„Ein Kapitel schließt sich.“ So kommentiert André Bamberski den Abschluss eines Kampfes, der sein Leben in den vergangenen 32 Jahren bestimmt hat. Er begann an einem Sommermorgen 1982, als seine 14-jährige Tochter Kalinka tot im Haus ihres Stiefvaters, des deutschen Arztes Dieter Krombach, aufgefunden wurde. Und endete am Mittwoch mit Bamberskis Verurteilung zu einer einjährigen Bewährungsstrafe.
Im Oktober 2009 hatte er Krombach vor seinem Haus bei Lindau am Bodensee zusammenschlagen und nach Frankreich verschleppen lassen, wo ein Haftbefehl gegen ihn vorlag. Trotz Protesten der deutschen Behörden wurde er 2011 und in einem Berufungsverfahren 2012 wegen der Vergewaltigung und Tötung Kalinkas mit Beruhigungsmedikamenten zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Fall Kalinka: Bamberski ließ Krombach entführen
Gesundheitlich schwer angeschlagen, sitzt der 79-Jährige seine Strafe in einem Pariser Gefängnis ab. Ohne die Entführungsaktion wäre er straflos davongekommen, weil Deutschland ihn nicht nach Frankreich auslieferte. Deshalb hatte Bamberski diesen „Transport“ ins elsässische Mülhausen organisiert, wie er es nennt – doch was er als seine „Vater-Pflicht“ bezeichnet, war eben nicht rechtens. Das unterstrich das Gericht in Mülhausen gestern mit seinem Urteil.
Dieses fiel strenger aus als Staatsanwalt Hervé Robin gefordert hatte. Dieser wollte lediglich eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten. Die Hartnäckigkeit dieses „Vater Courage“ lasse ihm den Atem stocken, hatte Robin eingeräumt: „Menschlich verstehe ich Bamberski, aber aus juristischer Sicht sind die Taten nicht hinnehmbar.“
Mit 19.000 Euro wollte Bamberski die Kosten für die Entführung decken
Der heute 76-jährige pensionierte Steuerfachmann hatte 19 000 Euro in bar bei sich, die seiner Aussage nach die „Transportkosten“ decken sollten. Er habe die Entführung nicht beauftragt, sondern das selbstlose Angebot eines 44-jährigen Kosovo-Albaners und eines 28-jährigen Georgiers angenommen. Sie erhielten jeweils eine einjährige Haftstrafe.
Der Fall Kalinka: Eine Chronologie
Juli 1982: Kalinka Bamberski (14) wird tot in ihrem Bett im Haus ihres Stiefvaters Dieter K. in Lindau am Bodensee entdeckt.
1983: Die deutschen Behörden gehen von einem Unfall ohne Fremdverschulden aus. Der leibliche Vater André Bamberski hat Zweifel und fordert vergeblich neue Untersuchungen in Deutschland.
1984: Bamberski erhebt Anklage in Frankreich, die Justiz ermittelt.
1985: Die französische Justiz exhumiert die Leiche Kalinkas und geht nach einer erneuten Obduktion von einem Gewaltverbrechen aus.
1987: Die deutsche Justiz stellt Ermittlungen gegen Dieter K. ein.
1993: Ein Pariser Gericht eröffnet gegen ihn ein Verfahren.
1995: Dieter K. wird wegen der Tötung seiner Stieftochter Kalinka in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt.
1997: In einem anderen Fall wird er von einem deutschen Gericht zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt, weil er eine 16-jährige Patientin in seiner Praxis betäubt und vergewaltigt hat. Seine Zulassung als Arzt wird für zwei Jahre gesperrt.
2001: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte rügt das in Frankreich verhängte Urteil, da nicht einmal der Anwalt des Angeklagten angehört wurde.
2005: Deutschland verweigert die Auslieferung von Dieter K. mit Hinweis auf die Einstellung des deutschen Verfahrens im Fall Kalinka.
2007: Wegen illegaler Ausübung des Arztberufs ohne Zulassung und Betrugs wird er in Deutschland zu 28 Monaten Haft verurteilt.
2008: Ein französisches Berufungsgericht hebt das Urteil von 1995 mit Blick auf Verfahrensfehler auf.
Oktober 2009: Dieter K. wird verletzt und gefesselt im französischen Mülhausen nahe einem Gerichtsgebäude aufgefunden. Gegen André Bamberksi und zwei weitere Männer wird wegen Entführung ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Kalinkas Stiefvater wird in ein bei Paris gelegenes Gefängnishospital gebracht.
März 2011: Zum Prozessauftakt zweifelt der Verteidiger von Dieter K. die Zuständigkeit des Gerichts in Paris an. Wegen gesundheitlicher Probleme des Angeklagten wird der Prozess später unterbrochen.
Oktober 2011: Der Prozess gegen Dieter K. wird neu aufgenommen. In ihren Plädoyers fordert die Staatsanwaltschaft 15 Jahre Haft für Dieter K., die Verteidigung will einen Freispruch.
22. Oktober 2011: Dieter K. wird wegen der Tötung von Kalinka zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Verteidigung kündigt umgehend Berufung an.
Dezember 2012: Wegen des Todes seiner Stieftochter Kalinka wird der deutsche Mediziner Dieter K. erneut zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Juni 2013: Die Staatsanwaltschaft klagt Kalinkas Vater und zwei mutmaßliche Komplizen an, die für die Entführung von Dieter K. verantwortlich sein sollen.
Juni 2014: André Bamberski wird zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt.
Eine 54-jährige österreichische Journalistin, die als Vermittlerin fungiert hatte, sprach das Gericht frei. Ein dritter an der Entführung beteiligter Mann wurde nie identifiziert – diesem „Yvan“ gaben die Angeklagten die Schuld an den Misshandlungen Krombachs.
Dass sie nur den geheimnisvollen Dritten belasteten, wirkte auf das Gericht ebenso unglaubwürdig wie die Behauptung, keinerlei Gegenleistung für ihre „humanitäre Hilfe“ erwartet zu haben. Er sei selbst Vater zweier Töchter, versicherte der ältere der Handlanger. Bamberskis Geschichte habe ihn berührt.
André Bamberski: „Die Behörden taten ja nichts“
Seit dem plötzlichen Tod seiner bis dahin völlig gesunden Tochter Kalinka hatte dieser Krombach beschuldigt, doch Ermittlungen in Deutschland waren trotz Lücken im Obduktionsbericht eingestellt, die Möglichkeit eines Sexualverbrechens gar nicht erst untersucht worden. Bamberski strengte einen Prozess in Frankreich an, wo Krombach 1995 in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft wegen schwerer vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt wurde.
Doch trotz Bamberskis unermüdlicher Aktionen gegenüber Justiz, Politik und Medien lebte der Arzt unbehelligt weiter in Deutschland. Dort wurde er 1997 verurteilt, weil er eine 16-jährige Patientin in seiner Praxis betäubt und vergewaltigt hatte.
Derweil drohte der Fall Kalinka zu verjähren, Bamberski bekam Panik: „Die Behörden taten ja nichts.“ Erst jetzt könne er Ruhe finden. Enttäuscht sei er nun nicht über das Strafmaß, aber über die fehlende Berücksichtigung seines „moralischen Zwanges“ durch das Gericht, sagt Kalinkas leiblicher Vater. In Berufung wolle er aber nicht gehen. „Ich habe genug von Prozessen.“