrale Rolle. Das als Beschwerdeinstanz eingeschaltete OLG Nürnberg stützte seine Entscheidung nämlich auf ein solches ärztliches Attest, mit dem Mollaths inzwischen geschiedene Ehefrau die tätlichen Angriffe ihres Mannes belegen wollte. Dieses Attest sei als „unechte Urkunde“ zu werten, so das Gericht.
Verhandlung gegen Mollath vor anderer Strafkammer
Chronologie des Falls Mollath
Ab 2006 saß der Nürnberger Gustl Mollath in der Psychiatrie. Hier eine Chronologie des Falles:
November 2002: Gustl Mollath wird von seiner Frau wegen Körperverletzung angezeigt. Er soll sie im August 2001 ohne Grund mindestens 20-mal mit den Fäusten geschlagen haben. Außerdem habe er sie gebissen, getreten und sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt.
Mai 2003: Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erhebt Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung.
September 2003: Die Hauptverhandlung beginnt vor dem Amtsgericht Nürnberg. Im April 2004 wird sie fortgesetzt. Ein Gutachter attestiert dabei Mollath erstmals gravierende psychische Störungen.
Dezember 2003: Mollath erstattet Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen seine Frau, weitere Mitarbeiter der HypoVereinsbank und 24 Kunden wegen Steuerhinterziehung, Schwarzgeld- und Insidergeschäften.
Februar 2004: Die Anzeige wird von der Staatsanwaltschaft abgelegt. Begründung: Es gebe nur einen pauschalen Verdacht. Die Angaben seien zu unkonkret, als dass sie ein Ermittlungsverfahrens rechtfertigen würden.
Juni 2004: Mollath wird gegen seinen Willen zur Begutachtung ins Bezirkskrankenhaus Erlangen gebracht, kommt aber schon kurz darauf wieder frei. Im Februar 2005 wird er in das Bezirkskrankenhaus Bayreuth eingewiesen. Dort bringt er fünf Wochen zu.
August 2006: Das Landgericht Nürnberg spricht Mollath von den Vorwürfen der Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung frei. Aber die Strafkammer Mollaths ordnet Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, weil er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.
Februar 2007: Der Bundesgerichtshof verwirft die Revision als unbegründet.
März 2012: Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) sagt im Rechtsausschuss des Landtags, Mollaths Strafanzeige wegen der Bankgeschäfte seiner Frau sei «weder Auslöser noch Hauptanlass noch überhaupt ein Grund für seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gewesen». Seine Vorwürfe gegen die Bank hätten keinen begründeten Anfangsverdacht für Ermittlungen ergeben.
November 2012: Ein interner Revisionsbericht der HypoVereinsbank aus dem Jahr 2003, dessen Inhalt erst jetzt publik wird, bestätigt, dass ein Teil von Mollath Vorwürfe zutreffend war. Die Freien Wähler fordern Merks Rücktritt und einen Untersuchungsausschuss im Landtag.
30. November 2012: Merk will den Fall Mollath komplett neu aufrollen lassen. Grund war die mögliche Befangenheit eines Richters.
18. März 2013: Die Staatsanwaltschaft Regensburg beantragt die Wiederaufnahme des Verfahrens. Sie stützt sich dabei auf «neue Tatsachen», die dem Gericht bei der Verurteilung im Jahr 2006 noch nicht bekanntgewesen seien. Entscheiden muss das Landgericht Regensburg.
26. April 2013: Der Mollath-Untersuchungsausschuss tritt erstmals zusammen.
28. Mai 2013: Das Landgericht Regensburg lehnt eine Entscheidung über Mollaths Psychiatrie-Unterbringung vor der Prüfung des Wiederaufnahmeantrags ab.
12. Juni 2013: Das Landgericht Bayreuth ordnet an, dass Mollath mindestens noch ein weiteres Jahr und damit bis 2014 in der Psychiatrie bleiben muss.
06. August 2013: Mollath kommt frei. Das OLG Nürnberg ordnet die Wiederaufnahme des Falls an und verfügt, dass diese an einer anderen Kammer des Landgerichts Regensburg stattfinden muss.
05. September 2013: Die Verfassungsbeschwerde Mollaths ist erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gab seiner Beschwerde gegen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg statt. Die Beschwerde sei offensichtlich begründet, hieß es.
19. Dezember 2013: Das Landgericht Regensburg teilt mit, dass das Wiederaufnahmeverfahren gegen Mollath am 7. Juli 2014 beginnt.
13. Januar 2014: Die Nürnberger Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen die Ex-Frau von Gustl Mollath eingestellt. Mollath hatte seine frühere Ehefrau im August 2013 angezeigt, weil sie in einem Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe 2008 nicht die Wahrheit gesagt habe. Dafür ergaben sich laut Staatsanwaltschaft aber keine Anhaltspunkte.
28. April 2014: Gustl Mollath will das Oberlandesgericht Bamberg mit einer weiteren Verfassungsbeschwerde zwingen zu verkünden, ab wann er unrechtmäßig in der Psychiatrie gesessen habe. Hintergrund ist ein Beschluss des OLG Bamberg aus dem Jahr 2011, nach dem Mollath weiter in der Psychiatrie bleiben musste. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor entschieden, dass dadurch Mollaths Grundrecht auf Freiheit verletzt worden war.
07. Juli 2014: Vor dem Landgericht Regensburg beginnt das Wiederaufnahmeverfahren gegen Mollath.
08. August 2014: Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrem Plädoyer einen Freispruch für Gustl Mollath. Dabei ist der Anklagevertreter jedoch von der Schuld des 57-Jährigen überzeugt. Die Verteidigung verlangt einen Freispruch "ohne Wenn und Aber". Mollath selbst weist die Vorwürfe zurück.
14. August. 2014: Das Landgericht Regensburg spricht Gustl Mollath frei. dpa
Es sei zwar von einem Arzt verfasst worden, der auch Frau Mollath untersucht habe. Das Attest selbst trage aber nur den Namen der Praxisinhaberin und nicht des Arztes, erklären die OLG-Richter. Wegen der Bedeutung des Attestes sei eine Auswirkung auf das Urteil nicht auszuschließen. Deshalb ordneten die Richter eine neue Hauptverhandlung gegen Mollath wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Regensburg an.
Fall Mollath: Verfahren wird wieder aufgenommen
Mollath soll nach der damaligen Anklage seine Frau geschlagen und die Reifen mehrerer Autos aufgeschlitzt haben. 2006 sah das Gericht die Taten als erwiesen an, erklärte den heute 56-Jährigen aber für schuldunfähig und wies ihn, nachdem ihn ein Gutachten als gemeingefährlich eingestuft hatte, in die Psychiatrie ein. Unterstützer Mollaths vermuten hinter den Vorwürfen einen Rachefeldzug seiner Ex-Frau, weil er deren Schwarzgeldgeschäfte als Angestellte der HypoVereinsbank aufgedeckt habe. Ein interner Bank-Bericht hatte diese Vorwürfe aber zum Teil bestätigt.
Justizskandal in Bayern? Beate Merk will Zweifel ausräumen
Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) zeigte sich nach der Entscheidung zufrieden: „Nun sind alle Weichen gestellt, um die Zweifel in diesem Fall auszuräumen“, sagte sie. Mollaths Verteidiger Gerhard Strate sieht mit der Entscheidung gar „den Rechtsstaat in Bayern wiederhergestellt“. Er freue sich, mit seiner Prognose recht behalten zu haben, dass Mollath noch vor der Landtagswahl freikommt.
Währenddessen muss sich Beate Merk gegen Vorwürfe verteidigen, sie habe im Fall Mollath zu spät gehandelt. Im Morgenmagazin (ZDF) sagte sie, sie habe auf einen handfesten Grund warten müssen, um ein neues Verfahren zu fordern. Solange habe sie das Urteil der Richter in Regensburg zu akzeptieren gehabt.
Der SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Christian Ude, sagte am Mittwoch im Deutschlandfunk, Merk sei zwar als Politikerin nicht für Fehlentscheidungen der Justiz verantwortlich. Sie sei aber instinktlos mit dem Thema und taktlos mit dem Opfer umgegangen.
Gustl Mollath: Freilassung und die Folgen
Ude bezeichnete Merk als Belastung für die Staatsregierung. "Sie hat Anlass gegeben, Zweifel an ihrer Kompetenz im Umgang mit so schwierigen Fällen zu zeigen, und deswegen meine ich, dass sie zur Belastung dieser Staatsregierung geworden ist."
Die Freien Wähler warfen Merk vor, erst auf Druck der Öffentlichkeit ihre Haltung im Fall Mollath geändert zu haben. Der stellvertretende Vorsitzende des Landtagsuntersuchungsausschusses zu dem Fall, Florian Streibl, sagte im Bayerischen Rundfunk, "erst durch die Medien und den politischen Druck hat sie umgedacht. Ansonsten würde sie heute immer noch ihre Unfehlbarkeit behaupten. Und das ist skandalös."
Außerdem warf er der Justizministerin eine Mitverantwortung für die lange Unterbringung vor. "Wenn 2003 oder 2004 das Justizministerium adäquat reagiert hätte, wäre es höchstwahrscheinlich nie so weit gekommen. Merk hätte das Ganze auch verhindern und sehr viel Leid für Herrn Mollath vermeiden können."
Hier finden Sie die Pressestimmen zur Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Gustl Mollath