Es geht um verzweifelte Paare, um unerfüllte Kinderwünsche, gespendete Embryonen und um die ganz grundsätzliche Frage nach dem Beginn menschlichen Lebens. So dauerte es auch nicht lange, bis Verteidiger Helmut von Kietzell das Grundgesetz ins Spiel brachte. Artikel eins: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Verwunderlich war das für keinen im Gerichtssaal. Die Thematik geht schließlich an die Grundsätze der deutschen Rechtsprechung. Und ausgerechnet das Amtsgericht im beschaulichen Dillingen hatte gestern darüber zu befinden.
Angeklagt waren drei Vorstandsmitglieder des Netzwerks Embryonenspende aus Höchstädt (Kreis Dillingen), zwei Ärzte sowie der Gründer. Sie haben imprägnierte Eizellen, die im Rahmen von künstlichen Befruchtungen übrig geblieben sind, an ungewollt kinderlose Paare vermittelt und ihnen damit die Chance auf ein sogenanntes „Schneeflockenkind“ eröffnet. Die vierte Angeklagte, eine Rechtswissenschaftlerin, fehlte krankheitsbedingt, ihr Fall wird eigens behandelt.
Die Staatsanwaltschaft warf den Angeklagten die „missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken“ vor. Sie hätten in 33 Fällen gegen das Embryonenschutzgesetz verstoßen. Dieses verbietet in Deutschland die Weitergabe von unbefruchteten Eizellen. Doch Juristen streiten sich darüber, ab wann eine Eizelle als befruchtet gilt.
So ging es im Dillinger Prozess nicht darum, die Taten nachzuweisen. Die Angeklagten gaben sie vollumfänglich zu. Vielmehr stand die Definition einer Befruchtung im Mittelpunkt und damit die Frage: Wann beginnt eigentlich Leben?
Bei den tiefgefrorenen, imprägnierten Eizellen, die bei einer Embryonenspende meist zum Einsatz kommen, sind die Kerne von Ei- und Samenzelle noch nicht miteinander verschmolzen. Das geschieht rund 24 Stunden nach dem Auftauen. Nach Auffassung des Netzwerks Embryonenspende handelt es sich dennoch um bereits befruchtete Eizellen. „Die Befruchtung tritt ein, wenn das Spermium in die Eizelle eindringt“, sagt Rechtsanwalt von Kietzell. Zu diesem Zeitpunkt sei ein unumkehrbares, genetisches Programm in Gang gebracht, wodurch der künftige Mensch festgelegt sei. Die Konservierung sei lediglich eine Unterbrechung dieses Vorgangs. Die Staatsanwaltschaft Augsburg ist der Auffassung, dass die Befruchtung erst durch das Auftauen stattfindet. Die Spende der Zellen sei deshalb unzulässig.
Ähnlich sah das auch Richter Patrick Hecken, der die Angeklagten trotzdem freisprach. Für sein Urteil war die Grundsatzfrage der Reproduktionsmedizin nicht ausschlaggebend. Vielmehr kam der „unvermeidbare Verbotsirrtum“ zum Tragen. Die Angeklagten hätten zum Zeitpunkt ihrer Taten, das war 2014 und 2015, nicht wissen können, dass sie gegen geltendes Recht verstoßen. Vor der Gründung des Netzwerks 2013 hatten sich die Beteiligten laut eigener Aussage umfangreichen rechtlichen Rat eingeholt, unter anderem bei der Landes- und Bundesregierung. Diese meldeten zurück, dass die Embryonenspende zumindest nicht verboten sei. Im vorliegenden Fall sei den Angeklagten daher kein Vorwurf zu machen, erklärte der Richter. Er wies aber darauf hin: „Diese juristische Frage bedarf einer Klärung von möglichst hoher Stelle.“ Hecken legte der Staatsanwaltschaft daher eine sogenannte Sprungrevision nahe, womit die Angelegenheit am Oberlandesgericht landen würde.
Vertreter des Netzwerkes zeigten sich nach dem Prozess erleichtert. Gründer Hans-Peter Eiden machte die ethische Komponente der Embryonenspende deutlich. „Durch uns sind 25 Kinder entstanden, die ansonsten im Müll gelandet wären.“