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Erster Weltkrieg vor 100 Jahren: Geschichte, so fern und doch so nah

Erster Weltkrieg vor 100 Jahren

Geschichte, so fern und doch so nah

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    Als erster deutscher Regierungschef besuchte Angela Merkel die Stelle, wo vor 100 Jahren die Deutschen kapitulierten und den Waffenstillstand unterschrieben.
    Als erster deutscher Regierungschef besuchte Angela Merkel die Stelle, wo vor 100 Jahren die Deutschen kapitulierten und den Waffenstillstand unterschrieben. Foto: Nietfeld, dpa

    Es sind Bilder und Gesten, die für ein „Nie wieder“, für ein „Wir haben es gelernt“ stehen sollen. Bundeskanzlerin Angela Merkel Hand in Hand, Schulter an Schulter mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron auf einer Waldlichtung bei Compiègne 80 Kilometer nördlich von Paris. An dem Ort, an dem vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg mit einem Waffenstillstand, der einer Kapitulation Deutschlands gleichkam, beendet wurde.

    Einen Tag später schreiten sie dann – im Regen – gemeinsam mit rund 70 anderen Staats- und Regierungschefs zum Pariser Triumphbogen. Dort liegt einer der mehr als neun Millionen gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs begraben. US-Präsident Donald Trump ist dabei, der russische Staatschef Wladimir Putin und auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Gemeinsam verfolgen sie ein rund einstündiges, bewegendes Programm, das an das unfassbare, durch Großmachtstreben und extremen Nationalismus ausgelöste Grauen des Krieges erinnert.

    Eine junge Frau liest im Nieselregen mit fester Stimme eindringliche Worte von Erich Maria Remarque, Autor des Buchs „Im Westen nichts Neues“ vor, mit dem der deutsche Soldat und Schriftsteller genau den Moment des Kriegsendes festhielt: „Wer kann das begreifen: Da stehen wir und sollten lachen und brüllen vor Vergnügen und haben doch ein flaues Gefühl im Magen.“ Sie steht am Triumphbogen in Paris und weiß die Augen der dutzenden Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt auf sich gerichtet, die Linsen von zahlreichen Fernsehkameras, die Blicke von Millionen Menschen. Ihr Beitrag ist einer von mehreren, vorgetragen von Jugendlichen aus verschiedenen Ländern, als authentische Zeugnisse der damals am Krieg Beteiligten.

    Mit dem Waffenstillstand von Compiègne endete vor 100 Jahren das Blutvergießen, das vier Jahre angedauert, Millionen Menschen das Leben gekostet, Städte, Dörfer und ganze Landstriche verwüstet hatte. Frankreich begeht dieses Datum traditionell als Feiertag, an dem der Präsident symbolisch die Ewige Flamme am Grab des Unbekannten Soldaten am Triumphbogen neu entfacht. Zum gestrigen 100-jährigen Gedenken empfing Paris die Vertreter von 72 Ländern aus der ganzen Welt, was der Zeremonie eine gewichtige internationale Dimension verlieh.

    Macron: Die Spuren des Krieges werden nie vergessen

    Neben den Vorträgen der Jugendlichen und musikalischen Einlagen, unter anderem durch das Jugendorchester der Europäischen Union, ergriff Macron das Wort. Die Spuren dieses Kriegs würden niemals ausgelöscht und vergessen, versprach er, der das feierlich-zeremonielle Gedenken mit einer politischen Botschaft für die Gegenwart verknüpfte. „Der Patriotismus ist das exakte Gegenteil des Nationalismus“, sagte der französische Präsident. „Wenn man sagt: ‚unsere Interessen zuerst und die anderen sind uns einerlei!‘, radiert man die kostbarste Sache aus, die eine Nation hat, die sie leben lässt, die sie groß macht, und am wichtigsten ist: ihre moralischen Werte.“ Unverhohlen zielten Macrons Appelle gegen die Politik des anwesenden US-Präsidenten Donald Trump und anderer Populisten. Seit einer Woche zelebriert Macron die Erinnerung an das Ende des Ersten Weltkrieges: In Frankreich wird er als „Großer Krieg“ bezeichnet und spielt eine wichtige Rolle im kollektiven Gedächtnis. Macron besuchte damals besonders schwer getroffene Regionen im Osten und Norden des Landes. Überschattet wurde dieser Erinnerungsreigen durch eine Kontroverse um Marschall Philippe Pétain, der für die Abwehrerfolge in der Schlacht von Verdun im Ersten Weltkrieg als Nationalheld verehrt wurde. Im Zweiten Weltkrieg allerdings kollaborierte Pétain als Chef des Vichy-Regimes mit den Nazis. Nachdem ein Aufschrei auf Macrons Würdigung von Pétain als „großem Soldaten“ gefolgt war, ruderte der Präsident zurück.

    Der Präsident maß der deutsch-französischen Freundschaft bei dem Gedenkprogramm eine besondere Bedeutung bei. Gemeinsam mit Merkel besuchte er einen nachgebauten Eisenbahnwaggon in der Waldlichtung bei Compiègne, wo vor 100 Jahren die Deutschen kapitulierten und in einem Waggon der Waffenstillstand unterschrieben wurde. Gemeinsam enthüllten sie dort eine in beiden Sprachen verfasste Erinnerungsplakette. Merkel, die diesen Ort als erster deutscher Regierungschef besuchte, nannte die Zeremonie bewegend und „nicht nur Mahnung, sondern auch Ansporn“. Zu Hause in Deutschland kritisierte AfD-Chef Alexander Gauland Merkels Gesten: „Ich halte es für falsch, Geschichte nachträglich umzuschreiben und sich an der Siegesfeier der damaligen Verbündeten nachträglich zu beteiligen“, sagte der Rechtspopulist. Deutschland habe den Krieg verloren; die Politik, die zum Ersten Weltkrieg geführt hat, habe „viele Schuldige“.

    Die Kanzlerin eröffnete in Paris an der Seite von UN-Generalsekretär António Guterres das „Forum für den Frieden“, das künftig als jährliche Veranstaltung unter Beteiligung von Think Tanks eingeführt werden soll. Während Trump statt einer Teilnahme den US-amerikanischen Soldatenfriedhof besuchte, sagte sie: „Dieser Krieg mit seinem sinnlosen Blutvergießen zeigt, wohin nationale Selbstherrlichkeit und militärische Überlegenheit führen und welch verheerende Folgen Sprachlosigkeit und Kompromisslosigkeit in Diplomatie und Politik haben können.“

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