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Evangelische Kirche: Er war das Gesicht seiner Kirche: Eine Bilanz zum Abschied von Bedford-Strohm

Evangelische Kirche

Er war das Gesicht seiner Kirche: Eine Bilanz zum Abschied von Bedford-Strohm

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    Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und bisheriger Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
    Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und bisheriger Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Archivbild)

    Heinrich Bedford-Strohm ist in den vergangenen sieben Jahren „das Gesicht der evangelischen Kirche“ gewesen. Eine Formulierung, die sich so leichtfertig dahinsagen lässt – die aber über die Schwere des Amtes eines Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), das er an diesem Mittwoch abgibt, hinwegtäuscht.

    In Sachen Seenotrettung wurde Bedford-Strohm für einige zur Hassfigur

    Bedford-Strohm, der seit 2011 auch bayerischer Landesbischof ist, hat als oberster Repräsentant seiner Kirche in Bayern und ganz Deutschland beides erfahren: Zuspruch wie Ablehnung. Vor allem wegen seines Engagements in der Seenotrettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer wurde er für einige zur Hassfigur. Im Gespräch mit unserer Redaktion machte er Anfang 2020 erstmals öffentlich, dass er Morddrohungen erhalten habe. Einschüchtern ließ sich Bedford-Strohm davon nicht und äußerte sich weiter zu politischen Fragen.

    Und auch damit hatte er zu kämpfen. Denn durch seine Medienpräsenz entstand der falsche Eindruck, dass er allein die Kirchenspitze bilde. Sowie: dass die evangelische Kirche zu politisch sei, dass sie vornehmlich Politik treiben wolle – statt das Evangelium zu verkünden oder sich in der Seelsorge zu engagieren.

    Zum Abschied von Bedford-Strohm: Wie „aktivistisch“ darf die Kirche sein?

    Die Kritik konzentrierte sich stark darauf, dass auf Initiative aus Reihen der EKD das von der Kirche unabhängige Bündnis „United4Rescue“ gegründet worden war. Dem geht es um tatkräftige Unterstützung der zivilen Seenotrettung – „solange die europäischen Staaten ihre Pflicht schuldig bleiben, Menschen zu retten“, wie es Bedford-Strohm formulierte. Das vom Bündnis mit Spendengeldern angeschaffte Schiff, die „Sea-Watch 4“, lief im vergangenen Sommer zu einer ersten Mission aus.

    Auch innerhalb der evangelischen Kirche, bis in die Gemeinden, waren das vermeintliche „EKD-Schiff“ oder „Kirchenschiff“, wie es polemisch und unzutreffend genannt wurde, und dessen großer Befürworter Bedford-Strohm umstritten. Erst recht, als auf dem Schiff zeitweise eine Antifa-Fahne gehisst wurde. Migranten würden, hieß es, „mit der Aussicht auf einen Freifahrtschein nach Europa in Seenot gelockt“; diskutiert wurde: Wie „aktivistisch“ darf die Kirche sein?

    Bedford-Strohm war nicht nur Gesicht, sondern Stimme seiner Kirche

    Sprach man Bedford-Strohm – 1960 in Memmingen geboren, im nahen Buxach und im oberfränkischen Coburg aufgewachsen – auf den Vorwurf an, zu politisch zu sein, versuchte er ruhig zu bleiben und ein freundliches Gesicht zu machen. Doch der Vorwurf ärgerte ihn und treibt ihn nach wie vor um. Er weist ihn bestimmt – und bisweilen verbunden mit Medienkritik – zurück. Er würde eben eher zitiert, wenn er etwas zu gesellschafts-politischen Themen sage, nicht, wenn er über Glauben, Religion oder die Bibel spreche. Das mag sein.

    Heinrich Bedford-Strohm bei der EKD-Synode 2021.
    Heinrich Bedford-Strohm bei der EKD-Synode 2021. Foto: M. Assanimoghaddam, dpa (Archivbild)

    Andererseits: Wie wenige EKD-Ratsvorsitzende vor ihm war er nicht nur Gesicht, sondern Stimme seiner Kirche. Was er sagte, wurde gehört und löste Debatten aus. Und das war ja auch die an ihn gerichtete Erwartungshaltung bei seiner Wahl im Jahr 2014 nach dem freiwilligen Rückzug von Nikolaus Schneider – zunächst für ein Jahr, 2015 dann für die reguläre Amtszeit von sechs Jahren: Er sollte den Protestanten und ihren Positionen mehr öffentliches Gewicht verschaffen.

    Das gelang ihm zweifelsohne. Insbesondere in Verbindung mit seinem Freund Reinhard Kardinal Marx, dem katholischen Münchner Erzbischof. Räumlich nur wenige Kilometer in der Landeshauptstadt voneinander getrennt, bildeten die beiden ein ökumenisches Gespann, das es so noch nicht gegeben hatte. Denn der Papstvertraute Marx war von 2014 bis Anfang 2020 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz – und damit das Gesicht seiner, der katholischen Kirche in Deutschland. Zusammen erhielten sie 2020 den Augsburger Friedenspreis. Spätestens beim gemeinsam begangenen 500. Reformationsjubiläum 2017 hätten sie „ein historisches Zeichen für alle Christinnen und Christen auf dieser Welt gesetzt“, sagte Oberbürgermeisterin Eva Weber. Ein wahres Miteinander im Glauben sei trotz unterschiedlicher konfessioneller Zugehörigkeit möglich.

    Der oder die neue EKD-Ratsvorsitzende werden am Mittwoch gewählt

    Gemeinsam erlebten Bedford-Strohm und Marx aber auch eine Welle der Entrüstung, nachdem sie 2016 am Tempelberg beim Besuch der Al-Aksa-Moschee und der Klagemauer in Jerusalem ihre sonst gut sichtbar getragenen Amtskreuze abgenommen hatten. Bedford-Strohm erklärte, er sei den Bitten der jeweiligen muslimischen und jüdischen Zuständigen für die heiligen Stätten gefolgt. Als Repräsentant einer Religion habe er die Aufgabe, „friedensstiftend zu wirken“: „Wenn ich das nicht tue, werde ich meiner Verantwortung nicht gerecht.“

    Verantwortung hatte Bedford-Strohm zudem für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der evangelischen Kirche, die im Vergleich zu der in der katholischen nicht so weit fortgeschritten ist. Er räumte das am Sonntag zu Beginn der, wegen eines Impfdurchbruchs weitgehend digital stattfindenden, Tagung des Leitungsorgans EKD-Synode ein: „Wir sind noch nicht so weit gekommen, wie wir wollten“, sagte er – das könne ihn nicht zufrieden sein lassen.

    Auf massive und anhaltende Kritik von Missbrauchsbetroffenen gestoßen war im Mai etwa die Aussetzung eines Betroffenenbeirats – gegen den Willen von Mitgliedern und vorgeblich wegen dessen Konzeption und „interner Konflikte“ in dem Gremium. Der Beirat war erst im Herbst 2020 gegründet worden. Betroffene erneuerten nun ihre Kritik, darunter die, dass die evangelische Kirche weiter „den Mythos“ verbreite, es handele sich um Einzelfälle. Der Unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, forderte, dass die neue Kirchenleitung die Bekämpfung und Aufarbeitung von Missbrauch künftig zur Chefsache erklären sollte. Für eine unabhängige Aufarbeitung sei ein viel stärkeres Engagement erforderlich.

    Bis 2023 wird Heinrich Bedford-Strohm Landesbischof bleiben

    Gewählt wird der oder die neue EKD-Ratsvorsitzende an diesem Mittwoch. Als Favoritinnen gelten Annette Kurschus, Präses – also leitende Theologin – der Evangelischen Kirche von Westfalen, und die Bischöfin des Sprengels Hamburg und Lübeck, Kirsten Fehrs. Wer es auch wird: Sie oder er ist dann das Gesicht der EKD, jener Gemeinschaft der 20 evangelischen Landeskirchen mit ihren über 20 Millionen Mitgliedern.

    Ruhiger wird das Leben für den langjährigen Theologie- und Sozialethik-Professor und Vater dreier Kinder in den nächsten Jahren nicht: Bis 2023 wird Heinrich Bedford-Strohm Landesbischof bleiben und den Reformprozess „Profil und Konzentration“ voranbringen. Wie die katholische muss sich die evangelische Kirche den Folgen eines drastischen Mitglieder- sowie Pfarrer- (und Pfarrerinnen)rückgangs stellen. Vor allem sucht sie nach einer Antwort auf die Frage, wie sie künftig Gläubige und Nicht-Gläubige erreichen kann. Bedford-Strohm wünscht sich für seine Kirche „da präsent zu sein, wo sich das Leben der Menschen abspielt“. Zum Beispiel im sozialen Medium Facebook, in dem er unermüdlich Wort- und Videobeiträge veröffentlicht.

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